Kundgebung: 1 Jahr Räumung des Keglerheims

Wir kegeln zurück! Kundgebung 1 Jahr Räumung des Keglerheims„Wir kegeln zurück!“
Von August bis November 2009 war das ehemalige Keglerheim in Erfurt still besetzt. Am 22.11.2009 wurde die Besetzung öffentlich gemacht und der Versuch gestartet, ein neues selbstverwaltetes Zentrum aufzubauen. Stunden später wurde das Haus geräumt. Der Eigentümer stellte Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruch. Seit der sinnlosen und brutalen Räumung steht das Keglerheim wieder leer und verfällt. Eingestürzte Decken, Löcher im Dach und nasse Wände machen das wieder offen stehende Haus unbewohnbar. Der Eigentümer zeigt bis heute kein Interesse am Objekt.
Hier wird deutlich, dass die kapitalistische Eigentumsordnung leerstehende Häuser lieber verfallen lässt, als sie Menschen zur Verfügung zu stellen, die diese sinnvoll nutzen würden. Die rechtlich und politisch vorhandenen Spielräume werden nicht genutzt, um emanzipatorische Projekte zu ermöglichen. Im Gegenteil: Hausbesetzer_innen werden öffentlich diffamiert, mit Repression überzogen und besetzte Häuser sofort geräumt.
Ein Jahr danach kegeln wir zurück! Noch immer haben wir kein selbstverwaltetes Zentrum – doch aufgeben kommt nicht in Frage. Kommt zur Kundgebung am 04.12.2010 um 12.00 Uhr auf dem Erfurter Bahnhofsvorplatz! Für ein selbstverwaltetes Zentrum in Erfurt!

haendehoch.blogsport.de

Erfurt: Rassistische Kontrollen und Sanktionen für Übertreten der Landkreisgrenze

Nach der Lebhaft-Abschluss-Veranstaltung vergangenen Samstag kam es am Erfurter Hauptbahnhof gezielt zu rassistischen Kontrollen gegen als „Ausländer“ stigmatisierte Menschen. Wir dokumentieren einen Beitrag von The Voice:

Nach einer Informations- und Kulturveranstaltung, die sich gegen die gesetzlich verordnete Diskriminierung von Flüchtlingen durch das Lagersystem und die Residenzpflicht wandte, wurden im Stadtbereich Erfurt und vor allem im Hauptbahnhof gezielt Personenkontrollen von Flüchtlingen durchgeführt.
Zu der Veranstaltung der Initiative „LebHaft“, die im August im Rahmen einer „NoLager-Tour“ vier Flüchtlingslager in Westthüringen besucht hatte, waren rund 60 Flüchtlinge aus acht verschiedenen Lagern nach Erfurt gereist. Um auf die Isolation und rassistische Diskriminierung von Flüchtlingen hinzuweisen, hatte unter anderem am Samstagmittag vor dem Erfurter Hauptbahnhof eine Polit-Performance stattgefunden, während der eine Gruppe von Flüchtlingen gemeinsam mit antirassistischen AtkivistInnen durch Improvisationstheater Thematiken wie Residenzpflicht, Abschiebung, Angst, Grenze oder Freiheit darstellte. Zwischendurch gab es kurze Abrisse zum zugrunde liegenden rassistischen Gesetzeswerk und zur aktuellen Praxis von Behörden und Polizei.
Der Nachmittag wurde in einer Saalveranstaltung mit persönlichen Berichten und politischen Einschätzungen von Flüchtlingen, mit einer Vorstellung der No-Lager-Tour und weiterer Information u.a. zur aktuellen Lage von Geduldeten gestaltet. Am Abend gab es Konzerte mit unter anderem Erfurter und Hamburger Punk- oder Elektrobands sowie einer Band iranischer Flüchtlinge, die teils Populärmusik spielten und teils einfach jammten.

Während die Veranstaltung ihrem Anspruch, die Isolation voneinander zu durchbrechen, mühelos gerecht werden konnte, setzten die Behörden auf Einschüchterung und öffentliche Stigmatisierung von Flüchtlingen und MigrantInnen: Polizeipatroullien in gepanzerter Uniform kontrollierten im Bereich des Hauptbahnhofs gezielt alle Menschen, die ihrem Begriff von „deutsch“ nicht entsprachen – die Maschinenpistole in der Hand. Unterstützt wurden die bewaffneten Beamten von Zivilpolizisten, die ebenfalls durch den Bahnhof striffen und Reisende festhielten. Auf den Grund der Kontrolle angesprochen, erwiderten die Beamten zunächst, es handele sich um „zufällig ausgewählte Personen“. Auf weiteren Protest der Gruppe hin wurde eingestanden: „Wir suchen Leute aus, bei denen wir hoffen, etwas zu finden.“ Dass es sich hierbei um eine eindeutig rassistische Maßnahme handele, wollten die Beamten nicht einmal bestreiten.

