Gay Pride 2010 in Budapest

Budapest Pride 2010Entscheidungen über das eigene politische Handeln zu treffen ist oft schwierig und meist nicht widerspruchsfrei. Einige Leute aus antifaschistischen Zusammenhängen in Erfurt entschlossen sich, am 10.07.2010 an der Gay Pride 2010 in Budapest teilzunehmen, antstatt das „Rock für Deutschland“ in Gera zu blockieren. Zum einen ist es dem Unbehagen gegenüber dem Hype „friedlicher Blockaden“ seit Dresden Februar 2010 geschuldet, teils sind es die alarmierenden Nachrichten aus Ungarn über den dortigen Rechtsrutsch in Parlamenten und Bevölkerung und die massiven Übergriffe auf die Homosexuellenparade (Gay Pride), aber auch Neugierde und der Wunsch nicht nur innerhalb antifaschistischer Strukturen agieren zu wollen. Jedoch eins nach dem anderen:

Geschichtliches/Hintergrund
Die Gay Pride in Budapest (http://budapestpride.hu/) gibt es mehr oder weniger seit 15 Jahren. Seit 2006 wird sie jedoch regelmäßig durch ungarische Faschisten und rechtsgerichtete homophobe Bevölkerungsteile angegriffen. Vorläufiger trauriger Höhepunkt waren 2008 massive Attacken auf die Pride, die mit Wurfgeschossen (Eier, Steine, Mollies) eingedeckt wurde. Auf dem „Heldenplatz“ kam es zu Straßenschlachten zwischen ungarischen Faschisten und der Polizei.

Dies passierte in einem öffentlichen Klima des politischen Rechtsruckes in Ungarn. Wirtschaftliche und soziale Probleme (Inflation, Staatsverschuldung, Verarmung ganzer Bevölkerungsteile), verstärkt durch die Wirtschaftskrise, führten zu einer starken Unzufriedenheit in der ungarischen Bevölkerung. Rechtskonservativen Pateien wie der „Fidesz“ unter Victor Orban gelang es die Unzufriedenheit für sich zu nutzen, indem offen nationalistische, rassistische und antisemitische Hetze betrieben wurde. Dass die Rechnung aufging, manifestierte sich in einer 2/3 Mehrheit der Fidesz bei den Parlamentswahlen 2009.

Die Störaktionen gegen die Gay Pride wurden mehr oder weniger durch die faschistisch/christliche Partei „Jobbik“ („Die Rechteren/Besseren“) und deren paramilitärischer Arm die „Ungarische Garde“ angezettelt. Die Jobbik erzielte bei den Parlamentswahlen 2009 ein Wahlergebnis von 16%, was eine deutliche Aussage über ihre Verankerung in der Bevölkerung darstellt. Ihr paramilitärischer Arm die „Ungarische Garde“ zählt tausende Mitglieder. Sie ist zwar offiziell verboten, jedoch weiterhin aktiv. Hauptsächlich tut sich die „Ungarische Garde“ durch gewalttätige Übergriffe auf die ethnische Minderheit der Roma in Ungarn hervor. Insgesamt gehen 8 Morde an Roma sowie ungezählte Gewalttaten auf das Konto dieser paramilitärischen Organisation, die sich stark an den faschistischen „Pfeilkreuzlern“ orientiert. Jene kooperierten während des 2.Weltkrieges mit den Deutschen und mischten bei der Verfolgung und Vernichtung ungarischer Jüdinnen und Juden kräftig mit. Eine linke/liberale Zivilgesellschaft ist in Ungarn dagegen nur schwach vertreten.

2009 kam es wieder zu Störaktionen seitens der Faschisten. Diese waren jedoch nicht mehr so massiv und gewalttätig wie 2008. Dafür lief die Gay Pride weiträumig abgesperrt aber unter großer Medienpräsenz durch menschenleere Straßen. Der Schock von 2008 entmutigte viele ungarische Aktivist_innen und verängstigte sie, da es immer noch ein Spießrutenlauf war, durch faschistische Horden hindurch zur Pride zu gelangen. Größere Unterstützung kam jedoch aus anderen Ländern v.a. aus Wien. Eine kleine Gruppe von Aktivist_innen aus Berlin war ebenfalls vor Ort und berichtete auf indymedia von der Pride und den Schwierigkeiten mit der faschistischen Bedrohung (http://de.indymedia.org/2009/09/261268.shtml). So trauten sich z.B. die Berliner_Innen nicht zur Abschluss-Party, da der ganze Vorplatz der Location trotz massiver Polizeipräsenz mit gewaltbereiten Faschos gefüllt war. Für 2010 entschlossen sie sich zu einer breiteren Mobilisierung, um vor Ort besser agieren zu können und allgemein Solidarität mit dem Anliegen der Gay Pride in Budapest (sexuelle Selbstbestimmung und gegen Homophobie) zu zeigen (http://www.myspace.com/solidaritaetmitbudapest). Dieser Mobilisierung schlossen wir uns kurzfristig an.

