BürgerIn-Versammlung zu zukünftigem Heim für Geflüchtete – ein Rückblick
„Erfurt plant neue Unterkunft für Flüchtlinge in belebtem Viertel“ so schmierte es Timo Götz in die Thüringer Allgemeine. Flüchtlinge? Dazu noch in einem belebten Viertel? Skandal! Und so hielt es Sozial- und Kulturbürgermeisterin Tamara Thierbach für nötig in die Aula der Bechstein-Schule zur EinwohnerInnen-Diskussion über das Flüchtlingsheim, was im Haus nebenan demnächst eröffnet werden soll, einzuladen. Hier in der Hans-Sailer-Str. sollen 46 Flüchtlinge in 14 Wohnungen untergebracht werden.
Wie geht man da geschickt vor? Man weist zu Beginn erst einmal geflissentlich alle Verantwortung von sich: „Die Stadt kann es sich nicht aussuchen, ob sie Flüchtlinge aufnimmt“ so Thierbach. So muss man keine Stellung beziehen, so braucht man kein Rückgrat zeigen, nein man kann dankbar auf den Rechtsweg verweisen.
Natürlich ist es auch eine wichtige Aufgabe, den Flüchtlingen zu helfen, sich hier zurecht zu finden, Flüchtlingen „die vielleicht noch nicht mal wissen, wie man Straßenbahn fährt.“ Tamara Thierbach weiß das und hat Leute auf das Podium gesetzt, von denen die Hälfte aber gar nichts sagen wird. Als Publikum und FragestellerInnen haben sich um die 100 Menschen zusammengefunden.
Ralf Weber, Vorsitzender der Interessengemeinschaft Magdeburger Allee, beschwert sich sogleich: „zu einer Willkommenskultur, dazu gehört auch eine Kommunikationskultur“ und bemängelt, wie andere Geschäftsleute auch noch, dass die Veranstaltung mit 17:00 Uhr viel zu früh für die arbeitende Bevölkerung angesetzt sei. Leute in ihren Geschäften hätten sich aufgeregt: „Wir kriegen ein Asylantenheim.“ und Keiner wußte davon.
Am Montag hatte es bereits eine Begehung des Hauses gegeben, worüber auch die Lokalpresse berichtete. Darin wurde eine Teilnehmerin zitiert mit den Worten:
„Wenn eine Familie aus Bayern hierher zieht, wird doch vorher auch keine Bürgerinformation gemacht.“ Nun meldet sich in der Diskussion ein älterer Mann aus dem Lärchenweg, ein Herr Rohr, und sagt hocherregt, dieser Vergleich mit den Bayern sei „infam“. Warum, das vermag er nicht zu beantworten.
Sodann äußern einige BürgerInnen die Frage, warum die Geflüchteten denn ausgerechnet hier im Viertel untergebracht werden müssten und nicht woanders in Erfurt. Thierbach hat für noch jeden Rassismus Verständnis und erklärt, wie sie ratlos mit Pinn-Nadeln vor der Stadtkarte stand und aber auch feststellte, es gebe „keine Häufungen“. Dann beschreibt ein Herr Stark, wohnhaft gegenüber der Flüchtlingsunterkunft das Haus als klein und ohne Hof. Dann spiele sich doch alles draußen ab auf der Straße und der Grünfläche. „Migranten“, die jetzt schon da wohnen, hätten einmal „bis nachts um 3 gefeiert.“ Stolz fügt er hinzu: „Ich habe ein Video!“ Wenn jetzt Flüchtlinge kommen „glauben Sie im Ernst, die halten sich an die Nachtruhe?“ Die Linken-Politikerin Thierbach biedert sich an, biedert sich gerne an: „Ich verstehe Ihre Angst!“ Es gebe eine Sozialarbeiterin für die Heimbewohner und die Grünfläche ist auch kein Problem mehr – sie wird bebaut.
Ein Pärchen sorgt sich, dass wenn die ganzen Familien der Flüchtlinge auch nach Deutschland kommen, das Heim dann überlastet sei. Jemand vom Podium stellt klar, dass diese „Sorge“ unbegründet ist. Ein Mann aus der Tiergartensiedlung steht auf und bezeichnet es als „Frechheit erst nach der Wahl informiert zu werden“, es gebe immer mehr Einbrüche, die Polizei komme aber gar nicht mehr, die müsse man dreimal anrufen. Da wo Ausländer sind, da steigt die Kriminalität. „Falsch, falsch“ rufen ihm sofort einige entgegen.
Am deutlichsten Stellung gegen die RassistInnen nimmt dann der Thüringer Linken-Chef Bodo Ramelow. Es gehe hier um 46 Menschen, „die um ihr Leben kämpfen.“ Wenn Deutsche feiern, wie z.B. an Himmelfahrt, dann tun sie das auch egoistisch. „Ich habe noch nie so eine Debatte gehört, wenn ein Altenheim gebaut wird. Komisch.“ In Erfurt wohnten auch 800 russische Juden, die mittlerweile gut integriert sind.
Ein jüngerer direkter Nachbar begrüßt die Flüchtlinge, findet aber ihre Unterbringung „auf so engem Raum menschenunwürdig“, wie im „Kanarien-Kasten“ und beklagt, dass die Stadt in den letzten Jahren sinnlos Immobilien verscherbelt habe. Birgit Vogt vom Kontakt in Krisen e.V. wünscht sich dann, dass Aufnahme und Ankommen gelingen, Leute, die „alles verloren haben“ sollen „ein kleines bisschen Heimat spüren“. Dann meldet sich Bernd Sprenger – er hat 4 Jahre in Syrien gelebt und das als „ein sehr gastfreundliches Land kennengelernt“. Er bietet, gefolgt von einigem Applaus, Thierbach an, mit seiner Familie die Patenschaft für eine syrische Familie zu übernehmen.
Nun erzählt die Studierende Madine Yuilmaz von den Diskriminierungen, die ihr in Erfurt entgegenschlagen, sagt, dass Vorurteile eskalieren und fordert: „Versuchen Sie, die Menschen näher kennen zu lernen!“ Eine Frau meldet sich und sagt, sie sei froh, dass keiner der Geflüchteten der Diskussion hier zuhören musste. Die Bilder in der Tagesschau sollten Mitleid auslösen. „Zeigen Sie Herz!“ ist ihr Appell. Eine andere Frau steht auf und sagt, sie verwehre sich dagegen in die „fremdenfeindliche Ecke“ gestellt zu werden. „Als Anwohner… keiner hat mit uns gesprochen…“ und als die Diskussion schon weitergeht, ruft sie noch völlig au0er sich: „Das ist so unverschämt.“
Frau Güldner, die Betreiberin des Seniorenheims, erzählt von ihren guten Erfahrungen mit migrantischen Beschäftigten, sie sind „integriert“, alle gehen sehr „lieb“ mit den alten Menschen um, darunter auch die mit Kopftüchern. „Gebt ihnen eine Chance!“
Ein Mann in grünem Hemd, stemmt die Hände in die Hüften, stellt sich vor Tamara Thierbach und sagt, er heiße Stuchard und sei Anwohner. Warum gäbe es denn im Südviertel kein Heim? Schwer atmend fragt er weiter: „Was wird mit unserem Eigentum?“ Das verfällt doch um 50%, wenn erst „das Kolping-Werk, dann zwei Heime“ hier herkommen. Er scheint die Welt nicht mehr zu verstehen, aber dessen ist er sich sicher.
Zum Schluss lobt der Vorsitzende des Ausländerbeirates, José Manuel Paca, die Demokratie und sagt: „Kein Mensch ist eine isolierte Insel.“
Nach der Veranstaltung gehen die Diskussionen in kleinen Grüppchen weiter: Eine Vertreterin der TLZ wird wegen des besagten Artikels von einem Mann vollgemotzt. Als er geht, sagt er wütend: „Politiker sind Scheiße und die Presse auch.“ Sie wird später schreiben, dass sie sich wegen des „direkten oder auch versteckten Fremdenhass“ „90 Minuten lang als Erfurterin fremdgeschämt habe“.
Am Ausgang verteilt jemand an die AnwohnerInnen die Broschüre von Flüchtlingsrat und DGB „Flucht und Asyl in Thüringen“. Ob die Fakten darin helfen werden, Rassismus zu reflektieren? Selbst ein Stückchen weiter draußen im Park, den es nicht mehr lange geben wird, diskutieren mehrere Leute mit einem rassistischen Anwohner. Wenngleich ohne großen Erfolg, er malt für sie das Bild von der „sozialen Hängematte“, die auf die Geflüchteten warte.