Einige der Flüchtlinge erwartet nun eine Geldstrafe von mindestens 40 Euro, weil sie von ihrem Grundrecht auf Bewegungs- und Meinungsfreiheit Gebrauch machen wollten.
Passanten im Bahnhof kommentierten die Kontrollen des Wochenendes als eine Folge der „Terror-“Panikmache des Bundesinnenministeriums und der Medien. Das einzige, was die jüngsten Schikanen aber von früheren unterschied, war die gesteigerte Zahl an Beamten und die schwere Bewaffnung. Anscheinend hat sich die Öffentlichkeit schon so sehr an die regelmäßigen Kontrollen von als „Ausländer“ stigmatisierten Menschen gewöhnt, dass nur noch die kürzlich aufgefrischte Konstruktion „Migranten-Muslime-Terrorismus“ zu ihrer erneuten Wahrnehmung führt.
Dass an jedem Tag in jedem Bundesland und egal an welchem Ort Menschen aufgrund ihres Aussehens von der Polizei schikaniert und rechtlich diskriminiert werden, wird konsequent ausgeblendet.

http://thevoiceforum.org/node/1864

Subversive Intervention auf Gewerkschaftsdemo

Am 13. November zogen mehr als 3.000 Gewerkschafter_Innen durch Erfurt, versammelten sich auf dem Anger und beschwerten sich über – was sonst – die „ungerechte Regierung“ und skandalisierten ein „Deutschland in Schieflage“.
Diese Versammlung nutzten nach unseren Informationen einige Genoss_Innen des KSK aus Jena, um ihren aktuellen Aufruf zu verteilen. Darin heisst es:

Tagtäglich hören wir von Exportpreisen, vom Wachsen und Schrumpfen „der Wirtschaft“ und von der Armee als deren Erfüllungsgehilfen.
Wir sollen unser Leben dem anpassen: in Lohnzurückhaltung, indem wir unsere Kinder in die Bomber und Panzer schicken, indem wir in unseren Nachbarn „Sozialschmarotzer“ sehen und sie denunzieren.

Damit ist jetzt Schluss.

Wir hören auf
… unsere Trennung voneinander zu vertiefen.
Gespalten sind wir schon genug: in zur Arbeit Hetzende und Menschen mit Ämterstress, menschen im „Normalarbeitsverhältnis“ und jenen in Minijobs und Leiharbeit, Männer und schlechter bezahlte Frauen, in jene, die für 25 Euro in der Stunde Kriegsgerät produzieren und jene, die ihnen für den gleichen Lohn im Monat die Kleidung nähen. Die Trennung beschwören all jene, denen vor unserer gesammelten Wut graut und die unsere Herkunft, unsere Liebe und unsere Sprache nutzen wollen, um uns zu trennen.
… und beginnen mit täglich gelebter Solidarität.
Wir geben unsere Krankenversicherungskarte an Freunde weiter, die sich die Versicherung gerade nicht leisten können. Wir nehmen erwerbslose Freundinnen im Auto mit in die Stadt. Dem Ladendieb schenken wir ein Augenzwinkern und dem Polizisten ein Schulterzucken, wenn er uns nach Namen fragt. Wir besuchen die streikenden Kollegen nebenan. Wir begleiten Freunde zur Arge… (weiter im Original)

„Mehr Farbe in Erfurts Straßen“

Nach einem Antrag der Erfurt Freien Wähler und der FDP im Stadtrat sollen die Maßnahmen gegen Graffiti verschärft werden. Unter anderem soll ein Online „Graffiti-Kataster“ entstehen und das Mitführen von Graffitigegenständen in der Zeit von 21.00 Uhr bis 6.00 Uhr verboten werden. Wir dokumentieren eine Pressemitteilung des Klub 500:

Auf Antrag der Erfurter Freien Wähler und FDP soll sich der Stadtrat mit einem Antrag beschäftigen. Dieser beinhaltet u.a. die Erstellung eines Graffiti-Katasters, das restriktive Maßnahmen wie u.a. ein Mitführverbot von Graffiti-Utensilien zwischen 21 und 6 Uhr einschließt.

Diese Forderungen müssen scharf zurückgewiesen werden. Sie spiegeln ein Denken repressiver Maßnahmen wider, die in Diktaturen anzutreffen sind. Ein Mitführverbot frei zugänglicher Güter würde ein Verstoß gegen die Menschenrechte darstellen.

In einer Debatte über Graffitis muss die Frage gestellt werden, wer sich das Recht herausnimmt zu bestimmen, was im Stadtbild sichtbar ist und was verboten gehört. Tagtäglich schreien uns überall in der Stadt die abscheulichten Werbeflächen entgegen. Eine kulturvolle Atmosphäre in der Stadt wird damit verpestet. Mit Graffitis aber bereichert.

Graffiti ist eine zeitgenössische Form der Kunst im öffentlichen Raum. Graffiti ist aber auch eine Form zur Artikulierung von Protest. Die Künstler und Aktivisten bedienen sich verschiedenster Medien (Marker, Pinsel und Malerrollen, Sprühdosen, Aufkleber, Poster), um ihre Anliegen sichtbar werden zu lassen.

Die Stadt besteht aus Vielfalt und Entwicklung. Widersprüche müssen ausgehalten und artikuliert werden. Erfurt muss wieder eine Stadt der Jugend werden.
Bunt, kreativ und laut.

Förderkreis stellt sich hinter Werbung mit Topf&Söhne

Erinnerungsort Topf & SöhneWie in der Lokalpresse zu lesen war, hat der Förderkreis Topf&Söhne e.V. die Gewebetreibenden auf dem ehemaligen Topf&Söhne-Gelände in Schutz genommen. Der Vorsitzende Rüdiger Bender sieht die Firmen „an den Pranger gestellt“. Die Kampagne „Hände hoch-Haus her“ und PolitikerInnen von VVN/BdA, PDL und Gewerkschaften hatten vorher kritisiert, dass die Backkette Elmi und Maronde’s Garten Paradies sich in Werbeanzeigen mittels des Namens „Topf und Söhne“ positiv auf das Gelände als Wirtschaftsstandort bezogen hatten. Bender wird weiter damit zitiert, dass die Einrichtung eines Erinnerungsortes nur mit der Hilfe der Domicil Hausbau GmbH möglich gewesen sei. Das wüssten auch „diejenigen, die seinerzeit das Gewerbezentrum zugunsten des Besetzten Hauses verhindern wollten“. Der hohe Bekanntheitsgrad des Geländes sei Ergebnis bürgerlicher und institutionalisierter Geschichtspolitik.

