Brauner Mai in Thüringen: Auswertung des Ersten-Mai-Wochenendes
Im Folgenden findet ihr eine erste Auswertung des ersten-Mai-Wochenendes in Thüringen. Zusammenfassend lässt sich bereits sagen, dass das Wochenende für die Neonazis ein ziemlicher Erfolg war: Gewaltausbrüche in Weimar und Saalfeld und insgesamt vier Demonstrationszüge (1. Mai Saalfeld, 1. Mai Erfurt, 2. Mai Erfurt, 3. Mai Hildeburghausen), die nicht verhindert werden konnten. Angesichts des katastrophalen Polizeikonzepts (Vertrauen wir nicht den Bullen, dann können sie uns auch nicht enttäuschen) und der offensichtlichen Gewaltbereitschaft der Neonazis muss eine Lehre aus diesem Wochenende sein, antifaschistischen Selbstschutz wieder besser zu organisieren.
1.Mai Saalfeld: Gewaltausbrüche bei größtem Neonazi-Aufmarsch am Maifeiertag in Deutschland
Der 1. Mai in Saalfeld kündigte sich schon lange im Voraus als ein Kraftakt für die Proteste gegen den Aufmarsch der neonazistischen Sekte „III. Weg“ an – darin haben uns die Erlebnisse nicht enttäuscht: Etwa 600 Neonazis brachten ihren Hass in die Stadt, die inklusive Umgebung Schwerpunktregion des im Zuge der Aufdeckung des NSU bekannt gewordenen „Thüringer Heimatschutzes“ war. Passend dazu war Maik Eminger, Bruder des neben Beate Zschäpe in München angeklagten mutmaßlichen NSU-Helfers Andre Eminger, als Redner auf der Nazidemo angekündigt.
Am Morgen des 1. Mai kamen am Saalfelder Bahnhof mehrere hundert Antifaschist*innen nicht nur aus Thüringen zusammen, um unter dem Motto „Gemeinsam gegen den Neonazi-Aufmarsch! Für eine solidarische und vielfältige Gesellschaft statt Rassismus und NS-Verherrlichung. Refugees welcome!“ gegen den zeitlich nachfolgenden Naziaufmarsch zu protestieren. In Redebeiträgen äußerte sich die ganze Breite des Bündnisses während der Startkundgebung. Ein Ausschnitt: Antifaschist*innen aus Bitterfeld machten auf ihre Situation aufmerksam und mobilisierten für den 10. Mai zu einer übergionalen Antifa-Demo nach nach Bitterfeld und der Infoladen Sabotnik (Erfurt) machte auf die Proteste gegen den Nazi-Hool-Aufmarsch am Folgetag in der Landeshauptstadt aufmerksam.
Die Demo zog begleitet von einem Polizeispalier bis zum Marktplatz in die Innenstadt, wo sich Bürgermeister und Vertreter*innen der Parteien, Gewerkschaften und Kirchen vom Demonstrationszug absetzten. Die „Meile der Demokratie“ hinter sich lassend zogen Antifaschist*innen weiter zum Klubhaus, einem wichtigen soziokulturellem Treffpunkt Saalfelds, wo eine weitere Zwischenkundgebung stattfand. Von dort entfernte sich ein Großteil der Demonstrationsteilnehmer*innen, die im weiteren versuchten auf die bis dahin geplante Route der Nazis zu gelangen.
Währenddessen reisten hunderte Neonazis aus Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Sachsen,Sachsen-Anhalt und Thüringen an. Die mit Zügen angereisten Nazis zogen in Großgruppen, teilweise ohne Polizeibegleitung, vom rechten Saalfeufer quer durch die Innenstadt zu ihrem Startkundgebungsort.
