GWR-Autor zu struktureller Gewalt in der OA

Wenn im Jahr 400 Autos abgefackelt werden, ist das Gewalt. Wenn 4000 Menschen jährlich im Verkehr der auf Automobile optimierten Städte den Verkehrstod sterben, ist das normal. Das eine wird mit Sonderkomissionen verfolgt, das andere mit Abwrackprämie und Rettungskrediten über seinen wirtschaftlichen Tod hinaus am Leben erhalten. Den Blick auf strukturelle Gewalt schärfen will eine Veranstaltung mit dem Graswurzelrevolutions-Autor Johann Bauer am Donnerstag ab 20.30 in der Offenen Arbeit Erfurt:

Strukturelle Gewalt

„Gewalt liegt dann vor, wenn Menschen so beeinflusst werden, daß ihre aktuelle somatische und geistige Verwirklichung geringer ist als ihre potentielle Verwirklichung“ (Johan Galtung)

In diesem Sinne liegt strukturelle Gewalt vor, wenn nicht direkte Handlungen Menschen verletzen, sondern Strukturen sie beschädigen. Die Frage ist, ob dieser Gewaltbegriff sinnvoll ist.
So begeistert es aufgenommen wurde, daß Galtung Ende der 60er Jahre eine Definition von Frieden vorschlug, die das Ende jeglicher Gewalt als Ziel benannte und einen weiten Begriff von Gewalt, der auch Gewaltverhältnisse, Strukturen der Unterdrückung einbezog, so häufig ist diese Konzeption seitdem kritisiert oder verworfen worden.

Auch wissenschaftliche Begriffe haben oft eine Bewegungs-Geschichte, sie antworten auf Kritik und weisen nicht nur der Forschung Perspektiven. Ganz besonders ist das der Fall, wenn keine neuen Wörter geprägt werden, sondern der Sprachgebrauch aufgenommen, erweitert oder eingegrenzt wird. Und ganz besonders gilt das für Begriffe, die ganz eng mit politischen und sozialen Auseinandersetzungen verknüpft sind, und für wenige Begriffe so deutlich wie für den Gewaltbegriff.

Auch Galtung war klar, daß seine Definition „mehr Probleme aufwirft als löst“. Aber er entschied sich -und mit ihm damals viele – dafür, den engen Gewaltbegriff abzulehnen, „dem zufolge Gewalt eine bloße physische Beschädigung oder ein Angriff auf Leib und Leben ist (mit dem Töten als extremster Form)“.
Nicht nur beabsichtige Handlungen, die einzelne Personen oder Gruppen als Akteure benennen lassen, können aber schädigen, verletzen, töten, sondern „Gewalt“ kann auch „in das System eingebaut“ sein und sich in Machtverhältnissen und ungleichen Lebenschancen ausdrücken (Hunger, niedrige Lebenserwartung durch vermeidbare Krankheiten, Zerstörung der Lebensgrundlagen, Geschlechterverhältnisse). Solche Gewalt kommt oft ohne Drohung aus und ohne sichtbare, offene Repression, sie ist Alltag, Technik, Organisation.

Galtungs Typologie der Gewalt, die Kritik daran und das Verhältnis von personaler und struktureller Gewalt (auch in sozialen Bewegungen) neu zur Diskussion zu stellen, ist das Ziel der Veranstaltung.