Begegnungen in Buchenwald
Wir dokumentieren einen Bericht des Arbeitskreis „Erinnern“ aus Kassel über den Besuch der Gedenkstätte Buchenwald:
Der Arbeitskreis „Erinnern“ aus Kassel führte am 07.07.2013 im Rahmen eines Bildungswochenendes einen Besuch der Gedenkstätte Buchenwald durch. Bereits bei Ankunft fielen den Mitgliedern zwei Personen auf, die aufgrund ihrer Kleidung der Marke Thor Steinar eindeutig der Neonazi-Szene zuzuordnen waren. Diese fotografierten sich gegenseitig, wie sie sichtlich belustigt vor der Abbildung eines Häftlings an der Außenwand des Informationsgebäudes posierten.
Dem Hinweis der Gruppe an die Hauptinformation folgte die Zusicherung, dass der Sicherheitsdienst des Hauses sich des Problems annehmen würde. Eine halbe Stunde später etwa stellte der AK „Erinnern“ jedoch fest, dass sich die besagten Personen weiterhin unbehelligt über das Gelände bewegten, bis sie ihren Besuch der Gedenkstätte aus eigenem Willen beendeten.
Im Laufe der Führung, an welcher die Gruppe teilnahm, wurden zwei weitere durch Kleidung und Tätowierungen klar als Neonazis erkennbare Personen beobachtet, wie sie den Weg in Richtung des Lagertors entlang liefen. Insbesondere der T-Shirt-Aufdruck, den beide Personen trugen, welcher u.a. ein deutsches Maschinengewehr 42 (MG-42) zeigte, fiel der Gruppe auf und sorgte aus dem historischen Zusammenhang heraus für Empörung. Die beiden durchschritten das Lagertor zunächst ungehindert. Der Tourguide teilte die Einschätzung des AK „Erinnern“ und forderte das anwesende Sicherheitspersonal auf, die Hausordnung durchzusetzen, nach der es nicht gestattet ist, „…Kleidungsstücke und Symbole, deren Herstellung oder Vertrieb nach allgemein anerkannter Ansicht im rechtsextremen Feld anzusiedeln sind“, zu tragen. Der Sicherheitsdienst bestand lediglich darauf, dass einer der beiden das T-Shirt umdrehen musste.
An diesem Verhalten des Sicherheitsdienstes nahmen die Mitglieder des AK „Erinnern“ Anstoß und sprachen einen Mitarbeitenden des Sicherheitsdienstes an. Obwohl nochmal explizit auf die Hausordnung hingewiesen wurde, war das Sicherheitspersonal nicht bereit, weitergehende Maßnahmen gegen die Neonazis einzuleiten. Die Maßnahmen seien angemessen und müssten so akzeptiert werden. Stattdessen drohten sie den Mitgliedern des Arbeitskreises in aggressiver Weise mit dem Verweis vom Gelände; die Weichen dafür seien bereits gestellt. Trotz schwerer Bedenken, entschied sich der AK die Führung über das Gelände fortzusetzen. Daran war nicht mehr zu denken, als der AK ca.15 Minuten später im Gebäudes des Krematoriums die nächste unzumutbare Situation vorfand: Eine vergleichsweise unauffällige Familie wurde dabei angetroffen, wie sie in die Öfen des Krematoriums hinein lachte und sich gegenseitig in verschiedenen Posen unter anderem im Leichenaufzug im Keller fotografierte. Auf den Hinweis, dass sie mit ihrem Verhalten die Totenruhe störten, reagierten sie uneinsichtig und aggressiv. Es handele sich schließlich um ganz normale Fotos. Im Einvernehmen mit dem Tourguide entschied der AK für sich, dass ein angemessenes Gedenken nicht weiter möglich sei und brach die Führung ab.
Auf dem Rückweg zum Parkplatz trafen nach und nach mehrere Fahrzeuge der Polizei ein. Diese ignorierten jedoch die neben ihnen parkenden Neonazis und beobachteten stattdessen die Mitglieder des AK „Erinnern“. Dadurch entstand der Eindruck, dass die Polizei nicht gerufen wurde, um sich der Neonazis anzunehmen, sondern um den AK unter Beobachtung zu stellen. Erst nachdem die Neonazis den Parkplatz verlassen hatten und sich der AK im Gespräch mit zwei pädagogischen Kräften der Gedenkstätte befand, verließen die Polizisten ebenfalls das Gelände.
Der Arbeitskreis „Erinnern“ fordert, dass das sicherheitstechnische Konzept der Gedenkstätte grundlegend überarbeitet wird bzw. die Hausordnung und die Umsetzung derselben den geschilderten Vorfällen angepasst wird. Dazu gehört eine Sensibilisierung der Mitarbeitenden des Sicherheitsdienstes und eine regelmäßige und vor allem verbindliche Schulung in rechter Symbolik sowie ein konsequentes Hausverbot für Neonazis und Menschen mit erkennbarer rechter Gesinnung. Auch ein Verhalten, das ein würdiges Gedenken stört, muss zum Ausschluss führen. Insbesondere der Schutz der Totenruhe im Krematorium ist unter den gegebenen Umständen nicht gewährleistet; ein Schild mit der Bitte um Achtung der Totenruhe ist einfach zu wenig. Für große Irritation sorgt beim Arbeitskreis außerdem die Auskunft seitens der Gedenkstätte, dass solche Art von Vorfällen äußerst selten seien. Angesichts von drei bemerkten Vorfällen innerhalb von zwei Stunden ist das schwer zu glauben. Offensichtlich sind nur sehr wenige Besucher_innen bereit, auf solche Vorfälle und Personen hinzuweisen. Angesichts der Ausmaße der Gedenkstätte muss es technische Vorrichtungen zur schnellen Meldung geben – und diese Meldung sollte vor allem direkt bei der Gedenkstättenleitung gemacht werden können. Abschließend fordert der AK „Erinnern“ eine Weisungsbefugnis der pädagogischen Kräfte gegenüber dem Sicherheitsdienst.
Gedenkstätten sind keine Vergnügungsparks für Neonazis und Uneinsichtige.
Arbeitskreis „Erinnern“ Kassel, den 09.07.2013