Während die antifaschistische Demonstration großzügig von Bullen begleitet wurde, schaffte es die Einsatzleitung nicht, die gewalttätigen Nazis abgesichert durch die Stadt und an zahlreichen, zum Teil auch städtischen, Protestkundgebungen vorbei zu führen. Das polizeiliche Konzept ermöglichte an diesem 1. Mai in Saalfeld, dass Nazis drohend und skandierend durch die Stadt zogen und dabei lebensgefährliche Übergriffe gegen ihre Gegner*innen verüben konnten. Selbst die Journalist*innen, die sich auf der Startkundgebung der Nazis aufhielten, beschlossen, den Bereich zu verlassen, da sie sich von den Bullen nicht genügend geschützt fühlten (an dieser Stelle sei hingewiesen auf ein aktuelles Interview über Journalisten bei Neonazi-Aufmärschen). Eine durchgehende Berichterstattung vom Naziaufzug wurde damit verunmöglicht.
Es uniformierten sich mehrere hundert Neonazis mit roten T-Shirts des „III. Weg“ und zogen dann ihre abgesperrte Route entlang. Sie riefen unter anderem „1. Mai –seit ´33 arbeitsfrei!“ (siehe Bild unten). Antifaschist*innen standen an verschiedenen Abschnitten in Sicht- und Hörweite, um den braunen Aufzug zu beschallen. Dabei wurden die Protestierenden von mindestens einem Nazifotografen massiv fotografiert. Obwohl die Versammlungsleiterin der bis dahin bestehenden Kundgebung, Katharina König, die Bullen mehrfach darauf hinwies, wurde dieser nicht entfernt. Sie machte stark, dass im Falle des Abfotografierens durch Nazis Vermummung keine strafrechtlich relevante Tat der Versammlungsteilnehmer*innen ist. Viele Antifaschist*innen machten davon Gebrauch und wunderten sich an diesem Tag auch nicht mehr darüber, dass dem Nazifotografen mit einem nicht gültigen Presseausweis – ausgestellt vom Dritten Weg – von den Bullen gestattet wurde, ihre Teilnahme zu dokumentieren. Vermummung wurde damit zum eigenen Schutz zu einer wichtigen Aktionsform in Saalfeld.
Die Nazi-Route wurde von den Bullen vermutlich bereits im Vorfeld verkürzt, in dem Gitter so umgestellt wurden, dass Gegendemonstrant*innen sich davor stellen konnten, was zu Unmut unter den Nazis führte. Während die Bullen die Gegendemonstrant*innen belagerten, lösten die Nazis ihre Spontanversammlung auf und brachen zu 300 aus ihrem Zug aus, um sich im angrenzenden ungeschützten Wohngebiet zuverteilen. Es kam zu Tumulten zwischen Nazis und Bullen, bei dem eine Tränengasgranate zum Einsatz kam – was die Bullen jedoch bis heute bestreiten. Vielleicht deshalb, weil in örtlicher Nähe ein Seifenkistenrennen im Dürerpark stattfand. Laut der Beobachtung einiger Antifaschist*innen wurden auch teilnehmende Kinder durch das Reizgas in Mitleidenschaft gezogen.
Währenddessen postierten sich zwei Trupps der Landespolizei Thüringen in unmittelbarer Nähe der Antifaschist*innen und konzentrierten sich auf diese, anstatt die wütenden Nazis in den Griff zu bekommen. Diese zogen daraufhin zum Klubhaus, um dieses anzugreifen. Geistesgegenwärtige Antifaschist*innen bewegten sich sofort in Richtung Klubhaus, wo es zu Rangeleien mit den Bullen kam, in deren Rücken die Nazis sich weiterhin feierten und offensiv ihre Nazipropaganda herausschrieen. Nachdem die Bullen die Nazis wieder zusammengetrieben hatte,meldeten diese eine weitere Versammlung an, die sie begleitet durch die Innenstadt zurück zum Bahnhof bringen sollte. Dagegen war die offizielle Demonstrationsroute der Nazis eher unattraktiv, sodass sich die eigentliche Abreise zu einem prominenten Aufmarsch durch die Innenstadt wandelte.
