„Ich würd ja gerne mit kommen, aber …“
Ein Bericht von Teilnehmenden der „Leb-Haft“-Tour durch Thüringer Flüchtlingsunterkünfte:
Am Mittwoch, den 11. August, startete bei leichtem Nieselregen die Aktionsgruppe „Leb-Haft“ zu ihrer Fahrradtour durch die nördlichen Thüringer Landkreise um die dortigen Flüchtlingsunterkünfte zu besuchen. Auf dem Plan standen Ganglöffsömmern (LK Sömmerda), Rockensußra (Kyffhäuserkreis), Felchta (Unstrut-Hainich- Kreis) sowie Gerstungen im Wartburgkreis.
Was für die Gruppe ein leichtes Unterfangen war, ist für Asylbewerber_innen und geduldete Personen zumindest eine Ordnungswidrigkeit, die mit einem Bußgeld und einem entsprechenden Eintrag in ihre Akte geahndet worden wäre.
Im Vorfeld der Fahrradtour wurden ein Bus, ein riesiges Zelt, Kochutensilien und jede Menge Spielsachen besorgt, um gemeinsam mit den Leuten in den Unterkünften Straßenfeste zu organisieren. Die Lebensbedingungen von Asylsuchenden in Thüringen sind gekennzeichnet durch vielfältige Ausgrenzungen und Diskriminierungen, die aber von Landkreis zu Landkreis variieren. Lebensmittelgutscheine gehören zu einem Instrument der Stigmatisierung ebenso wie der Zwang in einer Gemeinschaftsunterkunft zu leben, in der Wachpersonal kontrolliert, wer dich besucht und wie lang er oder sie bleiben. Die sich daraus ergebende Isolation wollten wir thematisieren und für einige Tage durchbrechen.
Unser erstes Lager schlugen wir in Lützensömmern auf, ein drei Kilometer von Gangloffsömmern entfernt gelegenes Dorf. Den ersten Tag nutzten wir um in einem Plenum zu entscheiden, wie die nächsten Tage aussehen sollten. Auch stand die inhaltliche Auseinandersetzung mit den rechtlichen Rahmenbedingungen für die Asylsuchenden in Thüringen auf der Tagesordnung, unsere Gruppe setzte sich aus ganz unterschiedlichen Leuten zusammen, sodass wir uns erst einmal auf einen gemeinsamen Wissenstand bringen mussten. Sehr erfreulich und ermutigend war die spontane Zusammenarbeit mit der Gruppe des Freiwilligendienstes SCI, die gerade zufällig auch in Lützensömmern eine Seminarwoche abhielt. Einige von ihnen waren sehr interessiert und engagierten sich nach einem inhaltlichen Vortrag zu Situation von Flüchtlingen in Thüringen spontan mit.
Sie malten Plakate und zogen von Tür zu Tür in Gangloffsömmern um die Einwohner_innen dieses idyllischen Dorfes zur Teilnahme am Straßenfest vor der Gemeinschaftsunterkunft zu bewegen. Für viele war die Auseinandersetzung mit der Problematik neu bzw. verglichen sie die Situation mit der in ihren Bundesländern, was auch für uns einen interessanten Austausch darstellte sowie politische Handlungsspielräume aufzeigte. Parallel zur Einladung der Dorfbevölkerung besuchte ein Teil unserer Gruppe die GU, um mit den Bewohner_innen den Kontakt zu vertiefen und in Erfahrung zu bringen, ob und welche Probleme aus ihrer Sicht angesprochen werden sollten. Dies waren wohl die intensivsten Momente der Tour, weil in diesen Momenten die Auswirkungen des komplexen Aufenthaltsrechtes in der BRD für den persönlichen Lebensweg der Menschen deutlich wurden.
Ein Beispiel ist der Umgang mit Deutschkursen: Aus der Logik des Gesetzgebers ist ein Deutschkurs erst notwendig, wenn der Aufenthalt auf Dauer angelegt ist. Aber was heißt das? In der Realität kann sich ein Asylverfahren über mehrere Jahre hinziehen. Für den jeweiligen Betroffenen sind 6 Monate oder 10 Jahre im Asylverfahren eine lange Zeit, in denen er keine finanzielle Unterstützung zum Besuch eines Deutschkurses erhält. Gerade der Wunsch sich verständigen zu können und Deutsch zu lernen, wurde immer wieder formuliert. Ein Ziel unserer Tour war die Informationsverbreitung und Kontaktvermittlung an Organisationen wie Flüchtlingsrat und The Voice, das Karawane Netzwerk, auf Grund der Abgelegenheit der Unterkünfte ist für die Flüchtlinge dort der Zugang zu Beratung als äußerst begrenzt anzusehen.