Daran stimmt nun wirklich gar nichts.

Der Pranger ist eine mittelalterliche Folter, bei der Verurteilte an einem öffentlichen Ort angekettet und zur Schau gestellt wurden. Nun stehen die Gewerbetreibenden, die mit dem Grauen Werbung machen, vielleicht ein Stück weit in der öffentlichen Kritik, weil ein paar Zecken, linke Zivilgesellschafter und Holocaust-Überlebende das nicht so toll finden. Verurteilt und der öffentlichen Verachtung anheim gestellt sind sie nicht.

In der Frage, wer statt eines Gewerbezentrums ein Besetztes Haus haben wollte, hat Herr Bender ein recht kurzes Gedächtnis. Auf der alten Webseite des Förderkreises kann man sich hier davon überzeugen, dass der Förderkreis selbst diese Position, von der sich Bender heute abgrenzt — vielleicht, um die GRÜNE Partei gegenüber der PDL zu profilieren? –, vertreten hat.

Der hohe Bekanntheitsgrad des Geländes ist Ergebnis vielfältiger Aktivitäten. Am Anfang stand ein Förderkreis, der ohne institutionelle Einbindung und gegen die Stadt die Auseinandersetzung eingefordert hat. Seit 2001 wurde das Gelände massiv durch das Engagement der BesetzerInnen im Diskurs gehalten. Weiter gab es zahlreiche künstlerische und kulturelle Beiträge. Ganz am Ende der Kette der Thematisierung stehen die institutionalisierten Verwalter der Erinnerung, die heute den Förderkreis dominieren und sich eine Medaille an die Brust anheften, die ihnen nun wirklich nur zu einem kleinen Teil gebührt.

Aber gut, wen interessiert schon Rückgrat und die Positionen von Gestern, wenn Stadt und Wirtschaft mit saftigen Fördermitteln winken und wenn es darum geht, die Deutungshoheit über den eigenen Arbeitsbereich zu verteidigen. Am 7.12. um 18 Uhr will der Förderkreis in Elmi’s Drive-In-Bäckerei auf dem ehemaligen Topf&Söhne-Gelände die Versöhnung von Wirtschaft und Erinnerung feiern. Bei leckeren Brötchen frisch aus dem Ofen.

VVN/BdA, Politik und Gewerkschaften zur Werbung mit Topf&Söhne

Schon vor einigen Tagen gab es zur Werbung einiger Geschäfte auf dem ehemaligen Topf&Söhne-Gelände eine Pressemitteilung einiger Akteure von VVN/BdA, der Partei „Die Linke“ und aus Gewerkschaften:

Am 27. Oktober 2010 erschienen in der Thüringer Allgemeine, sowie im Allgemeinen Anzeiger Erfurt Werbeanzeigen und Artikel von Unternehmensbetreibern auf dem ehemaligen „Topf und Söhne“ Gelände Weimarische Straße 39a. Konkret betrifft dies die Unternehmen „elmi Bäcker“ und „Maronde’s Garten Paradies“.

In diesen Werbeanzeigen wird sich mittels des Namens „Topf und Söhne“ positiv auf das Gelände als Wirtschaftsstandort bezogen. Die barbarische Geschichte sowohl der Firma, als auch des Geländes wird hierbei komplett ausgeblendet. Wenn man den Namen der Firma Topf und Söhne heute überhaupt in das Gedächtnis der Menschen ruft, dann einzig und allein um der Vernichtungspolitik des faschistischen Deutschlands zu mahnen und eine Aufarbeitung der deutschen Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg voran zu bringen.

Der Slogan „Alles für die Grabgestaltung“ von Maronde’s Garten Paradies ist unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Millionen von Opfern durch die Öfen der Firma „Topf und Söhne“ verbrannt wurden und keine würdevolle Grabstätte finden konnten nicht nur pietätlos, sondern auch eine Verunglimpfung der Opfer und ihrer Angehörigen.

Auch der Umgang der Bäckerei Elmi ist auf das schlimmste gedankenlos. Wer mit frischen Brötchen, Brot und Kuchen direkt aus dem Ofen in Zusammenhang mit dem Gelände der Ofenbauer von Buchenwald und Auschwitz wirbt, dem scheint jedes Verständnis für die Sensibilität dieses Ortes zu fehlen.

Günter Pappenheim Überlebender des Konzentrationslager Buchenwald und Erster Vizepräsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos sagte hierzu: „Unsere Kollegen, Genossen, Freunde und Angehörigen sind auf grausame Art und Weise ermordet und durch Öfen von ‚Topf und Söhne‘ verbrannt worden. Wir die Überlebenden und Angehörigen fordern die Gewerbetreibenden, die Stadt Erfurt und jeden einzelnen Bürger auf, diesem Schicksal mit Würde zu gedenken.“

Wir die Unterzeichner dieser Erklärung schließen uns diesen Forderungen an.