Was die Bullen an diesem Tag nicht verhinderten, ermöglichten sie den Nazis und ließ sie damit davonkommen. Obwohl von den Nazi-Gruppen aus offensichtlich verschiedene Straftaten (zum Teil schwere Körperverletzungen,Volksverhetzung, Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen und Symbole, Landfriedensbruch, etc.) verübt wurden, schickten sich die Bullen nicht an, den Nazis den Zugang zur Auftaktkundgebung zu verwehren. Die Polizei zeigte an diesem Tag mal wieder, wessen Geistes Kind sie ist. Ihr Einsatzkonzept ermöglichte den Nazis Hetzjagden und gewalttätige Übergriffe auf ihre politischen Gegner zu verüben, deren Dokumentation ein purer Zufall ist.
Eddy Krannich Pressesprecher der Landespolizeiinspektion Saalfeld dazu „Konzept und Ziel der Polizei war es gewalttätige Auseinandersetzungen zu verhindern und zuerreichen,dass unmittelbar verfeindete Lager […] direkt aufeinandertreffen. Das ist uns durch eine räumliche Trennung der Versammlungsteilnehmer […] gelungen. Es gab kein direktes Aufeinandertreffen […]“ (ab Minute 01:17). Jens Kehr, Polizeiführer am 1.Mai in Saalfeld, zum Angriff der Nazis auf die Gruppe Punks „Das hat sich ein Stück weit dynamisch ergeben […].Fakt war,wir hatten dann plötzliche eine Gruppe von fünfzig bis hundert rechten Veranstaltungsteilnehmern für die wir für die Begleitung keine Kräfte mehr hatten“ (ab Minute 00:44).
Laut Presseberichten hat es im Laufe des Tages Identitätsfeststellungen von einigen Nazis gegeben, ob darunter diejenigen ausfindig gemacht werden können, die mehrere junge Menschen schwer verletzten, wissen wir nicht. Bei Twitter machte sich die Thüringer Polizei abermals lächerlich, als sie mit dem „Freien Netz Hessen“ (FN Hessen) direkt kommunizierte und gerichtet an die militanten Nazis hilflos schrieb „Bleibt friedlich!“. Später tweetete „FN Hessen“ im Sprach- und Symbolgebrauch des Nationalsozialistischen Untergrundes, dessen Bekennervideos den Zeichentrickfilm „Pink Panther“ verwendeten,und kündigten an „Wir kommen wieder – keine Frage!“ (siehe Bild unten). Auch in ihrer Auswertung zum Einsatz in Saalfeld lässt es sich die Landespolizeiinspektion Saalfeld nicht nehmen, von einem gelungenen Tag zu sprechen, an dem beide Lager getrennt werden konnten und somit gewalttätige Zusammenstöße ausblieben. Lediglich am Rande seien 3 Menschen durch Flaschenwürfe von Nazis leicht verletzt worden.
Friedlich und aus antifaschistischer Sicht erfolgreich war dieser Tag ganz bestimmt nicht. Wie der Vorbereitungskreis der antifaschistischen Proteste wünschen auch wir allen Menschen, die an diesem Tag von Nazigewalt betroffen waren und auch sonst sind, gute Besserung und viel Kraft! Wir lassen uns nicht einschüchtern, wir vernetzen und organisieren uns und bleiben stark in unserem Widerstand! Für uns kann das nur heißen, die Geschehnisse an diesem 1. Mai ernst zu nehmen: Der Staat in seinen verschiedenen Institutionen wird uns nicht vor der Gewalt der Nazis schützen. Wir rufen seine exekutiven Schergen der Polizei nicht an, sondern appellieren, dass konsequenter Antifaschismus von der Straße– von uns – ausgehen muss! Wir müssen andere und uns selber schützen, dürfen uns dabei nicht auf Vertreter*innen der Polizei, Justiz oder parlamentarischen Politik verlassen. Antifaschistischer Selbstschutz muss organisiert sein! Dann kann Antifa auch Angriff heißen!
