Brauner Teppich und mehr für und gegen Sarrazin

Gegen Sarrazin an der Alten Oper ErfurtViel Lärm mussten heute diejenigen über sich ergehen lassen, die sich Sarrazin in Erfurt anhören wollten. 18 Uhr neben der Alten Oper: 300 Menschen demonstrieren gegen die Lesung — mit zahlreichen Redebeiträgen, die vor allem immer wieder auf eines kommen: Sarrazin ist nur ein herausragendes Exempel für einen weit verbreiteten Rassismus und Sozialdarwinismus. Dagegen muss man vorgehen und — wie es auch heißt — dabei nicht vergessen, den bürgerlichen Staat und den Kaptialismus gleich mit zu kritisieren. Kurz und knackig kommt das von der Band, die zwischen den Reden spielt: „Gegen Erfurt, gegen Deutschland und gegen Rassismus.“

Näher am Eingang der Oper sind vor allem JUSOS und Anhänger_innen der PARTEI präsent. Mit Sprechchören wie „Schämt euch!“ oder „Nationalismus abschaffen!“ wendet man sich an die Fans von Sarrazin, die von der entgegengesetzten Seite zur Alten Oper geleitet werden, aber z.T. auch versuchen, durch die Kundgebung zur Lesung zu kommen, was den meisten auch gelingt. Mehrere Versuche der Demonstrant_innen, durch die zu Beginn eher sparsam präsente Polizeiabsperrung zum Eingang der Oper zu gelangen, scheitern hingegen — vielleicht an der Polizei, vielleicht aber auch an mangelnder Courage und Koordinierung.

Brauner Teppich für Rassisten An der Eingangs-Schleuse für die Lesung werden Flugblätter verteilt, schon um 17 Uhr wurde für Sarazin ein „brauner Teppich für Rassisten“ ausgerollt. Über den muss schreiten, wer zu Sarrazin will, was die Leute teilweise peinlich berührt: „Wollen wir wirklich reingehen?“ Ein Grüppchen sportlicher Jungmänner in Tarnhosen sieht das anders: „Brauner Teppich? Da sind wir richtig.“ Zwei ältere distinguierte Herren ereifern sich über die Demonstrant_innen. In breitestem Thüringer Dialekt reden sie sich in Rage darüber, dass sie Gesocks wie uns finanzieren müssen. „Früher“, so heißt es durchaus zutreffend, „steckte man solche ins Lager.“ Man hört deutlich das Bedauern darüber, dass dem nicht mehr so ist. Froh sind sie, dass in Erfurt nicht so schreckliche Zustände wie in Berlin herrschen.

Schreckliche Zustände herrschen um die Oper. Um zur Lesung zu kommen, muß mensch durch eine Sicherheitsschleuse, vorbei an Massen von Polizei in voller Kampfmontur und schlechtgelaunten Securities. Wer das überstanden hat, kommt aber auch in der Alten Oper nicht zur Ruhe. Nach vielleicht 45 Minuten Lesung piepst es aus mehreren Quellen ohrenbetäubend. Aktivist_innen haben lärmerzeugendes Gerät hineingeschmuggelt1. Die Security evakuiert die lärmenden Maschinen und zerstört sie vor dem Haupteingang.

Ob es das wert war? Der Veranstalter Wolfgang Staub hat schon im Vorfeld gesagt, dass er Thilos Thesen für „banal bis wirr“ hält. Eine gute Werbung für sein Haus war es auf alle Fälle nicht, es heißt, die erste Einmietung aus Gewerkschaftskreisen sei bereits abgesagt worden. Ob die Möchtegern-Elite, die bei Sarrazin war, morgen auch noch für kulturelle Perlen wie Fips Asmussen oder Erich von Däniken zahlen wird, ist wohl eher fraglich.

Die Proteste sind ambivalent zu beurteilen. Dass hunderte Menschen und viele Organisationen einen Offenen Brief gegen Sarrazins Hetze unterschrieben haben, kann man nur als Erfolg werten. Auch die vielen Aktionen im Vorfeld — die Veranstaltungsreihe, das Straßentheater, ein riesiges Transpi und zuletzt eine hochkarätige öffentliche Diskussionsveranstaltung am Hirschgarten — haben deutlich gezeigt, dass es in Erfurt einen handlungsfähigen Antirassismus gibt, der z.T. auch bereit ist, Regeln zu verletzten: Indymedia Linksunten meldet, dass in der Nacht auf Mittwoch die Schlösser der Alten Oper mit Sekundenkleber unbrauchbar gemacht wurden.

Als am Ende aber trotz breitester Mobilisierung 300 vorwiegend Jugendliche Demonstrant_innen doppelt so vielen Besucher_innen der Lesung gegenüber standen, hat man wieder gesehen, wo man ist. Wie es die bereits zitierten älteren Herren richtig erkannt haben, kann man in Thüringen als Abweichler oder Problembürgerin eigentlich schon froh sein, wenn man nicht ins Lager gesteckt oder gleich totgeschlagen wird. Um das ernsthaft zu ändern, ist noch einiges mehr an Engagement nötig.

Sarrazin - nicht unser Genosse sagen die Jusos
Nicht euer Genosse? Sorry, aber: Sehr wohl euer Genosse…

die PARTEI gegen Sarrazin
Speziesismus gegen Sarrazin. Die PARTEI hat immer recht.


Pfeiferaucher_innen gegen Rassismus und Antisemitismus

  1. und können uns vielleicht im Nachhinein erzählen, was da so einen Lärm gemacht hat und wo man es kriegen kann? [zurück]