Anarchie ist drin, Frau Nachbarin
Mensch kennt das: Kaum sagt jemand Anarchie, erwiedert wer anderes „Das geht doch sowieso nicht“. Womit die Diskussion sogleich ins Reich der Hypothesen und Visionen verwiesen wäre — wenn es nicht gleich darum geht, sich darüber zu streiten, ob Machbarkeit nicht schon ein Problem per se ist. Als Beleg für die konkrete Machbarkeit anarchistischer Entwürfe zieht mensch dann vielleicht noch die Machnowstschina oder Spanien 1936 heran. Wissen darüber, wann und wo Menschen sich entschlossen haben, ohne Staat und Herrschaft zu leben und wie sie dann ihre Angelegenheiten geregelt haben, gibt es kaum.
Wer das bedauert, kann sich im Infoladen das Buch „Völker ohne Regierungen. Eine Anthropologie der Anarchie“ ausleihen. Das stellt aus anthropologischer Sicht fast 30 Konstellationen vor, in denen sich Menschen ohne Regierung und Staat organisiert haben. Dazu gibt es einen 50seitigen Theorieteil „Über das Wesen der Anarchie“. Das Bändchen ist (wie fast alle Bücher hier) schon etwas angestaubt, was man auch am Begriff „Völker“ merkt, den heute wohl kein anarchistisches Werk im Titel führen würde. Auch ist es sicher möglich, dass der anthropologische Blick zu Eurozentrismus und zur Romantisierung des „einfachen Lebens“ neigt und dass bei weitem nicht alle vorgestellten Modelle sonderlich emanzipatorisch sind.
Aber Egal. Wer nach Antworten auf die Aussage „Das geht doch sowieso nicht“ sucht, kann das Buch ja ausleihen und lesen. Und eine richtige Rezension schreiben. Oder eine kleine Lesung im Veto machen.
Harold Barclay; Völker ohne Regierung. Eine Anthropologie der Anarchie. Berlin 1985. Signatur A19
Wir erfassen gerade unseren Buchbestand elektronisch. Kann gut sein, dass wir in loser Folge auf besonders bemerkenswerte, skurrile oder lesenswerte Bücher hinweisen.