Wie man am 1. Mai in Erfurt nicht den Flutgraben überquert
Es ist nicht unwahrscheinlich, daß der Erfolg der Aktivitäten gegen die Nazis am 1. Mai in Erfurt davon abhängt, daß es vielen Leuten gelingt, stadtauswärts den Flutgraben zu überqueren. Es gibt verschiedene beliebte Strategien, das nicht zu schaffen.
1. Die authentische autonome Kleingruppe
Vier bis sechs in der Regel männliche Jugendliche oder junge Erwachsene kleiden sich komplett schwarz, ziehen Sonnenbrillen und Halstücher an und versuchen in der Gruppe, unauffällig an der Polizeikette auf der Brücke vorbei zu kommen. Von der Polizei abgewiesen, regen sie sich über den Scheiß-Bullenstaat auf und ziehen sich beleidigt in Richtung Innenstadt zurück, wo sie auf die VertreterInnen von Variante 2 treffen.
2. Die Zeichensetzer
200-500 wohlmeinende Gutmenschen sammeln sich mit Sambatrommeln und Jonglierbällen zu einer Kundgebung oder Blockade auf der falschen Seite des Flutgrabens. Während die Nazis die Staufenbergallee oder die Thälmannstraße entlang laufen, bestätigen sich die DemonstrantInnen gegenseitig, daß sie die Guten sind und ein unübersehbares Zeichen gegen rechts setzen. Sollte es irgendwann zu vielen Menschen auffallen, daß die Blockade an diesem Ort gar nichts bringt, bewegt man sich zu der Brücke, an der schon die Autonomen gescheitert sind.
3. Die falsche Brücke
Wenn die Nazis auf der Staufenbergallee laufen, erschließt sich selbst dem dümmsten Polizisten, daß die Brücken am Krämpferufer und Schmittstädter Ufer dicht gemacht werden müssen. Um also nicht über den Flutgraben zu kommen, muss man sich genau auf diese Brücken konzentrieren. Auch sollte man sich vorher keine Gedanken darüber machen, wie und wo man anders über’s Wasser kommt — z.B. westlich des Bahnhofs oder nördlich der Schlüterstraße. Auch sollte man keinen Netzplan der EVAG, keine Karte und kein Fahrrad dabei haben.
4. Das starre Konzept
Man kann den Flutgraben auch nicht überqueren, weil das Plenum, der Aktionsrat, der Bürgertisch oder eine andere Autorität im Voraus beschlossen hat, dies nicht zu tun. Dieser Anweisung sollte man Folge leisten und nicht spontan entscheiden, daß aufgrund veränderter Bedingungen ein ganz anderer Ort zu besetzen wäre. Um damit glücklich zu sein, sollte man sich eher nicht über den Ticker (http://ticker.hopto.org), das Infotelefon (0162 – 59 19 379) oder Radio F.R.E.I. (UKW 96,2) über die aktuelle Lage informieren. Unterstützt wird diese Variante des Scheiterns durch diejenigen FunktionärInnen des Protests, die davon überzeugt sind, daß einfache AktivistInnen sowieso nicht qualifiziert sind, mit Informationen umzugehen und diese deswegen für sich behalten. Manche derer, die das besonders stört, gehen am 1. Mai dem virtuellen Ansatz nach.
5. Der Virtuelle Ansatz
Um ganz genau darüber informiert zu sein, wie man hätte den Flutgraben überqueren können, es aber gleichzeitig zu unterlassen, setzen sich die Anhänger dieses Ansatzes am 1. Mai alleine vor den heimischen PC und verfolgen im Minutentakt Tickermeldungen, Webseiten, Radio F.R.E.I. und MDR. Mit allen Informationen ausgerüstet, entfalten sie ihre Revolutionäre Praxis in den Kommentaren auf Indymedia und in Blogbeiträgen, die brilliant alle Fehler nachweisen, die auf der Straße begangen werden.
6. Die Fotogene Strategie
Die Fotogene Strategie, nicht den Flutgraben zu überqueren, wird vor allem von PolitikerInnen der höheren Ränge verfolgt. Die nutzen den Tag, um Gesicht zu zeigen, konkret: das eigene Gesicht zu zeigen und in möglichst viele Mikrofone zu blubbern. Vereinzelt wird die Fotogene Strategie auch von Autonomen Kleingruppen verfolgt. Hier versucht man — anders als die PolitikerInnen — in den Augen des Virtuellen Ansatz (siehe oben) eine gute Figur zu machen.
7. Der Mehrheits-Ansatz
Die Mehrheit der Erfurter BürgerInnen wird am 1. Mai den Flutgraben deswegen nicht überqueren, weil es ihnen aus den verschiedensten Gründen scheißegal ist, daß die Nazis demonstrieren.