Bericht: Dresden-Soli in Erfurt
Ca. 50 Antifaschist_innen haben heute auf dem Anger in Erfurt ihre Solidarität mit den Betroffenen der Polizei- und Naziübergriffe des letzten Wochenendes in Dresden und ihre Kritik an den aktuellen totalitären Tendzen der Politik der sogenannten Mitte zum Ausdruck gebracht. Es gab zwei Redebeiträge, Musik aus einem Handwagen-Soundsystem, Flugblätter und Transparente.
Das folgende wurde verteilt bzw. verlesen:
Demokratie schafft sich selbst ab
18./19. Februar in Dresden: 20.000 Menschen ver- und behindern Naziaufmärsche mit verschiedensten Mitteln. Die Auseinandersetzungen sind hart, u.A. überfallen 50 Neonazis ein linkes Wohnprojekt (Die „Praxis“ in DD/Löbtau) — die anwesende Polizei schaut zu, sperrt in 50m Entfernung die Straße ab und regelt den Verkehr. Gegen Abend, als klar ist, daß die DemonstrantInnen mit ihrer Strategie Erfolg haben, kommt es zu einem weiteren Überfall. Ein Zug schwerbewaffneter Polizeikräfte stürmt das „Haus der Begegnung“, wo ein Verein für politische Jugendbildung, ein Anwalt, eine Interessenvertretung von russischen MigrantInnen und die Partei „Die Linke“ ihre Büros haben. Der Vorwurf: Das Pressebüro der Kampagne „Dresden Nazifrei“ habe zu Straftaten angestiftet. 16 Personen werden mit Kabelbindern gefesselt, durch die Polizei abgeführt und vorläufig festgenommen.22. Februar, Suhl. Weil es der Thüringer CDU nicht passt, daß offen gesagt wird, daß auch der sog. Mitte der Gesellschaft rassistische und antisemitische Einstellungen vertreten werden, zieht die Polizei los und entfernt auf Anweisung der Meininger Staatsanwaltschaft zwei Tafeln aus der Ausstellung „Neofaschismus in Deutschland“. Die Tafeln hätten auch problemlos auf der Homepage der Ausstellung angeschaut und geprüft werden können. Konkret ging es um eine Kritik der rassistischen und chauvinistischen Äußerungen vom Bund der Vertriebenen, von Guido Westerwelle, Roland Koch sowie Thilo Sarrazin. Zur Eröffnung hängen die Tafeln wieder.
Jeder Punk und jede Hausbesetzerin kann ein Lied davon singen, wie die Polizei im Auftrag des Staates losschlägt, wenn er das staatliche Gewaltmonopol oder die Eigentumsordnung bedroht sieht. Was aber bisher meistens eher Antifas und Autonome getroffen hat, wird jetzt auch gegen den progressiveren Teil der bürgerlichen Gesellschaft ausgepackt: Repression gegen jede Meinung und vor allem jede Aktion, die auch nur im entferntesten der aktuellen staatlichen Ordnung entgegen stehen könnte. Rechtsstaatliche Standards — eigentlich die Versicherung gegen einen totalitären Staat — werden dabei über Bord geworfen. Eine große Koalition praktiziert den Extremismus der Mitte, wenn wie in Suhl ein CDU-Kreisvorsitzender einen Staatsanwalt überzeugen kann, eine Ausstellung von ver.di und der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes zu sabotieren.
Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit, die Freiheit zu schreiben, zu singen und zu rufen, was mir passt, wird aufgegeben. Die Rechte, die in langen und zähen Auseinandersetzungen erkämpft wurden, werden derzeit im Namen des Kampfs gegen Extremismus und Gewalt abgeschafft.
Am Ende trifft es uns alle, wenn bürgerliche Freiheiten eingeschränkt werden. Wenn es noch nicht mal mehr möglich ist, abweichende Meinungen zu artikulierenweil man dafür zensiert oder eingesperrt wird, ist das nicht gerade der Garant für Emanzipation.
Deswegen geht es im Moment darum, gemeinsam die Angriffe auf Grundrechte und Freiheiten zurück zu schlagen: um eine radikale Kritik äußern zu können, muss man sich gegen die totalitären Tendenzen, das Diskreditieren und Kriminalisieren von Kritik, die der Staat gerade einschlägt, einsetzen, auch wenn im sozialdemoikratischen Wohlfahrtsstaat auch nicht immer alles eitel Sonnenschein war.
