Running Mike und Swimming Punk

Irgendwie Tradition ist die jährliche Punx-Schlauchboottour in Erfurt. Heute, am 12.06.2010, hat sie wieder stattgefunden. Rund 50 PunkerInnen mit Schlauchbooten und auf Gummireifen haben sich bei zuerst strahlendem Wetter auf den Weg gemacht und sind durch die Gera und den Flutgraben bis zur Krämerbrücke gefahren. Ein Boot fuhr mit Musik, die auch weiterspielte, nachdem der Kasi bei der Fahrt übers Wehr eine Weile in der Gera schwamm – die improvisierte Krachboje hat gut funktioniert. Die Krämerbrücke ist umkämpftes Terrain. Im vorletzten Jahr wurde die Bootstour zuerst von Nazis und dann von der Polizei überfallen. Zumindest ein Prozess dazu läuft immer noch – wohbemerkt nicht gegen die AngreiferInnen, sondern gegen einen Punk. Dann gibt’s da noch die Innenstadtordnung, die in Erfurt quasi alles verbietet – von der Straßenmusik bis zum Bäumeklettern, aber erst Recht das Rumhängen in Gruppen mit verbundenem Alkoholgenuss – vor allem auf dem touristischen Kleinod von Erfurt, der Krämerbrücke. Nun, die meisten Touries sind eher belustigt, als kurz vor 18 Uhr die ersten durchnässten Punks ankommen und feiern, dass sie den Regen und die Stromschnellen überwunden haben.

Eine ganz andere Innenstadtaktion läuft gleichzeitig zwischen Fischmarkt und Magdeburger Allee. Das „Running Mike“ des Textilfestivals will Literatur aus der Schreibstube in die Stadt holen. Das mitterweile deutlich schlechtere Wetter scheint der Sache einen Strich durch die Rechnung zu machen. Deswegen wird zu Beginn der überdachte Raum vor dem Erfurter Rathaus in Beschlag genommen. Mit einem Megafon wird Lyrik vorgetragen. Ein Junggesellenabschiedstrupp verabschiedet sich angesichts der Hochkultur, vereinzelte PassantInnen hören zu. Irgendjemand guckt kurz aus der Rathaustüre und geht wieder rein. Alles kein Problem, auch als das Mikrofon weiterrennt und beim Sandmann vorgelesen wird, wie viele Gründe es für Mike in Erfurt gibt, weg zu rennen und auf dem Fischmarkt eine Bühne besetzt wird und lautstark die Forderung ergeht: „Hühner an die Macht!“

Kurz darauf treffen die beiden Aktionen an der Krämer aufeinander. Irgendwie ist das nicht so einfach. Es macht den Eindruck, als fragen sich die PunkerInnen, was die Leute mit dem Mega wollen. Wahrscheinlich sind sie aber einfach zu durchgefroren, um noch viel Aufmerksamkeit aufzubringen. Die LiteratInnen kramen nach passenden Texten und tragen Lyrik vor. Es geht um Mao Tsedong und Werbeslogans. Im Anschluss daran werden die Anwesenden zum Abschluss-Happening des Textil-Festivals in die Salinenschule am heutigen Abend eingeladen, dann geht das Running Mike weiter.

Bis dahin ist das alles wie gesagt kein Problem, wenn man als Kunst daherkommt, kann man auch vor dem Rathaus groben Unfug treiben, ohne Ärger zu bekommen. Mit bunten Haaren und ohne Kulturförderung geht das nicht. Gegen 18.30 Uhr taucht die Polizei auf, filmt die TeilnehmerInnen der Bootstour und stellt sich in Position. Nach einiger Zeit werden die restlichen Punks umstellt und unter Hinweis auf die Stadtordnung ergeht die Aufforderung, innerhalb von 20 Minuten zu verschwinden. Pitschnass und erschöpft hat niemand Lust auf Stress und so zieht man weiter. Es kommt noch zu einer Gewahrsamnahme. Typisch Erfurt halt.