  • Günter Pappenheim – Erster Vizepräsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos
  • Elke Pudszuhn – Landesvorsitzende Thüringer Verband der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten
  • Bodo Ramelow – Fraktionsvorsitzender DIE LINKE Fraktion im Thüringer Landtag
  • André Blechschmidt – Fraktionsvorsitzender Fraktion DIE LINKE im Erfurter Stadtrat
  • Sandro Witt – Gewerkschaftssekretär DGB Thüringen
  • Thomas Engel – Mitglied des Landesvorstandes Thüringer Verband der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten
  • Ulli Klein – Sprecherin der antifaschistischen Koordination Erfurt
  • Susanne Hennig – MdL Fraktion DIE LINKE imt Thüringer Landtag
  • Karola Stange – MdL Fraktion DIE LINKE imt Thüringer Landtag
  • Katharina König – MdL DIE LINKE (Sprecherin für Jugendpolitik und Antifa)
  • DGB Jugend Erfurt
  • filler. offenes Jugendbüro der DGB Jugend Erfurt
  • Jugend- und Wahlkreisbüro Haskala, Saalfeld
  • offenes Jugendbüro RedRoXX, Erfurt

Castor-Reisebericht aus Thüringen

­Castor? Schottern! Bei Nebel, gefühlten -10°C und völlig übermüdet erreichen wir am Sonntag Morgen gegen 3:00 Uhr das Camp in Köhlingen. Wir wollen uns an der Aktion „Castor? Schottern!“ beteiligen. Ein Teil unserer Bezugsgruppe ist bereits seit Freitag im Wendland. Wir werden am Eingang des Camps abgeholt und bekommen an einer Feuertonne eine Einweisung in das Camp und in die geplante Aktion. Für in der Nacht Ankommende steht ein großes Zirkuszelt als Schlafplatz zur Verfügung. Wir klettern über Beine und Arme bereits schlafender Aktivist_innen, bauen uns ein kleines Lager und legen uns hin. Es ist kalt. Um 5.00 Uhr werden wir durch das Castorradio und grelles Licht geweckt. Es geht alles ganz schnell. Aufstehen, Kaffee trinken, etwas Essen und an der Feuertonne wärmen. Ein Teil unserer Bezugsgruppe schneidet sich aus einer alten Isomatte einige Protektoren zum Schutz vor angreifenden Bullen. Der Platz füllt sich mit Leuten. Wir packen Essen und Trinken, eine Augenspülflasche gegen Reizgase und Klamotten zusammen. Dann geht es los.

Auf zum Schottern

Ca. 1500 Leute, organisiert in vier Fingern, machen sich auf in Richtung der Gleise. Parallel starten aus einem weiteren Camp ungefähr genauso viele Menschen. Wir laufen im ersten Finger und folgen einer rot-weißen Fahne. Der Weg ist lang (ca. 10km) und führt durch den Wald, über Feldwege, kleine Straßen und Felder. Agent Provocateurs versuchen die Stimmung durch singen des „Körperzellensongs“ anzuheizen. Am Rand werden wir immer wieder von Einheimischen freundlich gegrüßt. Nach einer ganzen Weile stößt ein Trupp Bullen mit Helmen zu uns. Bei dem ersten Kontakt mit der Staatsmacht fällt diese durch provokantes Verhalten und Schubsen auf. Versuche, die vielen Leute aufzuhalten scheitern kläglich. Das Gelände ist viel zu weitläufig. Es gibt immer einen Weg die Bullenreihe zu umlaufen. Auch der Versuch, die Fingerspitze mit den Fahnen von allen anderen zu isolieren, funktioniert nicht. Blitzartig dreht sich der gesamte Finger einfach um und läuft in eine andere Richtung.
1000e gehen durch den Wald in Richtung Schienen
Wir sammeln uns auf einer großen Wiese. Dass das Gleis nicht mehr weit entfernt ist, erfahren wir erst als wir dort sind. Die anderen Finger, die einen anderen Weg nahmen, stoßen wieder zu uns. Es gibt etwas warmes zu essen von einer mobilen KüFA (dort „Vokü“). Kalt ist es trotzdem.
Wir gehen weiter durch den Wald. Weitere Versuche von den uns begleitenden Bullen uns aufzuhalten, gibt es nicht. Sie laufen nur mit uns mit. Von weitem sehen wir zwei hintereinander stehende enge Bullenketten, die von als Blockade aufgestellten Polizei-Wannen unterstützt wird. Allen ist klar, dass hinter den Bullen das Gleis sein muss. Entschlossen gehen wir auf die Bullen zu. Die ersten Reihen werden mit Schlägen und Pfefferspray „empfangen“. Die Bullen prügeln auf alles ein, was ihnen auch nur ein Stück zu nahe kommt. Wie abgesprochen brechen die Leute nach links und rechts aus um die Bullen auseinander zu ziehen und wenn möglich durch die entstehenden Lücken auf die Schienen zu kommen. Als ein paar Cops das unterbinden wollen und eine lose Kette in den Wald ziehen, brechen wir aus und durchfließen die neue Kette erfolgreich. Die Bullen gehen zurück zu den Schienen. Bei einem Sprung über einen kleinen Graben verletzt sich eine Person unserer Bezugsgruppe am Knöchel. Damit sind wir erstmal out of action. Wir ziehen uns ein kleines Stück zurück. Während sich ein Sani um den Knöchel kümmert, beobachten wir das weitere Geschehen. Es kommen immer mehr Menschen aus dem Wald. Immer wieder wird versucht durch die Bullenkette durchzubrechen. Die Antwort lautet jedes mal Schläge und Pfeffer. Um uns herum werden vermehrt Augen ausgespült und Verletzte versorgt. Es werden Pyros gezündet. Immer wieder hört man Schreie und Parolen. Plötzlich bricht lauter Jubel aus. Wir gehen ein Stück weiter vor und sehen, dass von der anderen Seite der Schienen einige hundert Leute auf die Gleise drängen und mit Schottern beginnen. Doch schnell kommen Riot Cops angerannt und prügeln mit äußerster Brutalität auf die Leute ein. Voller Staunen und Respekt beobachten wir, dass sich diese nicht so einfach vertreiben lassen. Effektives Schottern gelingt an dieser Stelle aber trotzdem nicht. Die Leute werden wieder zurück in den Wald getrieben. Später beobachten wir, dass sogar Wasserwerfer eingesetzt werden um die Leute in den Wald zu drängen.
Die verletzte Person aus unserer Bezugsgruppe ist nicht mehr dazu in der Lage zu laufen. Wir trennen uns. Eine Person geht mit der verletzten Person zurück ins Camp. Wir anderen machen weiter.
Längere Zeit laufen wir mal mit mehr und mal mit weniger Leuten entlang der Bullenkette durch den Wald. Unser Ziel ist, die Bullenkette weiter auseinander zu ziehen und die Bullen zu beschäftigen, damit andere besser agieren können. Auf den Waldwegen, die auch die Bullen benutzen, werden immer wieder Barrikaden gebaut. Irgendwann stoßen wir auf eine größere Gruppe von Leuten, die sich gerade zurückziehen will. Wir schließen uns an.