Die Gay Pride
Der Bus aus Berlin war voll. Ein bunter Haufen aus qeeren Leuten, Gays und anderen u.a. aus Berlin, Potsdam, Rostock und uns aus Erfurt war da zusammengekommen. Auf Plenas wurde sich schon im Vorfeld auf ein abgestimmtes Vorgehen vor Ort verständigt. Hauptziel war es, sich und andere auf dem Weg zur Veranstaltung vor Übergriffen seitens der Faschisten zu schützen und an der Parade teilzunehmen. Als wir am „Heldenplatz“ unweit des Veranstaltungsortes aus dem Bus stiegen, stand nur eine kleinere Gruppe Faschos (ca. 10 Leute) in der Nähe und zeigte sich wenig motiviert uns gegenüber. Auch die Stiefelglatzen unmittelbar vor der Absperrung reagierten eher eingeschüchtert, als sich die gesamte Busladung an ihnen vorbei bewegte. Die ungarischen Faschisten hatten dieses Jahr wohl nicht ganz so viel mobilisieren können. Es waren zwar mehrere erkennbare Gruppen von Faschisten in Sichtweite, jedoch auch massive Polizeipräsenz.

Inerhalb der Absperrung sammelten sich langsam die Teilnehmer_innen der Gay Pride. Schwule, Lesben, Trans-Menschen, eine Cheerleading-Gruppe und eine Trommelgruppe machten sich bereit. Jede Menge Transparente und Regenbogenfahnen waren am Start und eine Vielzahl von zivilgesellschaftlichen Initiativen gaben sich zu erkennen. Die Seitenstraßen wurden durch Polizei und Absperrgittern dichtgemacht. Die Gay Pride wird auch 2010 wieder weiträumig isoliert laufen. Die Route beschränkte sich dieses Jahr auf die Hälfte Andrassy Ut, einer breiten Allee, die vom Heldenplatz ins Stadtzentrum Richtung Donau führt und wurde somit stark gekürzt. Die faschistische Jobbik-Partei bekam eine Gegendemo aus der Gegenrichtung auf der selben Straße genehmigt. Auffällig war die massive Medienpräsenz bei der Auftaktkundgebung. Überall Kamerateams, Journalist_innen und Fotoshootings ohne Ende. Was uns auch auffiel war ein massives Aufgebot an Zivilpolizei, welches in Zweiergruppen und gut erkennbar an ihren „Hörgeräten“ sich unter die Parade mischte.

Mitten in der Auftaktkundgebung entdeckten wie eine Gruppe von ca 20 Antifas hinter einem schwarzrot gehaltenen Transparent. Die Budapester Antifa hatte dieses Jahr ebenfalls dazu aufgerufen, sich an der Gay Pride zu beteiligen (http://blogs.myspace.com/index.cfm?fuseaction=blog.view&friendId=531783278&blogId=536871677). Der Kontakt vor Ort war schnell hergestellt. Uns wurde im Vorfeld schon berichtet, dass die Antifa in Budapest maximal 50 Leute umfasst. Angesichts tausender organisierter Faschisten befindet sie sich also ziemlich in der Defensive. Um so mutiger, dass es die wenigen trotzdem versuchen und sich der Sache stellen (http://afafi.blog.hu/). Die Aktivist_innen auf der Pride waren eher Anarchos, OIs und Punks und luden uns auch gleich zu einem Punk-Konzert am Abend ein (leider schafften wir es nicht mehr zur Location – sorry). Sie berichteten uns auch, wie sie im Frühjahr einer riesigen Masse an ungarischen Faschisten gegnüber standen, die auf dem „Heldenplatz“ aufmarschierte (Bilder dazu hier: http://autonomous-land.blogspot.com/2009/02/blog-post_16.html).

