Kundgebung: Verfassungsschutz auflösen! Rassismus bekämpfen! Den antifaschistischen Selbstschutz organisieren!

Kundgebung: Verfassungsschutz auflösen! Rassismus bekämpfen! Den antifaschistischen Selbstschutz organisieren!
Mit jedem Detail, das über die Mordserie durch Nazis der letzten Jahre ans Licht kommt, stellt sich mehr die Frage nach der Rolle der bundesdeutschen Behörden, speziell des Thüringer Verfassungsschutzes, im Netz des rechten Untergrundes. Relativ unumstritten ist, dass der Thüringer VS in der Anfangszeit seine Finger mit im Spiel hatte: 200.000 DM erhielt Ende der 1990er Tino Brandt, damals Schnittstelle zwischen NPD und Freien Kameradschaften. Mit dem Geld baute er den Thüringer Heimatschutz auf, in dem auch Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe aktiv waren. Brandt war nicht der erste, der Behördenmittel für Nazizwecke eingesetzt hat: Ein Jahr vor ihm flog bereits auf, dass der Nazi Thomas Dienel aus VS-Mitteln eine Kampagne gegen den antifaschistischen Gewerkschaftssekretär Angelo Lucifero bezahlt hatte. Andre Kapke erhielt 1997 23.000 DM Existenzgründungshilfe aus dem Thüringer Sozialministerium für ein rechtes Zeitungsprojekt. Unklar ist, wie viele Informationen vom VS in Richtung der Nazis geflossen sind. Fakt ist, dass Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe erstaunlich leicht untertauchen konnten und es nicht den Ermittlungsbehörden zu verdanken ist, dass sie wieder ins Licht der Öffentlichkeit gerieten. Dass nun berichtet wird, dass bei mindestens einem der Morde an MigrantInnen ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes anwesend gewesen sein soll und darüber hinaus eben dieser Mitarbeiter wegen seiner rechten Gesinnung in seinem Wohnort als „Kleiner Adolf“ bekannt gewesen sei, ist das Sahnehäubchen auf einer ganzen Tortensammlung von Skandalen, die sich nicht nur durch die seltsamen Schrullen des 2000 abgelösten VS-Chefs Roewer oder die verfehlte Politik der verantwortlichen Landesregierung erklären lassen.
Geheimdienste sind schon durch ihre Anlage als verdeckt arbeitende Struktur ein Widerspruch zu Demokratie und Transparenz. Ohne gründliche Aufarbeitung von außen wird sich niemals klären lassen, was die 15% Spitzel in der Führungsebene der NPD getrieben haben. Die richtige Forderung ist deswegen heute nicht das Verbot der NPD, sondern das, was schon unmittelbar nach den Skandalen um Tino Brandt und Thomas Dienel gefordert wurde: Thüringer Verfassungsschutz auflösen. Für die Abschaffung aller Geheimdienste.

„Die Polizei geht nicht von einem rechtsextremen Hintergrund aus.“ Wir haben uns gewöhnt an diesen Satz und erinnern uns auch daran, dass der Nazimord in der Erfurter Triftstraße im Jahr 2003 zuerst als Schlägerei unter Jugendlichen abgetan wurde. Dass aber über Jahre hinweg Gewerbetreibende mit Migrationshintergrund ermordet wurden und Polizei und Presse nichts besseres einfiel, als über Schutzgelderpressung und organisierte Kriminalität zu spekulieren, ist ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen und beweist nur aufs Neue, wie tief Rassismus in Staat und Gesellschaft verwurzelt sind. Dass auch wir AntifaschistInnen nicht das Ausmaß dessen, was eigentlich vor sich geht, erkannt haben, ist beschämend. Unsere Solidarität gilt den Opfern und den Betroffenen des täglichen Rassismus und unsere politische Praxis muss sein, noch mehr und noch deutlicher dagegen vorzugehen. Gegen Rassismus, wo auch immer er sich zeigt: In Amtsstuben, Parlamenten und Behörden ebenso wie auf der Straße oder im Betrieb.

In den Medien wird jetzt ein „Versagen des Verfassungsschutzes“ diskutiert. Das ist ohne Zweifel richtig. Aber die Blindheit gegenüber rechter Gewalt hat System. Die Gründungszeit der Berliner Republik ging mit einer Reihe bundesweiter Pogrome gegen Flüchtlinge einher, die von der Politik – „Das Boot ist voll“ – herbeigeredet und von der Polizei – z.B. in Rostock-Lichtenhagen – nicht unterbunden wurden. In Wellen werden seitdem Nazis bekämpft, immer genau dann, wenn ein herausragender Skandal ein Schlaglicht darauf wirft, wie gut die extreme Rechte aufgestellt ist: Dann gibt es Feuerwehrpolitik und Programme gegen Rechts. Ebbt die Empörung ab, widmen sich die Sicherheitsbehörden wieder denjenigen, mit denen sie sowieso weniger verbindet und man bläst brennende Autos und antifaschistische Sitzblockaden zum Terrorismus auf. Der schon angesprochene Nazi-Mord in Erfurt im Jahr 2003 macht deutlich, wie viel man vom Staat im Kampf gegen Nazis erwarten kann: Eines der damals ebenfalls angegriffenen Opfer musste wegen Schwarzfahrens in den Knast, während der Täter 2008 zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde. Antifaschismus? Den müssen wir selber machen und deswegen gilt angesichts der Morde mehr denn je: Den antifaschistischen Selbstschutz organisieren!