FN Hessen auf Twitter
NSU-Bezug des FN Hessen auf Twitter
Siehe außerdem: Fotostream 01. Mai Saalfeld
1. Mai Erfurt: Aufmarsch von 200 NPD-AnhängerInnen
Am 1. Mai demonstrierte ein recht lahmer Haufen von etwa 200 NPD-AnhängerInnen unter dem Motto „Soziale Gerechtigkeit für alle Deutschen“ in Erfurt. Die Demo-Route war erst am Abend zuvor vom Oberverwaltungsgericht genehmigt worden und führte vom Spielbergtor hinter dem Bahnhof über den Schmidtstedter Knoten und über die Stauffenbergallee bis zum Leipziger Platz und zurück über die Thälmannstraße. Auf der Startkundgebung trat das Neonazi-Duo „A3stus“ auf, wobei die Start- und Endkundgebung von lauten Gegendemonstrant*Innen zu übertonen versucht wurde. Auch gab es bereits am Bahnhof, in der Straßenbahnunterführung, einen ersten Blockadeversuch von etwa 80 Gegendemonstrant*innen, die kurze Zeit den Straßenbahnverkehr lahmlegten. Daraufhin wurden die Nazis über den Südausgang zur Auftaktkundgebung gebracht. Bereits bei der Anreise der Nazis, wie auch später auf der Demonstration, wurden von Gegendemonstrant*innen mehrmals Hitlergrüße von NPD-AnhängerInnen beobachtet, worauf die Bullen auch nach Hinweisen augenscheinlich nicht reagierten.
Die Route der Nazis führte auf der Stauffenbergallee an zwei Geflüchteten-Unterkünften vorbei –dabei erschollen rassistische Parolen gegen Asylbewerber*innen. Dies ist in Anbetracht der andauernden rassistischen Hetze gegen Geflüchtete von Rechts – in der Nacht zuvor hatte es außerdem noch eine Farbattacke auf eine geplante Unterkunft in Erfurt gegeben– nichts als dreist und skandalös. Thügida war es im April angesichts von Drohungen gegen Asylbewerber*innen noch verboten worden, direkt vor Geflüchteten-Unterkünften zu demonstrieren. Diese Vorsicht schien am 1. Mai schon lange vergessen. Angst vor Bedrohungen und die Gefährdung der Bewohner*innen der Unterkünfte wurden offensichtlich ohne Bedenken von Versammlungsbehörde und Polizei in Kauf genommen. Einige wenige Gegendemonstrant*innen, die trotz Absperrungen vor der Geflüchtetenunterkunft ausharrten, sprachen Polizei und Versammlungsbehörde darauf an, die sich daraufhin jeweils gegenseitig die Verantwortung zuschoben.
Auf der NPD-Demo traten der ehemalige Bundesvorsitzende und heutige NPD-Europarlamentarier Udo Voigt, der mehrfach verurteilte Landesvize der NPD Thorsten Heise und Vertreter der JN aus Sachsen-Anhalt als Redner auf. Am Leipziger Platz wurde die Route der Nazis durch Sitzblockaden von etwa 200 Gegendemonstrant*innen etwas verkürzt – am Ende konnte die NPD trotzdem den Großteil ihrer Route laufen. Am Leipziger Platz gingen Polizisten gegen Demonstrant*innen vor, als Wasserbomben auf die Nazis flogen. Bei den Gegenprotesten gab es außerdem mindestens eine Gewahrsamnahme, bei der die Person leicht verletzt wurde – von weiteren Repressionsvorfällen ist auszugehen.
Neben Sitzblockaden beinhalteten die Proteste von insgesamt mehreren hundert Gegendemonstrant*innen die Samba Gruppe „Escola Popular“, sowie Gegenkundgebungen und Pfeifkonzerte entlang der Route. Im Vorfeld hatte am Morgen des 1. Mai eine etwas chaotische Antifaschistische Demonstration mit etwa 150 Teilnehmer*innen stattgefunden.
NPD-Aufmarsch am 1. Mai in Erfurt
Sitzblockade am Leipziger Platz
1. Mai Weimar: Angriff von 40 Neonazis auf DGB-Kundgebung
Die Geschehnisse in Weimar sind hinreichend bekannt und dokumentiert (siehe Lokalzeitungen, Indymedia 1, Indymedia 2). 40 Neonazis der JN aus Thüringen, Sachsen, Hessen und Brandenburg stürmten eine DGB-Kundgebung, bei der die Redner auf dem Podium auch tätlich angegriffen und teils leicht verletzt wurden. 29 Nazis konnten im Anschluss durch die Bullen festgesetzt werden, die restlichen Nazis haben sich wohl auf den Weg nach Erfurt gemacht. Aus unserer Sicht stellt das Stürmen von unliebsamen Veranstaltungen eine neue Aktionsform dar, schließlich hätten die Nazis in Thüringen zwei eigene Veranstaltungen besuchen können. Am gleichen Abend fand eine antifaschistische Spontandemonstration, organisiert durch das Bürgerbündniss gegen Rechts Weimar (PM des BgR zu den Geschehnissen in Weimar), statt, an der sich etwa 100 Menschen beteiligten.
2. Mai Erfurt: 270 Nazi-Hooligans ziehen durch Erfurt
Am Samstag ging das braune Thüringer 1. Mai-Wochenende in Erfurt in die dritte Runde. Hier versammelten sich bis zu 270 Nazis-Hooligans, welche dem Aufruf der Hogesa-Abspaltung „Gemeinsam Stark Deutschland“ gefolgt waren.
Im Vorfeld war durch das Platzverweis-Bündnis eine Vielzahl an Kundgebungen organisiert worden, die ab 11 Uhr Anlaufpunkte innerhalb der Stadt boten. Obwohl die Hooligans erst ab 14 Uhr ihre Veranstaltung angemeldet hatten, traf bereits gegen 11 Uhr eine erste Gruppe Nazis um Michel Fischer am Bahnhof ein und versuchte sogleich Journalist*innen und Antifaschist*innen anzugreifen. Erfurter Nazis reisten zu einem großen Teil aus Richtung Erfurt Süd-Ost an, wo sich das Nazizentrum Kammwegklause befindet (dort fand wohl vor der Demonstration ein Frühshoppen statt). Mit dem Zug anreisende Nazis wurden zuerst durch die Bullen im Bahnhofstunnel gesammelt, um geschlossen mit Straßenbahnen Richtung Auftaktort gefahren zu werden. Daraufhin blockierten 50 bis 60 Gegendemonstrant*innen kurzzeitig die Gleise. Erste Blockadeversuche wurde durch die Bullen mittels Schlagstöcken und Schmerzgriffen geräumt. Eine Straßenbahn mit lauten, agressiven Neonazis konnte zum Domplatz durchkommen. Die Bahn war vorher nicht geleert worden, sodass einige Fahrgäste sich in der Bahn bedroht fühlten. Weitere Blockaden waren erfolgreicher, sodass der Straßenbahnverkehr schließlich unterbrochen werden musste. Die darauffolgend ankommenden Nazis wurden daher auf dem Parkplatz der Bundespolizei direkt am Bahnhof gesammelt und zu Fuß in einem Wanderkessel über den Innenstadtring Richtung Domplatz geleitet. Hierbei zogen die Nazis, welche vorher am Bahnhof Schmährufe gegen den Staat Israel angestimmt hatten, an der Neuen Synagoge vorbei. Dennoch gelang es Kleingruppen von Nazis ohne Bullenbegleitung durch die Innenstadt Richtung Kundgebungsort zu laufen. Diese standen aber- auch aufgrund der verstörenden Vorfälle in Saalfeld – immer unter antifaschistischer Beobachtung.