Das Fest in Gangloffsömmern verlief gemütlich, es wurde gemeinsam gekocht, geredet und Fußball gespielt. Glücklicherweise konnten wir die örtliche Sporthalle nutzen, der Himmel meinte immer wieder weinen zu müssen. Fragt sich warum? Vielleicht wegen des Schimmels in der Unterkunft, den Lebensmittelgutscheinen für die Flüchtlinge oder weil ca. 20 total Interessierte SCI-Freiwillige für die im ersten Moment eingeschüchterten Bewohner_innen der GU ein bisschen zuviel waren. Wer weiß. Der Abend in Gangloffsömmern endete mit einem gemeinsamen Beamer-Abend, hingelümmelt auf gemütliche DDR-Sportmatten verfolgten 15 Personen die Abenteuer animierter Moskitos und Kuckucke.
Samstag räumten wir nach der Auswertung der Veranstaltung in Gangloffsömmern unser Großraumzelt ein und verstauten alle Isomatten und Schlafsäcke wieder im Transporter. Entlang an abgeernteten Feldern, roten und gelben Mirabellen sowie verendeten Tieren im Straßengraben zog unsere „Mini“Karawane weiter nach Rockensußra im Kyffhäuser-Kreis. Den letzten Sonnenstrahl für die nächsten zwei Tage sahen wir an diesem Tag. Es regnete nur noch, mit Pausen um Luft zu holen und dann weiter zu regnen. In Rockensußra hält die Gemeinschaftsunterkunft 60 Plätze vorrätig und es leben viele Familien mit Kindern. Auch hier hatten wir wieder Glück, die Ortsbürgermeisterin unterstützte unser Anliegen und stellte uns den Sportplatz direkt neben der GU zur Verfügung. Ein Bauer des Ortes besaß direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite eine riesige Lagerhalle, die wir fürs Fest und Konzert am Sonntag nutzen konnten. „Strom und Wasser“, eine Band aus Berlin, spielten in kleiner Besetzung auf und spontan jammten der Pianist und ein Sänger der Unterkunft zu kurdischen Liedern, getanzt wurde auch. In Rockensußra war besonders nett, dass viele Leute aus dem Ort den Weg zu uns fanden. Leider verspielten wir einige Sympathiepunkte durch unsere Unpünktlichkeit, die zu 15 Uhr angekündigte Rockband spielte zwei Stunden später auf und vielleicht war Rockband auch zuviel versprochen. „Strom und Wasser“ in zweier Besetzung kann man schon eher der Liedermaching- Ecke zu ordnen.Der Bauer des Ortes war sehr großzügig und überließ uns die Halle für den Abend und bis zum nächsten morgen um 10 Uhr, sodass auch dieser Tag seinen Abschluss mit einer kleinen Elektroparty sowie einem Dokumentationsfilm zur Kampagne „Deportation Class“.
Montag früh war es wieder Zeit die Zelte abzubrechen, am Sonntag waren neue Leute dazugekommen und so reisten wir im erweiterten Kreis weiter nach Felchta, einem kleinen Dorf zugehörig zu Mühlhausen im Unstrut- Hainich-Kreis.
Grau, grauer, am grausten. So lässt sich die Farbskala an diesem Tag in Felchta beschreiben. Himmel: mittelgrau, Blöcke der Gemeinschaftsunterkunft: dunkelgrau. Die Gemeinschaftsunterkunft in Felchta sind zwei Blöcke, unsaniert, und dahinter beginnt der dörfliche Charakter des Ortes, sprich: der Acker. In Rockensußra lernten wir bereits Leute aus dieser GU kennen und besuchten diese auch umgehend in ihrem zwangsweisen Zuhause. Das Wachpersonal schätzte diese Spontaneität nicht besonders, da wir es aber ablehnen vorher um Erlaubnis zu fragen, ob wir Bekannte oder Freunde besuchen dürfen, kam es zu einem kurzen Disput und leichter Verärgerung bei der Heimleitung. An dieser Stelle soll vielleicht noch einmal angemerkt sein, dass wir dieses ganze System der zentralen Unterbringung ablehnen und nicht irgendwen persönlich angreifen wollen.(Jedenfalls nicht in diesem Fall, hier sei vielleicht noch einmal auf die politischen Spielräume der jeweiligen Landräte und Landrätinnen hingewiesen, die sehr wohl entscheiden können, wie die Unterbringung und die sonstigen Vorgaben des Asylbewerberleistungsgesetzes umgesetzt werden)
Der Montag verlief mit Kennenlernen der Unterkunft und ihrer Bewohner_innen, viel Tee trinken und erzählen.