Der zweite Anlauf

Der Sammelpunkt ist eine größere Lichtung auf einem Hügel im Wald. Es ist Zeit zum Ausruhen und die durchgeschwitzten Klamotten zu wechseln. Eine mobile KüFA versorgt uns mit Kaffee und Tee. Auf einem Deliplenum wird diskutiert wie es weiter geht. Wir sind etwas deprimiert weil wir es noch nicht einmal bis auf die Schienen geschafft haben. Vom Schottern ganz zu schweigen. Nach gut einer Stunde Pause geht es wieder los. Auch die Leute auf der anderen Seite der Schienen haben sich zurückgezogen und diskutiert, wie sie weiter machen wollen. Sie wollen erneut versuchen auf die Schienen zu kommen. Auf unserem Deliplenum wurde entschieden, dies zu unterstützen indem wir Bullen beschäftigen. Wir formieren uns. Unsere Bezugsgruppe hat sich dazu entschlossen, an der Seite Schutz zu machen. Als wir losgehen bemerken wir, dass wir an die 1000 Leute sind. Die Stimmung bessert sich. Es werden Parolen gerufen. Ungestört laufen wir eine ganze Weile durch den Wald. Wir biegen ab. Plötzlich sehen wir aus etwa 100m Entfernung die Schiene – und weit und breit keine Bullen. Ein „pssssst“ geht durch die Reihen. 1000 Leute stehen ohne ein Geräusch zu machen auf einem Feldweg im Wald. Die Spannung ist groß. Dann geht es los. Die Leute rennen auf die Schienen und beginnen sofort mit dem Schottern. Am Rand stehen vereinzelt zwei Cops, die versuchen Leute von der Schiene zu zerren. Wir schieben uns mit unserer Plane dazwischen und haben keine Probleme die Bullen weg zu drängen. Nach einiger Zeit kommt ein großer Pulk Bullen mit gezogenen Schlagstöcken auf uns zu gerannt. Wir rennen zurück in den Wald. Es kommt zu kleineren Auseinandersetzungen. Als die meisten zurück im schützenden Wald sind, bricht Euphorie aus. Wir haben geschottert! Schnell bewegen sich die Leute weiter entlang der Schiene im Wald. Nach ein paar hundert Metern rennen hunderte Leute von der anderen Seite der Schiene auf das Gleis. Das ist die Chance. Auch wir rennen auf das Gleis. Es wird in großem Stil auf mehreren hundert Metern geschottert. Etwa zwei Hundertschaften Bullen sind zu wenig für ca. 2000 Aktivist_innen. Es kommt zu heftigen Auseinandersetzungen. Nachdem wir bisher nur gesehen haben, wie Leute von den Bullen verprügelt werden, ist es ein Vergnügen mit anzusehen, wie sich am Rand ein paar Leute erfolgreich gegen die Bullen zur Wehr setzen. Danke dafür!
Aktivist_innen beim Schottern
Trotz brutalem Schlagstock- und Pfeffersprayeinsatz schaffen es die Bullen lange Zeit nicht die Schienen frei zu prügeln. Immer wieder gelingt es, die Bullen weg zu schieben und in größeren Gruppen auf die Schienen zu kommen und zu schottern. Es kommt zu unzähligen Verletzten. Die anwesenden Sanis sind im Dauereinsatz. An dieser Stelle auch ein großes Dankeschön an euch! Ihr habt großartiges geleistet! Auf dem Waldweg, der neben der Schiene verläuft, kommen von der einen Seite eine große Anzahl Wannen und von der anderen ein Räumpanzer angefahren. Es werden Barrikaden gebaut. Die Fahrzeuge bleiben in größerer Entfernung stehen. Nach längerer Zeit haben die Bullen dann doch das Gleis frei geprügelt. Wir ziehen uns ein Stück zurück und ruhen aus. Um uns herum werden wieder zahlreiche Verletzte versorgt.
Auseinandersetzung zwischen Aktivist_innen und Bullen
Mittlerweile ist es gegen 15.00 Uhr. In einem Deliplenum wird darüber diskutiert, wie es weitergeht. Da die „Castor? Schottern!“-Aktion nur tagsüber stattfinden soll, wird damit begonnen, vom Camp aus ein Shuttle-Service zu organisieren. Wir entscheiden uns dazu, zurück zum Camp zu fahren und laufen los in Richtung der Straße, wo wir abgeholt werden. Auf dem Weg werden immer wieder kleinere Barrikaden gebaut. Mehrere Transporthubschrauber der Polizei kreisen über uns. An der Straße angekommen werden wir relativ bald abgeholt und ins Camp gefahren. Dort angekommen ist erstmal Umziehen, Ausruhen und Aufwärmen angesagt. Es gibt warmen Tee, leckeres Essen und Feuertonnen.