Nach einigen Redebeiträgen setzte sich die Gay Pride unter strahlendem Sonnschein endlich in Bewegung. Die Stimmung war ausgelassen und entspannt. Der bunte LKW mit der Musikanlage und die Samba-Combo sorgten für die richtige Geräuschkulisse, die Cops nervten nicht und zunächst gab es auch keinen Faschostress. Kurz vor dem Wendepunkt kam dann doch noch mal Hektik auf. Eine Einheit Einsatzpolizei setzte die Helme auf und stürmte zur Spitze der Parade. Eine kleine Gruppe Faschos (es handelte sich um massige Schlägertypen) stand unmittelbar vor der Parade und machte Anstalten, sich ihr in den Weg zu stellen. Die Riot-Cops drückten sie an die nächste Hauswand und umstellten sie. Mehr als verbaler Unmutsbekundungen bedurfte es also nicht mehr. In dieser Situation waren auch wieder viele Kameras am Start und es wurde fotografiert und gefilmt ohne Ende. Die ganze Szene spielte sich schon in Sichtweite zur Gegendemo der Jobbik ab, die mehrere hundert Meter entfernt hinter Polizeiketten und Absperrungen auf dem nächsten Platz standen.

Dies war dann auch der Umkehrpunkt der Gay Pride, die nun zurück zum „Heldenplatz“ ging. Kurz vor dem Schlusspunkt wurden wir durch Ordner aufgefordert, schneller zu gehen, da wir mit bereitgestellten U-Bahnen abtransportiert werden sollten. Am Abschluss/Startpunkt zeichnete sich noch einmal ein Bedrohungsszenario ab. Hinter den Absperrungen standen abgeschirmt von der Polizei nur wenige Meter entfernt ein großer Mob Faschisten, welche immer wieder in Richtung der Paradeteilnehmer_innen pöbelte. Es waren viele Glatzen unter ihnen, aber auch „normale“ Bürger_innen. Diese filmten auch die Teilnehmer_innen der Pride. Die Budapester Antifas machten sich durch Sprechchöre bemerkbar und für einen Moment drohte es noch einmal zu eskalieren. Befremdlicherweise waren die Ordnungskräfte der Gay Pride mehr damit beschäftigt, die eigenen Teilnehmer_innen zurückzuhalten anstatt die Polizei aufzufordern, die Faschos wegzuschicken, die zur Einschüchterung der Pride so massiv aufmarschiert sind.

Nichtsdestotrotz landeten wir schließlich in der U-Bahn und stiegen nach ein paar Stationen in unseren Reisebus um. Eine der Organisatorinnen der Parade kam noch mal in den Bus und bedankte sich herzlich für die Unterstützung und unser Erscheinen. Dann ging es zurück zu unseren Übernachtungsquartieren.

Die Party am Abend war chillig. Da letztes Jahr auch dort massiv Faschisten auf dem Platz waren, gingen wir diesmal geschlossen hin. Es waren jedoch nur Bereitschaftspolizei (die sich im Gegensatz zu Polizeikräften in D-Land nicht provokativ verhielten) anwesend und somit konnten wir uns entspannen. Hier gab es auch in Gesprächen mit den anderen Leuten unserer Busladung die ersten Einschätzungen über die diesjährige Gay Pride. Die Leute, die letztes Jahr schon da waren, meinten dass es nicht mehr Teilnehmende als 2009 geworden sind (knapp 1000?). Die Außenwirkung Richtung Bevölkerung war durch die weiträumige Absperrung genauso schlecht wie die Jahre vorher. Der Faschostress war wesentlich geringer. Auch wurde eingeschätzt, dass es zwar mehr politische Gruppierungen wie die LMP (Die Grüne Partei in Ungarn) oder die Antifas auf die Gay Pride verschlug, dafür aber um so weniger Schwule, Lesben und Transen-Menschen aus dem Land selbst. Der Rechtsruck in Ungarn scheint einen starken Druck auf sexuelle und andere Minderheiten auszuüben, was einen Rückzug ins Private zur Folge hat. Diskutiert wurde auch, ob es da Sinn mache von außerhalb zu intervenieren, wenn die Resonanz vor Ort immer weniger werde. Sicher kann das ganze schnell zu einer „Alien“-Veranstaltung werden. Anders herum finden wir es wichtig, den Leuten vor Ort Mut zu machen, sich abseits nationalistischer und heteronormativer Beschränkungen ausleben zu können. Wie auf einem Transparent der Berliner_innen stand: „Küssen ohne Angst zu haben“. Und das als Selbstverständlichkeit bringt schon viel Lebensqualität.