Redebeitrag:
Die Auseinandersetzungen rund um den 13. Februar in Dresden 2011 sind gelaufen. Für Polizei und Nazis war es wohl eher kein erfolgreicher Event. Das Polizeikonzept ging nicht auf und tausende Nazis konnten nicht marschieren. Dafür kann sich die antifaschistische Fraktion um so mehr freuen, wäre da nicht ein Überfall von Nazis auf das Alternative Projekt „Praxis“ und die Razzia des LKA Sachsen auf linke Büroräume in Dresden.
Doch eins nach dem anderen: Wie zu erwarten wurde der 19.Februar ein Großevent antifaschistischer Mobilisierung. Der kleinste gemeinsame Nenner, Nazis doof zu finden und die große Bedeutung des 13. Februar in Dresden für die Naziszene, traf auf die Erwartungen der Antifaszene, dass auch dieses Jahr wieder „was gehen“ wird. Diese Erwartungen wurden erfüllt. Letztlich war es die flächendeckende Militanz im Zusammenspiel mit den Blockaden, die den Nazis den Event versaute und 4500 Polizisten sichtlich überforderte. Der von Dresden-nazifrei vorgegebene sogenannte Aktionskonsens blamierte sich an diesem Tag. Vielmehr müsste es auch Aktionsformen-Diktat heißen, welches von vielen Leuten schlichtweg ignoriert wurde. Wir finden es gut, wenn Leute ihre Aktionsformen selbst bestimmen und flexibel nach den Gegebenheiten vor Ort ausrichten und selbständig handeln. Der 19. Februar 2011 in Dresden hatte eine Ventilfunktion für eine Antifaszene, die den Rest des Jahres überwiegend in Wanderkesseln aus Prügelcops demonstrieren muss und manchmal für Nichtigkeiten schikaniert wird. Dass dem einen oder anderen Polizisten an solch einem Tag auch mal das hämische Grinsen unter Helm und Visier vergeht, schafft Genugtuung.
Umso abstruser ist das Vorgehen des Landeskriminalamtes Sachsen. Martialische Sondereinsatzkommandos stürmten Büroräume der Linken, Vereinsräume und eine Rechtsanwaltskanzlei, die fälschlicherweise für die Terrorzentrale und Koordinationsstelle gehalten wurden. Gerade jene, denen der gewaltfreie Aktionskonsens an diesem Tag entglitt, werden nun für die Straßenmilitanz verantwortlich gemacht. Die Polizei-Beamten projezieren ihr eigenes autoritäres und hierarchisches Verständnis auf die linke Szene und versuchen mit dieser Projektion nun die Organisatoren der Dresdner Krawalle dingfest zu machen. Mehr noch: mit der ermittlungsbehördlichen Allzweckwaffe §129 soll nun die linke Szene mal wieder ausspioniert werden und dürfen Staatsschutzbeamte ungeniert im Privatleben linker Aktivisten herumschnüffeln. Genau gegen diese einsetzende Repression eines hilflos in Zugzwang geratenen Polizeiapparates gilt es sich mit den Betroffenen solidarisch zu zeigen.
Drei Aspekte sollten bei den nun einsetzenden Diskussionen beachtet werden:
1. sich jetzt in Gewaltdebatten zu verzetteln ist kontraproduktiv. Meist geht es dabei eh nur um die stille Wiederherstellung der Akzeptanz des staatlichen Gewaltmonopols und nicht um Reflektion über gesellschaftliche Gewalt an sich. Die Staatsgewalt prügelte schließlich am 19. Februar unterschiedslos auf friedliche wie militante Protestierer ein, ohne dass sich die Gewaltdebattierer des politischen Mainstreams darum scherten. Gewaltfreie und militante Aktionen können nach wie vor nebeneinander existieren, auch wenn Teile der linken Zivilgesellschaft dabei in Erklärungsnöte geraten. Genauso ist jedem Extremismus-Quatsch und Einschränkungen des Versammlungsrechts entgegen zu treten
2. Der Angriff auf das Alternativ-Projekt „Praxis“ ist nicht nur dem Versagen der Polzei geschuldet sondern auch dem des antifaschistischen Spektrums, welches es versäumte, solche Projekte an diesem Tag ausreichend zu schützen. Ähnliche Vorfälle gab es schließlich am 13. Februar 2010 am AZ Conni und das Problem war bekannt.
3. Bei aller aktueller Problematik der militanten Ausschreitungen und der nun folgenden Repression rund um den 13. Februar in Dresden darf die Thematisierung des geschichtrevisionistischen Gedenkens der Stadt Dresden und der Naziszene nicht hinten runter fallen. Der deutsche Opfermythos des 2.Weltkrieges muss nach wie vor Thema linker Intervention bleiben.
Es bleibt dabei gegen jeden deutschen Opfermythos – egal ob von Nazis oder reaktionärer Zivilgesellschaft