Währenddessen versuchten Antifaschist*innen immer wieder über verschiedene Wege Richtung Naziroute zu gelangen. Diese war fast auf ganzer Länge gegittert und der Zugang über den Domplatz mittels Wasserwerfern, Räumpanzer und einem großen Bullenaufgebot versperrt. Im weiteren Verlauf fanden immer mehr Antifaschist*innen dennoch den Weg zum Theaterplatz, welcher an die Naziroute angrenzte, wo spontan eine Kundgebung angemeldet werden konnte. Die Antifaschist*innen standen dann direkt an der Maximilian-Welsch-Straße, einem Teil der Naziroute. Dort sammelten sich vorrangig Menschen in schickem Schwarz, während sich am Domplatz eher bürgerliche Gegendemonstrant*innen zusammenfanden,um die Auftaktkundgebung der Nazis lautstark zu begleiten. Gegen 16 Uhr setzte sich die Nazidemo auf der nicht mal zwei Kilometer langen Route um den Dom in Bewegung. Ihren bereits von Sügida, Thügida und dem Naziaufmarsch in Gotha am 18. April bekannten grünen Lautsprecherwagen ließen sie am Domplatz zurück. Mit dumpfen Parolen zogen sie los. Am Theaterplatz bekamen sie Obst, Gemüse und Eier mit auf den Weg. Nach einer Stunde waren die Nazihools dann wieder auf dem Domplatz angekommen und beendeten ihre Veranstaltung recht zügig, obwohl diese bis 18 Uhr genehmigt war.Die Abreise der Nazis fand auf verschiedenen Wegen mit Straßenbahnen und Wanderkesseln zurück zum Bahnhof statt. Gegen 18 Uhr waren die Nazis zum Großteil, u.a. auch wieder Richtung Nazizentrum Kammwegklause,abgereist.
Kein Tag ohne Repression: Während der Proteste am Theaterplatz griffen die Bullen mehrere Menschen aus der Gegenkundgebung heraus und machten ihnen verschiedene Vorwürfe gestützt durch den Einsatz von Zivilbeamten. Ein Antifaschist wurde nach langen Verhandlungen in Gewahrsam genommen. Daraufhin rief das Platzverweis-Bündnis via Twitter zum solidarischen Zusammenkommenvor der Polizeiinspektion Erfurt-Nord auf, um dort auf den in Gewahrsam genommenen zu warten. Leider kamen dem nur wenige nach, diese konnten den Betroffenen dennoch froh in Freiheit in Empfang nehmen. Für die Zukunft: Es muss klar sein, dass die Bullen vermehrt dazu übergehen Gegendemonstrant*innen erst im Nachgang der eigentlichen Proteste aus der Menge zu greifen um sie mit Tatvorwürfen zu konfrontieren. Auch deshalb ist es unerlässlich, dass Antifaschist*innen egal ob auf Kundgebungen oder während der Abreise zusammen bleiben, aufeinander acht geben um den Bullen nach Möglichkeit den Zutritt auf Kundgebungen und den Zugriff auf Genoss*innen zu erschweren.
Es bleibt festzustellen, dass wir den Nazi-Hool-Aufmarsch nicht verhindern konnten. Einerseits hat das Einsatzkonzept der Bullen mittels Großaufgebot eine strikte Trennung beider Lager durchzusetzen und hart gegen Blockadeversuche vorzugehen weitgehend funktioniert. Andererseits haben uns der Vortag in Saalfeld und die damit verbundenen eindrücklichen Erlebnisse dort alle viel Kraft gekostet. Dennoch stellen wir uns die Frage, was passiert wäre, wenn tatsächlich 600 Nazis-Hools nach Erfurt gekommen wären. Die Bullen konzentrierten, wie tags zuvor in Saalfeld, viele Kräfte auf Gegendemonstrant*innen, was Nazikleingruppen Aktionsräume ermöglichte, welche diese aber nicht für sich nutzen konnten, was wiederum nicht unser Verdienst ist.
Aber wir können auch Positives berichten: Unsere Infra- und Infostruktur* hat gut funktioniert. Nazis, welche sich in Kleingruppen durch die Innenstadt bewegten, waren immer unter Beobachtung und viele Antifaschist*innen haben, trotz martialischen Bullenaufgebot und Schlagstockeinsatz, immer wieder Blockadeversuche unternommen.
