Wo sind all die Positionen hin? Diskussionsbeitrag von AG17

Die Antifa Gruppe AG17 aus Erfurt befasst sich in einem Diskussionsbeitrag mit dem Aufruf des Bündnisses „Roter Oktober“ in Leipzig. „Roter Oktober“ mobilisiert gegen einen Naziaufmarsch am 16. Oktober in Leipzig.

Wo sind all die Positionen hin? Anmerkungen zum Aufruf des Bündnisses „roter Oktober“ in Leipzig

Ein Aufruf, der gefällt
Der Aufruf des Bündnisses „roter Oktober“ (http://1610.blogsport.de/aufruf/) liest sich flott und eingängig. Es wird erklärt, was die Nazis am 16. Oktober 2010 bewirken wollen und warum es wichtig ist, sich ihnen entgegen zu stellen. Außerdem wird ein wenig Geschichte von Naziaufmärschen in Leipzig vermittelt, wo es einiges zu erzählen gibt. Inhaltlich wird ihr falscher Antikapitalismus auseinander genommen. Das wars dann aber auch schon. Nichts Falsches, aber auch nicht viel.

War das schon immer so?
Warum, stellt sich nun die Frage, bleibt das Bündnis diesmal inhaltlich nur auf die Nazis fixiert? Sind die Nazis etwa die Einzigen, die einem falschen Antikapitalismus anhängen? Waren die Aufrufe in Leipzig schon immer so? Erinnern wir uns: am 17.10. vor fast genau einem Jahr, gab es einen Aufruf (http://17oktoberleipzig. blogsport.de/2009/08/30/im-herbst-fallen-nicht-nur-die-blaetter/), der ähnlich klang, sich aber wenigstens noch z.B. mit der Extremismusthese und der Kriminalisierung der Antifa auseinandersetzte. Ebenfalls wurde konstatiert, dass die meisten Versatzstücke von Nazi-Ideologien auch in der Mitte der Gesellschaft zu verorten sind. Mehr musste da auch nicht geschrieben werden. Das wahre Feuerwerk an kategorialer Kritik an Deutschland, der „friedlichen Revolution von 1989“ und dem neuen Nationalismus wurde damals in den Wochen zuvor in Leipzig abgebrannt (siehe http://antide2009.blogsport.de/). Löste die Kampagne „still not lovin‘ Germany“ wenigstens noch einiges an Diskussionen aus, scheint es anno 2010 nix mehr vor einem Nazi-Aufmarsch zu diskutieren zu geben.

Schon wieder der Mythos Dresden?
Es drängt sich der Verdacht auf, dass hier ein Grundmuster Schule macht, dass sich bei den legendären Blockaden am 13.Februar 2010 in Dresden manifestiert hat. Dieses Grundmuster geht in etwa so: Um einen richtig guten Anti-Nazi Event hinzubekommen muss einfach inhaltlich der Ball flacher gehalten werden. Mögliche Bündnispartner_innen aus der „Mitte der Gesellschaft“ werden von Kritik ausgespart. Abseits der „offiziellen“ bürgerlichen Blockaden dürfen dann gut getarnte Sporties ihren Lieblingsbeschäftigungen nachgehen und schauen, ob „was geht“. Was bleibt ist die Fixierung auf die Nazis und den „Event“. Dabei hat die Antifa in Leipzig dieses Gekungel gar nicht nötig, da bisher die Anti-Nazi Mobilisierungen in Leipzig fast immer überregionale Beachtung fanden und selten unter Mobilisierungsschwäche litten (im Gegensatz zu manch anderen Provinzkäffern oder bis vor 2 Jahren Dresden).

„Hauptsache es geht was“
Mittlerweile pfeifen es die Spatzen von den Dächern: das Hauptmotiv vieler Antifas, sich an Gegenaktivitäten von Naziaufmärschen zu beteiligen, ist dass dort „was geht“. Der Aufruf dazu muss einfach nur unproblematisch sein, die aufrufenden Gruppen nicht allzu sehr antideutsch oder antiimp und die Nazis in der Minderzahl. Je weniger Nazis desto besser. Geht es bei Antifa-Demos nicht direkt um Nazi-Präsenz und wird kein Krawall versprochen, wird es mit der Beteiligung wesentlich dünner. Alles läuft immer mehr auf Pop-Krawall hinaus.
Ist der Aufruf für dieses Jahr in Leipzig unter diesen Gesichtspunkten, also eventorientiert geschrieben worden oder war das nur ein Ausrutscher? Müssen diese Klischhees unbedingt bemüht werden, damit genug Leute kommen und die Sache rocken? Muss das Event-Gehammel weiter Teile der Antifaszene derart kultiviert werden?

Die Klippen der Kritik
Um es klarzustellen: dies ist kein Nörgelaufruf zu hause zu bleiben, weil es im Falschen kein Richtiges gibt und Praxis eh scheiße ist. Auch wir werden am 16.10. in Leipzig am Start sein und wollen auch unseren Spass haben und hoffen, dass „was geht“. Wir finden es nach wie vor wichtig, sich Nazis in den Weg zu stellen. Allerdings darf es nicht einfach dabei stehen bleiben. Gerade jetzt, wo weite Teile der bürgerlichen Zivilgesellschaft Anti-Nazi Proteste entweder als Standortverteidigung oder als „Verfassungsschutz von unten“ verstehen und somit systemimmanent eingemeinden wollen (siehe z.B. http://www.aktionsnetzwerk.de/cms/images/stories/Material/netzwerk/ ziviler_ungehorsam.pdf), ist es an der Zeit die Klappe aufzureißen und auch mal anzuecken. Auch kann nicht behauptet werden, dass Teile der Linken in Deutschland frei von antisemitischen Ressentiments und falscher Kapitalismuskritik sind. Als Paradebeispiel kann hier die gescheiterte Bankenblockade-Kampagne der Aktionsgruppe „Georg Büchner“ genannt werden, welche doch zumindest antisemitische Ressentiments als Schwungmasse für Sozialproteste nutzen wollte (http://www.georg-buechner.org/).
Wer allzu sehr die Klippen der Kritik umschifft, gerät schnell in seichtes Wasser und dort allzu leicht auf die Sandbänke der Beliebigkeiten. Einmal mehr ist kritische Intervention von Nöten und muss klar Position bezogen werden, auch wenn es bei möglichen Bündnispartner_innen auf Unwillen stößt. Allzu oft verkommt die Antifa in örtlichen Bündnissen zu Dienstleister_innen an Infrastruktur oder sie besetzen die Nische der „Recherche-Expert_innen“, während die große Politik und das mediale Helau den großen Organisationen wie LINKE und Gewerkschaften überlassen wird. Wie wärs mal perspektivisch mit einer Suche nach einem gemeinsamen politischen Vorgehen und nach neuen Strategien?

In diesem Sinne: für eine kritische Intervention. Wir sehen uns in Leipzig am 16.10.2010