Angriffe auf Geflüchtetenlager Breitenworbis, Thüringen
Kürzlich wurden nächtliche Angriffe von kleinen Personengruppen auf das Geflüchtetenlager Breitenworbis bekannt. Wir dokumentieren untenstehend einen Artikel von The Voice Refugee Forum Jena darüber. Ende 2012 / Anfang 2013 erhielt das Lager Breitenworbis einige mediale Aufmerksamkeit, als BewohnerInnen mit der Forderung nach der Schließung des Lagers lautstark an die Öffentlichkeit gingen [Blog].
Zuvor allerdings noch ein paar Worte zur allgemeinen rassistischen Stimmung in Deutschland und Thüringen: Laut Statistik wurden im Jahr 2013 43 Geflüchtetenunterkünfte angegriffen und bis November 2013 wurden 18 fremdenfeindliche Aufmärsche vor Geflüchtetenunterkünften gezählt. Sowohl Angriffe als auch Demonstrationen haben im Vergleich zu 2012 dramatisch zugenommen. Thüringen bildet bei diesen gefährlichen und menschenverachtenden Widerlichkeiten natürlich keine Ausnahme: In Arnstadt warfen im Juli 2013 Zeitsoldaten der Bundeswehr Böller auf eine Geflüchtetenunterkunft. Im Oktober 2013 fanden in Greiz-Pohlitz Demonstrationen und Fackelmärsche von der lokalen Bevölkerung und Nazis gegen AsylbewerberInnenheime statt. Gleichzeitig protestierte in Beichlingen die Dorfgemeinschaft gegen die geplante Zentrale Erstaufnahmestelle für Asylsuchende [Quelle]. Auch dort, wo es nicht direkt zur Angriffen und Demonstrationen kommt, wird Stimmung gegen Geflüchtetenunterkünfte gemacht. In Erfurt wurde im November 2013 (bislang hauptsächlich auf sozialen Netzwerken) gegen die geplante Geflüchtetenunterkunft in der Ulan-Bator-Straße gewettert [Quelle]. Auch gegen die geplante Geflüchtetenunterkunft in Jena-Lobeda wurden im November Proteste laut [Quelle].
Angriffe auf das Flüchtlingslager Breitenworbis zum Jahreswechsel [via]
Mehrfach nächtliche Angriffe, Sachbeschädigungen und Drohungen – BehördenvertreterInnen sprechen von unpolitischen Streitereien
Wie kürzlich bekannt wurde, gab es zwischen Ende Dezember und Anfang Januar vier Angriffe auf das Lager in Breitenworbis, Eichsfeld. Am 27.12.2013 waren mehrere BewohnerInnen des Lagers auf dem Rückweg vom Einkaufen in Breitenworbis, als ein Auto mit zwei jungen Männern gefährlich nah auf sie zuhielt, um sie zu provozieren. Als die Bedrohten Anstalten machten, sich zu wehren, ergriffen die Angreifer die Flucht. Am selben Abend erschienen dann nach Einbruch der Dunkelheit mehrere Personen in der Einfahrt zum Lager (das in 1Km Entfernung zum Ort zwischen Feldern und Agrarbetrieben liegt) und schossen mit Raketen und anderem Feuerwerk auf das Lager. Erst eine größere Gruppe von BewohnerInnen konnte die AngreiferInnen vertreiben. Die vom Wachdienst alarmierte Polizei konnte keine TäterInnen mehr feststellen.
Bereits Mitte Dezember hatten Unbekannte die Reifen eines Autos zerstochen, das von LagerbewohnerInnen in der Einfahrt geparkt worden war. Im selben Zeitraum wurden zudem die Glaswände der Bushaltestelle vorm Lager, die einzig von den BewohnerInnen genutzt wird, eingeschlagen.
Wenige Tage nach dem ersten Angriff kamen früh morgens zwei Autos auf das Gelände gefahren. Mehrere Personen stiegen aus und begannen Gegenstände auf das Lagergebäude zu werfen. Als daraufhin ca. 20 Bewohner des Lagers heraustraten, schrien die Unbekannten Parolen, deren Inhalt den Angegriffenen nicht verständlich war. Eine Bewohnerin, die das Geschehen vom Fenster aus beobachtete, berichtet jedoch, dass in ihre Richtung geschrieben wurde: „Heute Nacht bist du tot!“ Wiederum gelang es den BewohnerInnen, die AngreiferInnen zu vertreiben.
Einige Tage danach kamen gegen 1.30 Uhr mehrere Personen über das Feld an der Rückseite des Lagers gelaufen, schrien etwas, warfen Steine auf das Gebäude und verschwanden dann in der Dunkelheit. Das vierte und bis dato letzte Mal kamen die unbekannten AngreiferInnen Anfang Januar gegen 6 Uhr morgens. Wieder begannen sie, Dinge auf das Lager zu werfen und in Richtung der BewohnerInnen Beschimpfungen und Drohungen zu schreien. In allen Fällen reagierten die BewohnerInnen, indem sie geschlossen aus dem Gebäude heraustraten und die Unbekannten vertrieben. Die Polizei wurde auch jedes Mal alarmiert, konnte aber trotz des Einsatzes mehrerer Streifenwagen vor Ort niemanden mehr feststellen.
Auf Nachfrage von EZRA erklärte die Ausländerbeauftragte des Eichsfeldkreises, Eva-Maria Träger, dass es sich bei den Angriffen um dumme
Streiche gehandelt habe, die gänzlich unpolitisch seien. Karl-Josef Ständer, seit 2006 der Leiter des Lagers, wusste zu berichten, dass es sich bei der ersten Bedrohung einiger Flüchtlinge durch das Auto um einen Scherz gehandelt haben müsse, den die Betroffenen nicht verstanden hätten. Die Reaktion der Betroffenen habe die darauffolgenden nächtlichen Angriffe erst provoziert. Einen rassistischen Hintergrund schloss er aus. Zugleich stellte er fest, dass die AngreiferInnen mindestens zweimal gegen 6 Uhr morgens stattfanden, wenn durch einen Schichtwechsel kein Wachdienst vor Ort ist. Demnach zu urteilen kennen die AngreiferInnen den Ort und die dortigen Abläufe gut, was heißt, dass sie aus der näheren Umgebung kommen dürften und damit dauerhaft eine Bedrohung für die LagerbewohnerInnen darstellen.
Die Menschen, die gezwungen sind, im Lager zu leben, haben in den Wochen seit dem ersten Angriff Nachtwachen organisiert, denen es zu verdanken ist, dass jedes Mal schnell und geschlossen die AngreiferInnen vertrieben werden konnten. Jedoch blieben die AngreiferInnen und ihre Autokennzeichen jedes Mal unerkannt, weil die Laternen im Einfahrtsbereich des Lagers nicht funktionieren. Die Lagerleitung sah jedoch trotzdem keinen Grund, selbige reparieren zu lassen – die Flüchtlinge hätten sie ja selber irgendwann mal kaputtgemacht. Ein aus Serbien geflüchteter Bewohner erklärte zu den Angriffen: „Hier leben Menschen, die vor Krieg und Verfolgung geflohen sind und eine Vielzahl an Traumata erlitten haben. Die Angst vor weiteren nächtlichen Angriffen löst eine Retraumatisierung aus.“ Der aus Afghanistan geflohene Mohamad Samin Sedikhi erneuerte vor diesem Hintergrund die langjährige Forderung der Flüchtlingsgemeinschaft in Breitenworbis: „Wir wollen in der Stadt in Wohnungen untergebracht werden!“ Das erst würde Schutz und eine würdigeres Leben garantieren.