Gemeinschaftserlebnis Kindesmissbrauch
Wie die Antifa Suhl/Zella-Mehlis auf Indymedia berichten, haben Nazis im südthüringischen Zella-Mehlis mit einigem Erfolg den Tod eines Kindes für eine Kundgebung instrumentalisiert:
Z.-M.: Gemeinschaftserlebnis Kindesmissbrauch
Samstag, 25. Juni, 20.30 Uhr. In der Mehliser Struth versammeln sich am Parkplatz des Netto-Markts ca. 400 Menschen. Sie waren einem von Nazis gestarteten Aufruf gefolgt. Nur etwa die Hälfte von ihnen ist der regionalen Nazi-Szene zuzurechnen. Nun feiert die NPD bereits den Mobilisierungserfolg des „nationalen Widerstands“. Was war passiert?
Bereits am Freitagnachmittag verschwand in Zella-Mehlis ein siebenjähriges Kind auf dem Nachhauseweg. Einen Tag später wurde das Kind tot im Wald aufgefunden. Noch bevor die Todesursache, über die vorerst seitens der Polizei geschwiegen wurde, bekannt wurde, starteten Neonazis aus der Region einen Aufruf für einen Trauermarsch in Zella-Mehlis im Internet, vor allem über soziale Netzwerke. Diesem Aufruf folgten ca. 400 Personen, unter ihnen Nazis aus der Region und BürgerInnen aus der Zella-Mehliser Bevölkerung. Medien, wie Freies Wort bis hin zur Bild-Zeitung schrieben sogar von 700 Marschierenden und berufen sich dabei wohl auf Angaben der Polizeiinspektion Suhl. Das Freie Wort berichtete von einem kurzfristig anmeldenden Bürger. Dass dieser Bürger der bekannte Neonazi Sven Dietsch aus Meiningen war, wusste das Lokalblatt nicht zu berichten, wahrscheinlich weil auch hier die Angaben der Polizei Suhl nicht hinterfragt wurden. Auch sonst fiel in den Medien kein kritisches Wort über diesen völkischen Mob, der am Abend mit Fackeln durch Zella-Mehlis marschierte, weil er meinte zu wissen, das tote Mädchen sei Opfer eines Sexualdelikts.
Was die Nazis hier im Sinn hatten und womit sie offensichtlich schlagenden Erfolg hatten, war die Instrumentalisierung des vermeintlichen Kindesmissbrauchs für ihre Zwecke, wobei keineswegs gesagt werden soll, dass das, was bei solchen Veranstaltungen gefordert wird, nicht mehrheitsfähig in der Normalbevölkerung ist. Unter populistischen Parolen, wie „Todesstrafe für Kinderschänder“, u.ä. lässt sich der völkische Mob noch aus den Häusern locken. Die Gründe warum neben den Nazis so viele BürgerInnen aus Zella-Mehlis und Umgebung an dieser Verhöhnung der Toten und ihren Angehörigen teilnahmen, sind komplexer. So dient das kollektive Bekenntnis zum „Opferschutz“ oder zur Todesstrafe dazu ein „Wir“ zu etablieren, aus dem potentielle Täter bereits ausgeschlossen sind. Diese plumpe Formation widerspricht dabei schon allen empirischen Erkenntnissen über sexuelle Gewalt an Kindern. Diese wird fast ausschließlich von familienangehörigen oder der Familie nahe stehenden Männern begangen. Diese Familienväter, Brüder, Nachbarn und Arbeitskollegen kommen aus allen sozialen Schichten und sind vor der Skandalisierung der Tat ganz „normale“ Männer. Sie geben im Missbrauch gegen Kinder ihren, den „normalen“ patriarchalen (Ungleichheits-)Verhältnissen nachempfundenen, sexuellen Wünschen und Begierden nach Ausübung von Macht und Gewalt nach. Diese Wünsche und Begierden der Täter und potenziellen Täter sind so gesellschaftlich bedingt, wie die Täter selbst. Sie stehen und fallen mit der Gesellschaft in der sie entstehen und die weder von den demonstrierenden Nazis (die ihre regressivste Seite nur verstärken wollen) noch von den Bürgern in Frage gestellt wird.
Diese Menschen machten die mutmaßliche Ermordung eines Kindes, die eher ein Grund ist, um nachdenklich zu werden und in sich zu gehen; sich zu überlegen, warum diese Gesellschaft Mörder und Vergewaltiger, genauso wie Nazis im Übrigen, erst hervorbringt, zu einem Gemeinschaftserlebnis, in dem es um nichts anderes geht, als ein kollektives Glaubensbekenntnis eines der regressivsten Teile der Gesellschaft. In Zella-Mehlis kam am vergangenen Samstag zusammen, was alliierte Bomberflotten und Panzerverbände einst auseinander schossen: die alle Unterschiede zu einem Einheitsbrei nivellierende Volksgemeinschaft. Sie alle nutzten die Ermordung eines Kindes, um sich gegenseitig ihrer moralischen Überlegenheit zu versichern: Nazis, die gewöhnlich dann gern Kinder misshandeln, wenn sie bunte Haare oder dunkle Haut haben, Eltern, die ihre Kinder durch erzieherische und normierende Gewalt in die antagonistische Gesellschaftsordnung zwingen und einfach Menschen, die nicht unbeteiligt bleiben wollen, wenn die Volksgemeinschaft gegen soziale Außenseiter zusammensteht.
Der Ruf nach härteren Strafen bis hin zur Ermordung von Kinderschändern, wobei im jetzigen Fall bis zum heutigen Zeitpunkt nicht klar ist, ob eine Schändung stattfand (so spricht dagegen, dass die Leiche bekleidet aufgefunden wurde), vereint Nazis und die Mehrheit der bürgerlichen Gesellschaft und ist daher ein Lieblingsthema der NPD. Hier lassen sich noch WählerInnen gewinnen. Dass Mörder und Vergewaltiger von dieser Gesellschaft erst hervorgebracht wurden durch Sozialisation und Erziehung und diese keineswegs als solche auf die Welt kamen, interessiert den Messer wetzenden Deutschen, der sich betroffen und ängstlich wähnt, nicht. Dabei ändert der Mord am Täter nichts an der Gesellschaft, die Mörder und Vergewaltiger hervorbringt. Auch das tote Kind wird nicht wieder lebendig und selbst das vielfach bemühte Argument der Abschreckung auf potentielle Täter ist keines, was mehrere Studien bereits bestätigten. Sogenannte „Triebtäter“ handeln oft nicht aufgrund rationaler Überlegungen und kalkulieren die mögliche Strafe nicht in die Handlung ein. Auf die völkische Gemeinschaft von Zella-Mehlis, die hier „Opferschutz statt Täterschutz“ einfordert und eine Bedrohung durch Kinderschänder beschwört, trifft, wie so oft, eine Bemerkung Wolfgang Pohrts ins Schwarze: „Wenn die Deutschen jammern, dass sie sich umzingelt, bedroht, gedemütigt, deprimiert und übervorteilt fühlen, dann tragen sie den Angriffsplan bestimmt schon in der Tasche.“ Dieser Angriffsplan besteht im Ausschluss jedes Zweiflers aus der völkischen Gemeinschaft der vermeintlichen Kinderschützer und darin wieder die Todesstrafe zunächst für vermeintliche und wirkliche Kindermörder einzuführen, um dann vielleicht mal weiter zu schauen, wer die Gemeinschaft der Deutschen noch bedroht. Dann geht es wieder gegen Asylbewerber, Juden oder Punker.