Was bleibt/was werden kann
Für uns war es eine Erfahrung, außerhalb unseres üblichen Antifa-Dunstkreises zu agieren. Im Antifa-Spektrum, dass durch die Konfrontation mit Faschos sich in einem quasi andauernden (Männer-)Bandenkrieg befindet, ist es bitter notwendig sich mit Sexismus und Heteronormativität und zu viel „Testosteron“ auseinanderzusetzen. Allzu oft werden auf Aktionen Kotzgrenzen überschritten, indem Beschimpfungen wie „ihr seid schwul“, „Nazischlampen“ und „Bullenfotzen“ fallen. Dem politischen Gegenüber in einer Konfrontation die Meinung zu geigen geht auch anders. Auseinandersetzungen zu Sexismus und Mackertum laufen innerhalb des Antifa-Spektrums meist nur exempelhaft ab, z.B. wenn wieder ein sexueller Übergriff bekannt gemacht wurde. Dann ist es eh schon zu spät. Für uns war die Gay Pride in Budapest in zwei Richtungen eine Horizonterweiterung: wir bewegten und agierten zusammen mit anderen Spektren und Gruppen (qeers, Trans-Menschen usw.) und wir agierten außerhalb des uns bekannten (nationalstaatlichen) Rahmens und lernten dadurch andere Verhältnisse kennen. Sich mit den Verhältnissen in Ungarn auseinanderszusetzen, dort auch mal das Ritual-„ACAB“ kürzer treten lassen (es bleibt der Eindruck, dass die Polizei in Budapest sich wesentlich weniger gewaltbereit zeigte als die hypermotivierten Prügelgarden in Deutschland!), und vor Ort schauen was geht, kann nie verkehrt sein.

Rechtsradikalismus – ein „ungarisches“ Problem?
Schließlich kann die Entwicklung wie in Ungarn genauso in Deutschland ablaufen. Und zwar wenn hier die politischen Eliten ebenfalls anfangen, rassistische und antisemitische Ressentiments zu bedienen um den Volksmob auf Linie zu halten und sich die politische Macht zu sichern. Ähnliches lief Anfang der Neunziger in der BRD ab, wo jeder Überfall von Nazis auf Migrant_innen und Flüchtlingsheime sowie rassistische Stimmungen in der Bevölkerung reflexartig von den politischen Eliten mit dem Aufwerfen der „Asylproblematik“ quittiert wurde Wenn überhaupt zur Kenntnis genommen wurde, dass es sich bei den Angriffen um fremdenfeindliche Motive handelte. Diese Spielchen wurden so lange betrieben, bis endlich das Asylrecht quasi abgeschafft und die Grenzen für Flüchtlinge dichtgemacht wurden. Erst danach wurde auch die Naziszene an die Leine genommen und konnte nicht mehr quasi straffrei agieren. Die Pogrome in Rostock-Lichtenhagen sind das wohl deutlichste Beispiel für das völkische Zusammenspiel von Politik und Volksmob. Und während in Ungarn die „Ungarische Garde“ durch die Dörfer zieht um die „Ziegeunerplage“ zu bekämpfen, wird sich in Deutschland ganz gesittet um die „Rückführung“ von 12 000 Roma in den Kosovo bemüht, wo sie eh nur wieder an den Rändern einer prekären Nachkriegsgesellschaft dahinvegetieren dürfen und unerwünscht sind. Wo ist der qualitative Unterschied?

Einen Dank an die Organisator_innen der Bustour. Ihr habt uns viel Stress abgenommen, indem wir meist einfach nur euch hinterherlatschen mussten :D.

Radiointerview hier: [audio:http://www.freie-radios.net/mp3/20100712-budapestpri-35043.mp3]

Bis zur nächsten Gelegenheit.

Ein paar weitere Bilder:

Nochmal der Lautsprecherwagen


Faschos am Rand


Medienhype um Faschos


Zivis bei der Pride