Was sonst noch so war

Um 19.00 Uhr ist Camp-Plenum. Die Aktion wird kurz ausgewertet und vorgestellt, welche weiteren Aktionen geplant sind beziehungsweise gerade laufen. Über 150m wurden erfolgreich geschottert! Später in der Nacht gelang es einigen hundert Leuten erneut über 50 Meter erfolgreich zu schottern. Erst als wir wieder zu Hause sind, erfahren wir, dass ein extra aus Lüneburg heran gekarrter Reparaturzug die Schienenstücke wieder befahrbar machen musste. Der Castor steht mittlerweile bei Dahlenburg vor einer Sitzblockade mit mehreren tausend Menschen und wurde mit Stacheldraht umzäunt.
Trecker Blockade
Wir entschließen uns dazu in das Camp der Bäuerlichen Notgemeinschaft nach Gusborn zu fahren. Auf dem Weg dahin treffen wir auf eine Treckerblockade von örtlichen Bauern auf einem Kreisverkehr. Freundlich werden wir durch die Blockade hindurch gelotst. Weniger freundlich sind die Polizist_innen, die uns und unsere Autos an einer Straßensperre kurz vor Gusborn kontrollieren. Rucksäcke und Autos werden kurz durchleuchtet und unsere Personalien kontrolliert. Weil wir so unkooperativ sind, bekommen wir unsere Ausweise erst dann wieder, wenn wir ihnen zeigen wo wir hin fahren. Mit einem Bullenauto im Rücken fahren wir dann also los. In Gusborn angekommen, bekommen wir unsere Ausweise dann auch tatsächlich wieder. Doch die eigentliche Schikane fängt jetzt erst an. Weil das Camp auf der Karte, die wir haben, falsch eingezeichnet ist, fahren wir an den Rand um uns neu zu orientieren. Kurze Zeit später klopfen ein paar Bullen an unser Fenster und fragen wo wir denn hin wollen. Auch hier zeigen wir uns unkooperativ und sagen nichts dazu. Das nehmen diese jedoch zum Anlass, der Fahrerin des Autos zu unterstellen, Drogen genommen zu haben. Also werden wir erneut durchsucht. Diesmal aber wesentlich gründlicher. Alle im Rucksack befindlichen Gegenstände werden einzeln begutachtet. Jede Ritze des Autos wird genauestens untersucht. Unsere Körper werden abgetastet. Mit der Fahrerin werden alberne Tests gemacht. Auch etwas Urin wollen sie haben. Nach etwa zwei Stunden war die Kontrolle dann vorbei. Gefunden haben sie nichts. Gar nichts. Gegen 2.00 Uhr erreichen wir das Camp und legen uns baldig schlafen. Auch diese Nacht wird leider viel zu kalt.
Am nächsten Morgen erfahren wir, dass der Zug um 9:30 Uhr in die Verladestation in Dannenberg eingefahren ist. Die ganze Nacht über wurde die Sitzblockade geräumt und die geschotterten Stellen repariert. Da die Verladung der Castorbehälter bis zu 12 Stunden dauern kann, lassen wir den Tag ruhig angehen. Wir sitzen an einer Feuertonne, hören das Castorradio und genießen die großartige KüFA der Bäuerlichen Notgemeinschaft. Aufgeheitert werden wir immer wieder durch Leute, die beim Radio anrufen und so Sachen sagen wie „Hallo, ich bin eine Schäferin und stehe hier gerade mit ca. 1200 Schafen und ein paar hundert Ziegen auf der Castorstrecke“ oder eine Frau, die sich bei den Leuten bedankt, die den Räumpanzer angezündet haben, weil sie kurz vorher gesehen hat wie die Bullen total brutal Leute verprügelt haben. Auch ein Kettensägenkonzert im Wald wurde angekündigt.
Schafe auf der Transportstrecke
Am Nachmittag gehen wir nach Splietau. Eigentlich wollen wir dort an einer Kundgebung teilnehmen. Dort angekommen erfahren wir, dass die Kundgebung schon aufgelöst ist. Etwas deprimiert wärmen wir uns an einer Feuertonne und essen etwas aus der KüFA im dortigen Camp. Als es dunkel wird entscheiden wir uns dazu, doch heute noch nach Hause zu fahren. Wir sind alle völlig übermüdet und total durchgefroren. Wieder in Gusborn angekommen, packen wir zusammen und fahren los. Als wir die erste Treckerblockade erreichen, glauben wir heute nicht mehr aus dem Wendland raus zu kommen. Praktisch das gesamte Wendland wurde durch Trecker- und Materialblockaden stillgelegt. Glücklicherweise treffen wir einen, der sich auskennt, und uns eine genaue Beschreibung gibt, wie wir hier raus kommen. Wir fahren über Schleichwege, Spielplätze und an zig Treckern vorbei. Und kommen dann gegen 3.00 Uhr wohlbehütet zu Hause an.