* Falls die Frage aufkam oder -kommt, warum es an diesem Tag kein Infotelefon gab, möchten wir das kurz beantworten. Dieses wurde beim Naziaufmarsch am 1.Mai 2010 in Erfurt von den Bullen abgehört. Uns ist jedoch für die Zukunft klar, dass eine Infoverteilung nur über Twitter ohne die zusätzliche Möglichkeit des Infotelefons keine sinnvolle Lösung ist.
Blockade am Hauptbahnhof (Quelle: Sören Kohlhuber)
Nazi-Hools in Erfurt (Quelle: Sören Kohlhuber)
Protest hinter dem Theaterplatz direkt an der Nazi-Route (Quelle: Sören Kohlhuber)
3. Mai Hildburghausen: Sügida demonstriert gegen Rot-Rot-Grün
Als wären die Tage in Saalfeld und Erfurt nicht schon stressig genug gewesen, mobilisierten auch noch die Nazis von Sügida am Sonntag, den 3.5. unter dem Motto „40 Jahre SED sind genug! Rot-Rot-Grün absetzen!“ nach Hildburghausen. Angekündigt wurden auch die Themen der Redner: „SED-Unrecht“, „Asylantenschwemme in Südthüringen“, „linke Gewalt“. Anlass für die Verschiebung von der wöchentlich Montags stattfindenden Sü-/Thügida-Demonstration auf den Sonntag war das in Hildburghausen stattfindende Marktfest der Linken, bei dem auch Bodo Ramelow zwischenzeitlich vor Ort war. Beide Veranstaltungen fanden in unmittelbarer Nähe zueinander statt. 135 Anhänger*innen von Sügida seien laut Presseberichten (1, 2) zur Kundgebung gekommen, 500 zum Marktfest. Darunter auch einige Antifaschist*innen, die mittels Spontandemos und -kundgebungen versuchten, die Nazis rund um Tommy Frenck zu stören. Gestört schienen sich jedoch die Beamten der Polizei gefühlt zu haben und nahmen die Personalien der Leute auf.
Auf der Facebook-Seite von Sügida findet sich neben der Mobilisierung zur Demo auch die Einladung zum anschließenden Wohlfühlausklang bei Kaffee, Kuchen, Eis und Liedermacher in Tommy Frencks Gaststätte „zum Goldenen Löwen“ in Kloster Veßra – Essen für Deutschland. Vielleicht ist der eine oder die andere an einem Thüringer Kloß erstickt…
Erstes Fazit: Braunes Wochenende statt Antifa-Action-Weekend?
Wir haben zum antifa-action-weekend eingeladen/aufgerufen und danken allen, die gekommen sind und sich an den Protesten beteiligt haben. Es ist trotzdem ein braunes Wochenende in Thüringen geworden. Die Dimension, die dieses Wochenende angenommen hat, ließ sich im Vorhinein nicht abschätzen und überrascht und bestürzt uns nach wievor. Wir haben viel gelernt und einiges zu tun. Insbesondere der 1. Mai in Saalfeld hat gezeigt,dass Proteste gegen Naziaufmärsche keine Happenings sind. Volksfeststimmung, während hunderte militante Nazis, in egal welcher Stadt, marschieren, vermittelt ein falsches Bild der tatsächlichen Gefahrensituation und trägt höchstens dazu bei, Menschen zu gefährden. Für uns kann das im Umkehrschluss nur bedeuten, den Antifaschistischen Selbstschutz wieder stärker in den Vordergrund zu stellen. Allen Beteiligten sollte spätestens nach den Ereignissen in Saalfeld klar sein, dass wir uns im Kampf gegen Nazis und Rassisten jeglicher Coleur selbst schützen müssen und uns nicht auf den Schutz durch Bullen, Behörden und Parlamentarier*innen verlassen können und dürfen.