Kommt zur Kundgebung am Samstag den 19. November um 14 Uhr in den Hirschgarten (bei der Staatskanzlei) nach Erfurt!

Unterstützerinnen (den Aufruf unterstützen):

  • Infoladen Sabotnik
  • JURI (IL) Linke Gruppe
  • Kampagne Hände hoch – Haus her!
  • Antifaschistische Gruppen Südthüringen (AGST)
  • Antifa Bündnis Autonome Linke Weimar
  • Rote Hilfe OG Südthüringen
  • Rote Hilfe OG Erfurt
  • Aktionsbündnis Courage (ABC) aus Pößneck
  • Bündnis gegen Rechts Gera
  • Matthias Bärwolff, MdL DIE LINKE
  • Peter Lückmann,Gera
  • Antifaschistische Koordination [ake] Erfurt
  • Redroxx Erfurt
  • Heidrun Sedlacik, MdL
  • Offene Arbeit Erfurt
  • Antifa Task Force Jena
  • Berliner Kampagne Zusammen handeln!


Interview:
In der Sendung Reibungspunkt vom 17.11.2011 auf Radio Frei hat ein mitorganisator der Kundgebung ein Interview gegeben. Nachzuhören unter reibungspunkt.blogsport.de.

Pressemitteilung vom 18.11.2011:
Verfassungsschutz abschaffen. Rassismus bekämpfen. Den antifaschistischen Selbstschutz organisieren – Kundgebung am 19. November um 14 Uhr am Hirschgarten in Erfurt

Am 19.11. um 14 Uhr findet am Hirschgarten eine Kundgebung unter dem Motto „Verfassungsschutz abschaffen. Rassismus bekämpfen. Den antifaschistischen Selbstschutz organisieren“ statt.

Mit jedem weiteren Detail dass über die rechte Untergrundorganisation „Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)“ bekannt wird kommen weitere Indizien einer Verstrickung von bundesdeutschen Behörden ans Tageslicht.

Gerade der Thüringer VS steht dabei am Angefangen des gesammten Vorgangs. Schon in den 1990er-Jahren erhielt der Nazikader Tino Brandt 200.000 DM vom Landesamt, mit denen er den „Thüringer Heimatschutz“ aufbaute, wo auch Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe bis zu ihrem Untertauchen 1998 aktiv waren. Kurz vorher hatte der Nazi Thomas Dienel hat aus VS-Mitteln eine Kampagne gegen den antifaschistischen Gewerkschaftssekretär Angelo Lucifero bezahlt. Ausserdem erhielt Andre Kapke 1997 23.000 DM Existenzgründungshilfe aus dem Thüringer Sozialministerium für ein rechtes Zeitungsprojekt.

Dass ein Mitarbeiter des hessischen VS, der in seinem Heimattdorf als „Kleiner Adolf“ bekannt ist, bei mindestens einem der Morde an MigrantInnen anwesend war, stellt die Zusammenarbeit des VS mit organisierten Nazis auf eine neue Stufe. Paul Müller, ein Mitorganisator der Kundgebung sagte dazu: „Der Verfassungsschutz brachte es nicht nur nicht fertig die 182 durch Nazis verübte Morde seit 1990 zu verhindern. Es scheint als habe er einige davon überhaupt erst möglich gemacht.“

Von offizieller Seite wird seit 1990 „nur“ von 47 Toten durch Nazis gesprochen. Auch als 2003 in der Triftstraße ein Mensch durch Nazis totgeschlagen wurde hieß es „Die Po­li­zei geht nicht von einem rechts­ex­tre­men Hin­ter­grund aus.“ Die Gewalttaten von Rechts sind dabei immer nur die Spitze des Eisberges. Paul Müller: „Rassismus und Ausgrenzung sind tief in der Gesellschaft verankert. Das zeigen nicht nur zahlreiche Studien sondern auch, dass die Polizei im Zuge der Ermittlungen um die neun ermordeten Ge­wer­be­betrei­ben­den mit Mi­gra­ti­ons­hin­ter­grund nur auf Schutz­geld­er­pres­sung und or­ga­ni­sier­te Kri­mi­na­li­tät kamen.“ Müller sagte weiter: „Mit der Kundgebung geht es uns nicht darum Deutschland nach dem Rechten Terror wieder in ein besseres Licht zu rücken. Im Gegenteil: Wir wollen zeigen dass Rassimus tief in der Mitte der Gesellschaft verankert ist. Um dagegen etwas zu unternehmen setzten wir auf eine starke antifaschistische Bewegung von unten.“