Der Protest gegen Atomkraft und gegen den Castortransport war 2010 größer denn je. Der Transport dauerte über 92 Stunden. So lange wie noch nie. Die Größe und Breite des Widerstands ist beeindruckend, der Rückhalt in der Bevölkerung ist enorm. Auch aktionistisch gibt es in der Bevölkerung eine breite Akzeptanz für Aktionen, die die Grenzen der Legalität überschreiten. Materialblockaden, Straßenunterhöhlen und Schottern gehören dazu und werden so gut es geht unterstützt. Es ist selbstverständlich, dass Bauern mit ihren Traktoren den Bullennachschub blockieren. Diese agieren dabei wie autonome Kleingruppen, ohne sich selbst als solche zu verstehen.
Im Gegenzug dazu sind für viele in der thüringischen Provinz selbst einfache Sitzblockaden oft schon zu radikal. Die Proteste im Wendland machen Mut und geben Kraft. Sie zeigen was möglich ist und verweisen darauf, dass noch viel mehr möglich sein kann.

Ausführliche Berichte zum diesjährigen Widerstand gegen den Castortransport gibt es bei Indymedia.

Erfurt: Arbeitsstunden nach Nazi-Übergriff. Aber nicht für die Nazis…

Die Krämerbrücke kurz vor dem Überfall

Pünktlich zur Erfurter Woche gegen Rechtsextremismus endete heute der Prozess gegen einen der Angegriffenen des Nazi-Überfalls auf die Erfurter Schlauchboot-Tour 2008. Prozess gegen einen Angegriffenen? — Ja, das gibt’s. Willkommen in Thüringen. Dazu eine PM einiger ProzessbeobachterInnen:

Mit einer vorläufigen Einstellung gegen Auflagen endete heute vor dem Landgericht Erfurt der Prozess gegen einen der Betroffenen eines Naziüberfalls vom 12.7.2008. An diesem Tag wurden ca. 50 Personen aus der Punkszene und dem Umfeld des Besetzten Hauses hinter der Krämerbrücke von ca. 20 Hooligans aus dem Spektrum der rechten Gruppierung „Kategorie Erfurt“ (KEF) überfallen. (Bericht auf Indymedia hier, auf NPD-Blog hier)

Dem 28jährigen Angeklagten wurde vorgeworfen, einen der Angreifer mit einer Flasche auf den Kopf geschlagen zu haben. Was sich genau am 12.7.2008 zugetragen hat, konnte vor Gericht nicht abschließend geklärt werden. Der Hooligan, der in der Verhandlung als Geschädigter auftrat, sprach bis zuletzt von einem Flaschenwurf, der ihn im Gesicht verletzt habe, während zwei Polizeibeamte in teilweise widersprüchlichen Aussagen von einem Schlag mit einer Flasche auf den Hinterkopf sprachen. Entlastungszeugen wurden nicht gehört. Der Angeklagte selbst hatte den Tatvorwurf überzeugend zurückgewiesen, weswegen er in der ersten Instanz vor dem Amtsgericht freigesprochen worden war. Weil die Staatsanwaltschaft Erfurt dagegen Revision eingelegt hatte, wurde heute vor dem Landgericht verhandelt. „Man wurde auch heute den Verdacht nicht los, daß die Staatsanwaltschaft ein starkes Intersse daran hat, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Schlauchbotttour zu kriminalisieren“ sagte dazu eine Prozessbeobachterin aus der linken Szene.

Seit acht Jahren treffen sich Punks und Alternative in Erfurt jährlich zu einer Schlauchboottour, bei der sie in Trekkerreifen und mit Schlauchbooten einige Kilometer in der Gera zurücklegen. Zielpunkt ist traditionell die Krämerbrücke. 2008 hatten nach Angaben der Teilnehmerinnen und Teilnehmer erst Hooligans und kurz darauf Polizeieinheiten die Punks auf der Krämerbrücke attackiert.

Der Einstellung gegen Auflagen zugestimmt hat der Angeklagte, um weiteren Verhandlungstagen und dem damit verbundenen finanziellen Risiko aus dem Weg zu gehen. Während für die rechten Angreifer vom 12.7.2008 der Überfall bis heute ohne juristische Folgen geblieben ist, muss der Angeklagte bis März 2011 80 Arbeitsstunden ableisten.

Es sieht so aus, als sei die Erfurter Staatsanwaltschaft wild entschlossen, die Überzeugung des Innenministers, es gebe ein großes Problem mit linker Gewalt in Thüringen, zu belegen.

Ergänzung: Auf dem NPD-Blog ist zu lesen was die TLZ damals zu dem vorfall geschrieben hat.