Bei uns Tourenden war an diesem Tag die Erschöpfung nach einer Woche Tour anzumerken, sodass wir beschlossen am nächsten Tag alles ein wenig ruhiger anzugehen und nur eine kleine Straßentheater-Aktion in der Mühlhäuser Innenstadt umzusetzen. Zusammen mit einigen Personen aus dem Iran hüllten wir uns in weiße Malerschutzanzüge und zogen durch die Mühlhäuser Einkaufstraße, auf ein Zeichen hin spielten wir zu bestimmten Begriffen wie Residenzpflicht, Flucht Einsamkeit kurze Improvisationen, nebenher wurden Flugblätter verteilt, die auf die Situation der Leute in der Gemeinschaftsunterkunft aufmerksam machten. Die Reaktionen der Mühlhäuser_innen waren von Begeisterung (zumeist bei den unter 10jährigen) bis zu einem „ich krieg dich, auch wenn du dich verkleidest“ oder wahlweise „ihr seid doch krank“. Spaß gemacht hatte es trotzdem, vor allem weil diese Aktion von der Vorbereitung und der Durchführung gemeinsam mit Leuten aus der Unterkunft lief und ihnen sichtlich viel Spaß bereitete. Gerüchten zu Folge zog anschließend eine kleine antirassistische Demonstration durch Mühlhausen, die Bewegungsfreiheit für alle forderte.
Mittwoch wurde dann wieder gemeinsam gekocht, netterweise wurde uns wieder ein Raum zur Verfügung gestellt, diesmal die Dorfschenke in Felchta. Die Asylsuchenden aus der Unterkunft kamen zahlreich, die Leute aus dem Ort eher weniger. Spontaneität gehört auch nicht zu den deutschen Tugenden.
Nächstes Ziel der Tour war Gerstungen im Wartburgkreis. Gerstungen ist die Heimstatt von „Rudi, der Rutsche“, dem Preis für das erfolgreiche Abschneiden des örtlichen Schwimmmeisters beim MDR- Triathlon diesen Sommer. Des Weiteren befindet sich in Gerstungen eine Gemeinschaftsunterkunft mit 120 Plätzen, in der viele Familien mit Kindern leben. In Gerstungen schilderte ein Vater, dass er mit seiner fünfköpfigen Familie in nur einem Zimmer auf gerade einmal 30 m2 lebt. Die Unterkunft befindet sich direkt neben den Bahnschienen. Der Weg über diese stellt leider auch den kürzesten sowie gefährlichsten Weg in die Stadt dar, die offizielle Wegführung bedeutet 20 min länger unterwegs sein.
Ein Asylsuchender erzählte auch, dass er sich eigentlich wünschen würde, dass die Dorfbevölkerung gegen die Unterkunft demonstrieren und sich wehren würde, weil dies der schnellste Weg wäre, dass sich irgendetwas an der abgelegenen Unterbringung und in Richtung Schließung der GU verändern würde.
In Gerstungen endete am 20. August die Tour mit vielen Eindrücken, vielen getauschten Telefonnummern und dem Gefühl, dass das noch lange nicht reicht. Was wir machen konnten, ist immer wieder die Telefonnummern vom Flüchtlingsrat Thüringen e.V. sowie The Voice zu verteilen, das Gefühl zu vermitteln, dass es nicht allen egal ist, was in diesen abgelegenen Unterkünften passiert und das Thema immer wieder in die Zeitung zu bringen.
Wir fordern die Abschaffung aller diskriminierenden Regelungen für Asylsuchende und die Möglichkeit kostenloser Deutschkurse auch für Menschen im Asylverfahren.