Für einen Martin-Luther-King-Baum in Erfurt!
Am 1. November wird der Ahorn auf dem Hof der Offenen Arbeit Erfurt als Lutherbaum geweiht. Die Veranstaltung wird für Kinder und Familien beworben. Ist es ein kindgerechtes Programm, Martin Luther zu ehren? Und: Um wen geht es da eigentlich?
Drei Mal Martin Luther: zwei waren Antisemiten, einer hat die Endlösung organisiert und einer ist inhaltlich wichtig für die Offene Arbeit Erfurt. Welcher wird wohl geehrt?
Der Unterstaatssekretär Martin Luther (Mitte) wurde am 16. Dezember 1895 in Berlin geboren. Von 1940 bis 1943 war er Leiter des Sonderreferats D III des Auswärtigen Amts und in dieser Position verantwortlich dafür, die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in den von Deutschland besetzten Länder diplomatisch abzustimmen. Natürlich wird der Baum nicht diesem Martin Luther geweiht. Lutherbäume sind Bäume zu Ehren des Reformators Luther (links). Aber zu Ehren des Reformators wurde auch der Nazi Luther benannt. Was durchaus angemessen ist, weil der Nazi und der Reformator sich in ihrer Haltung zum Judentum ziemlich einig gewesen wären. Luther schlägt in seinem Werk die Brücke von religiös begründetem Antijudaismus zu den typischen Inhalten des modernen Antisemitismus. Juden sind für ihn Brunnenvergifter und Wucherer. Wenn sie sich taufen lassen, dann nur zum Schein, woraus folgt, dass ihre Verdorbenheit für Luther keine religiöse Angelegenheit ist. Bis auf die industrielle Vernichtung findet sich alles, wofür der Nazi Luther verantwortlich war, schon beim Reformator: er schlägt vor, Synagogen anzuzünden und Juden zu vertreiben, sie zu entrechten und zu enteignen. „Die Juden sind unser Unglück“, Leitspruch des „Stürmers“, steht so fast wörtlich in Luthers 1543 veröffentlichten Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“.
Eine wahrnehmbare Rolle hat der Reformator in den letzten 30 Jahren in der Offenen Arbeit nicht gespielt. Im 2014 anlässlich des 25jährigen Jubiläums der OA veröffentlichten Buch kommt der Reformator ein einziges Mal vor: Bernd Gehrke erwähnt, dass es in der DDR aus der Offenen Arbeit eine Abgrenzung von konservativen Kirchenoberen gab, die mit Luthers Zwei-Reiche-Lehre begründen wollten, dass man sich nicht mit dem Staat anlegen solle. Gleich mehrmals kommt dagegen ein dritter Martin Luther vor, nämlich Martin Luther King (rechts). Sein Aufruf zu sozialem Ungehorsam, sein Eintreten gegen Rassismus und soziale Ungleichheit hat in den letzten 25 Jahren eine unendlich größere Rolle für die Offene Arbeit gespielt als die verstaubten Schriften des Reformators Luther. Über Martin Luther King wurde bei Themenabenden geredet, Filme über ihn gezeigt. Martin Luther King war Vorbild von Walter Schilling, Vordenker der Offenen Arbeit.
Wie kommt die OA nun darauf, einen antisemitischen Reformator zu ehren, der in den letzten 25 Jahren keine erkennbare Rolle in der Allerheiligenstraße gespielt hat? Informierte Kreise sagen, es gehe darum, den Ahorn auf dem Hof vor dem Fällen zu bewahren. Da die Evangelische Kirche im Reformationsjahr derzeit die Tradition der Lutherbäume wiederbeleben will, muss es eben ein Reformatorenbaum sein und kein Bürgerrechtsbaum oder Ziviler-Ungehorsams-Baum.
Aber auch wenn es nur um eine Baumrettungsstrategie geht, ist es kaum angemessen, den Reformator zu ehren und seinen Beitrag zum Antisemitismus zu ignorieren. Viel angemessener wäre es angesichts der Geschichte — und zwar angesichts der Geschichte des Antisemitismus und der Geschichte der Offenen Arbeit — den Baum als Martin-Luther-King-Baum zu weihen.