Werbung auf ehemaligem Topf & Söhne- Gelände in Erfurt

Auf einen skandalösen Umgang mit der Geschichte des ehemaligen Topf & Söhne Geländes weist die Kampagne „Hände Hoch – Haus Her“ hin. Wir dokumentieren eine Pressemitteilung:

„Vergessen lohnt sich!“ und „Heute billig einkaufen, wo im Nationalsozialismus Leichenverbrennungsöfen für Buchenwald und Auschwitz hergestellt wurden“ so titelte ein Flugblatt, das die ehemaligen Besetzer_innen mehrfach auf dem ehemaligen Topf & Söhne Gelände verteilten. Seit einigen Monaten ist das Gelände in Erfurt nun von fünf Verkaufsgeschäften besetzt.
Wie um die Satire zu bestätigen und die Parole der Firma Topf & Söhne „Stets gern für Sie beschäftigt“ noch zu übertrumpfen, werben nun Gartencenter und Bäckerei mit ihrer Lage „auf dem ehemaligen ‚Topf & Söhne‘– Gelände“. Die Bäckerei schreibt: „…, um so stets den höchsten Ansprüchen gerecht zu werden.“ und wirbt mit „… Kuchen, der gerade so verführerisch duftend aus dem Ofen kommt?“. Das Gartencenter hingegen überschreibt eine komplette Werbeseite mit „Alles für die Grabgestaltung“ und bietet besonders billige Grablaternen, Grabvasen und Grableuchten an.

Dies zeigt auf, wie unreflektiert und unsensibel der Umgang mit dem Geschichtsgelände und dem Täterort immer noch ist. „Wir empfinden diese heutige Werbung auf dem Gelände als Verhöhnung der Opfer.“, so Luise Käfer, Sprecherin der Kampagne „Hände hoch, Haus her. Für ein selbstverwaltetes Zentrum in Erfurt“.

Die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Geländes war einer der wichtigsten Aspekte der Besetzung des Geländes, die im April 2009 durch eine Räumung beendet wurde. Damit wurde entschieden, das Geschichtsgelände, auf dem „deutsche Wertarbeit“ ihre schlimmsten Auswirkungen zeigte, wieder der Verwertungslogik zu überlassen. Dies führt nun zu einer Situation, in der die angesiedelten Firmen der Vermarktung des Geländes eine höhere Priorität einräumen, als einer Auseinandersetzung mit der Geschichte des Geländes.

Die Kampagne „Hände hoch – Haus her. Für ein selbstverwaltetes Zentrum in Erfurt

Flugblatt, der ehemaligen Besetzer_innen:
    

Werbung der betreffenden Firmen:
      

Das Wochenende in Thüringen: Uneingeladener Besuch in Gerstungen, Antifa in Vacha

Zwei Meldungen auf Indy zu einem ereignisreichen Wochenende:

Anarchist Resistance Wartburgkreis berichtet über den Protest gegen Nazis in Vacha. Zwar waren nur ca. 80 Leute gegen die Nazis auf der Straße, es gelang aber die noch viel kleinere Nazi-Kundgebung zu stören den Aufmarsch durch eine Sitzblockade zu behindern.

No Lager Halle berichtet hier über zwei unangenehmen Besuchsgruppen im Flüchtlingslager in Gerstungen: Gegen Mittag des 5.11. wollten Nazis in der Unterkunft rassistische Flugblätter verteilen, was durch Flüchtlinge und UnterstützerInnen verhindert wurde.
Gegen 17 Uhr kam der Thüringer Innenminister Huber ins Lager und machte sich mit Hilfe seiner Schergen (Lagerleitung und Ausländerbehörde) ein Bild von der Lage. Eine gemeinsame Besichtigung des Heimes mit den BewohnerInnen lehnte der Huber ab, dafür gab es später eine Audienz, wobei seine Majestät vorzugsweise Kinder und Einzelpersonen empfangen wollte.

Zum Castor wird an dieser Stelle in den nächsten Tagen (hoffentlich) noch was kommen.

Erinnern an die Reichspogromnacht in Weimar

Für den 9.11. ruft ein lockerer Zusammenschluss aus Weimarer Antifaschist_innen zu eine Kundgebung auf dem Theaterplatz auf:

Wie auch im vergangenen Jahr haben wir, ein lockerer Zusammenschluss aus Weimarer Antifaschist_innen, beschlossen eine Kundgebung zum Gedenken an die Reichspogromnacht zu organisieren. Dieses mal jähren sich die grausamen, im Volksmund häufig als „Kristallnacht“ bezeichneten Stunden zum 72. mal. Sie gelten als entgültiger Beginn der Shoa, dem Völkermord an den Juden, der 11,4 Millionen Opfer forderte. In jener Nacht brannten in etlichen deutschen Städten Synagogen, jüdische Betstuben und Geschäfte, unzählige jüdische Friedhöfe und Wohnungen wurden angegriffen, viele Juden und Jüdinnen ermordet und dies alles vor den Augen Millionen deutscher Bürger, die sich, anstatt dafür zu sorgen, dass das grausame Spektakel endlich ein Ende hat, selbst an den „Krawallen“ beteiligten oder wenigstens sprachlos zusahen. Auch in Weimar hat es übrigens Pogrome gegeben …
Weil der 9.November in Deutschland allerdings kollektiv als „Tag des Mauerfalls“ gefeiert wird, gerät das Gedenken an die Vorfälle des 9.11.1938 häufig in Vergessenheit. Ein weiterer Grund, Präsenz zu zeigen, ist der weltweit ausgeprägte und in unzähligen Köpfen verankerte Antisemitismus, gegen den es alltäglich anzukämpfen gilt.
Am 9.November möchten wir an die Reichspogromnacht erinnern. Beteiligt euch und kommt zwischen 15 und 19 Uhr auf den Theaterplatz in Weimar!
Gegen jeden Antisemitismus! Nie wieder Deutschland, nie wieder Faschismus!

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