Vor 20 Jahren: DVU in Erfurt chancenlos
Nazis kommen seit eh und jeh nach Erfurt. Und seit eh und jeh setzen Antifas etwas dagegen — so z.B. am 20.3.1993, als Gerhard Frey von der Deutschen Volksunion (DVU) in Bischleben sprechen wollte …
Schon zwei Wochen vorher war bekannt geworden, dass der Chef der Nazi-Partei kommen würde. Ein „Karl-Heinz Kunst“ aus der Artstraße rief in einem Flugblatt dazu auf, das Nazi-Treffen zu verhindern — was auch gelang. Einer der Aktivist_innen erinnert sich:
Die DVU hatte eingeladen nach Bischleben zu fahren. Treffpunkt war der Busbahnhof. Da standen dann vier Rentner, eine Hundertschaft Polizei und 150-200 Autonome. Erst wurde vom Bus der Nazis die Luft raus gelassen. Dann sind die Rentner ihre Papiere losgeworden. Dann sind wir mit dem Zug nach Bischleben gefahren. Vor dem Gasthaus, wo Frey sprechen sollte, standen ein paar Arnstädter Nazis. Nachdem wir ein bisschen rumgestanden haben, fiel einigen Leuten auf, daß man von hinten auf den Hof der Kneipe kam, wo ein dicker Mercedes mit Münchner Kennzeichen stand – der wurde dann nachhaltig beschädigt. Ein einzelner Nazi konnte dagegen nichts machen und schrie nur, wir seien die Handlanger des Finanzkapitals.
Die Nachrichtenagentur ADN berichtete am selben Tag, 200 Mitglieder der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen, „die sich selbst als Antifaschisten bezeichneten“, hätten die Nazi-Veranstaltung verhindert. Es lässt sich von heute aus kaum rekonstruieren, wie es zu der sonderbaren Meldung gekommen war. Eine Rolle spielte sicherlich, dass die Pressemitteilung der Aktion von den „GewerkschafterInnen gegen Rassismus und Faschismus“ versendet worden war, die unter der Adresse des stellvertretenden Landesvize der HBV Angelo Lucifero zu erreichen war. Aber dass es nicht 200 BänkerInnen und Versicherungsangestellte waren, die Gerhard Freys Mercedes zerlegt hatten, fiel sogar der Bildzeitung auf, die in einem Kommentar von „einer vor Lügen und Fehlern strotzenden Meldung“ schrieb, die darauf zurückzuführen sei, dass das ADN „die wortgeilen Tiraden eines Krawallos für die Wahrheit hielt“ — so BILD Thüringen in der Ausgabe vom 22.3.1993. Vielleicht hatte der Journalist der Agentur eine Meldung der DVU übernommen, vielleicht auch nur einen über den Durst getrunken. Auf jeden Fall ging einen Tag später eine korrigierte Meldung über den Nachrichtenticker. Die Staatsmacht agierte an diesem Tag vergleichsweise zurückhaltend, es liegt lediglich ein Bericht über zwei in Gewahrsam genommene Journalisten vor. Die schon zitierte Person meinte dazu:
Sowohl in Erfurt als auch in Bischleben war es so, dass die Bullen sich total zurückgehalten haben und erst dann vorsichtig eingegriffen haben, als die Nazis sich massiv über das demolierte Auto beschwert haben. Wir waren ziemlich baff und haben uns das im Nachhinein so erklärt, daß die politische Ebene da Anweisungen gegeben hat, uns machen zu lassen — weil es rechts von der CDU nichts geben sollte. Aber das wissen wir natürlich nicht.
Man könnte natürlich kritisieren, dass sich die Autonomen von der CDU und der HBV haben instrumentalisieren lassen. Die damalige Antifa-Szene sah das scheinbar nicht so: In einem Artikel im „Pflasterstein“ — der damaligen Zecken-Postille in Erfurt — wird das ganze als „im Großem und Ganzem [..] eine recht erfolgreiche Aktion“ bezeichnet. Die Nazis wurden erfolgreich in ihre Schranken verwiesen und die Grenzen des polizeilich erlaubten dabei deutlich überschritten — insofern ist sowieso nicht so eindeutig zu entscheiden, wer da wen instrumentalisiert hat oder ob nicht vielleicht eine erfolgreiche Aufgabenteilung des bürgerlichen und des autonomen Antifaschismus den Erfolg möglich gemacht hat. Wäre das nicht eine Erfahrung, an die man 2013 anknüpfen könnte?
Hier noch der Original-Bericht aus dem Pflasterstein: