Solidarität mit Bambi und Fury

Am 13.4. findet in Erfurt erneut eine bundesweiten Demonstration gegen die Messe „Reiten-Jagen-Fischen“ statt. Da der Aufruf im Grunde der selbe ist wie im letzten Jahr, lässt sich dagegen auch die selbe Kritik vorbringen. Deswegen dokumentieren wir einen Text, der im letzten Jahr in der ‚Nein‘ erschienen ist:

Am 24.3. ist es wieder so weit: Die antispeziesistische Aktion demonstriert gegen die Messe „Reiten-Jagen-Fischen“ in Erfurt. Und auch anderweitig sind die Tierrechte gut aufgestellt: In Erfurt gibt es einen Vegan-Stammtisch und eine studentische Vegan-Gruppe im Fratzenbuch. Die Jenaer Linksparteijugend unterhält einen AK Tierbefreiung. Es scheint, dass der politische Veganismus, der jahrelang in Thüringen ein Schattendasein geführt hat, zurück ist. Aber sind seine Begründungen besser geworden? Die folgenden Fragmente setzen sich mit einigen Aspekten aus dem Bereich Tierrechte/Veganismus auseinander.

Für Frieden und Gerechtigkeit seit bereit!

Am 24.3. findet in Erfurt eine bundesweite Demonstration gegen die Messe „Reiten-Jagen-Fischen“ statt. Das erste Anliegen der aufrufenden Gruppen ist, gegen die Ausbeutung von Tieren vorzugehen. Im alltäglichen Sinne meint Ausbeutung die Nutzung über das als angemessen empfundene Maß hinaus. Da sich der Aufruf aber gegen jede Form der Nutzung von Tieren positioniert, kann das nicht gemeint sein. Es bleibt die Bedeutung von „Ausbeutung“ im marxistischen Sinne. Diese basiert darauf, dass die Ware Arbeitskraft die ganz besondere Eigenschaft hat, mehr Wert zu schaffen, als zu ihrer Erzeugung aufgebracht werden muss. Ausbeutung besteht nun darin, dass Arbeiter_innen als Lohn lediglich den Wert ihrer Arbeitskraft – also die Summe, die nötig ist, damit sie sich reproduzieren können – erhalten, aber u.U. einen viel höheren Wert produzieren. Da Tiere nun – siehe den komischen Text in der letzten Nein – bis auf wenig Ausnahmen nicht arbeiten gehen, macht es keinen Sinn, diesen Begriff von Ausbeutung auf sie zu beziehen. Es geht also weder um Marx noch um Nutzung über Gebühr – also geht es um Nutzung an sich. Diese nennt der Aufruf Ausbeutung, wohl um damit auszudrücken, dass sie böse ist – was den Begriff analytisch untauglich macht, weil er statt Inhalt nur noch ein moralisches Urteil transportiert. Er erklärt nichts, sondern behauptet einfach noch einmal dass, was er erklären soll: „Reitenjagenfischen ist schlecht, weil es Ausbeutung ist und Ausbeutung schlecht ist.“

Ähnliches ließe sich für die Begriffe „Recht“, „Gerechtigkeit“ und „Freiheit“ ausführen. Die Forderungen der bürgerlichen Revolutionen sind mit ganz bestimmten Vorstellungen über ihre Träger_innen (autonome Subjekte und Staatsbürger) verknüpft. Ihre Bedeutung ist ambivalent1, die Übertragung auf Tiere führt, wenn sie nicht ausgeführt wird, schnell in die Irre.

Nehmen wir Frieden2: Als paradiesische Vorstellung kennt die Bibel einen Zustand, in dem „Wolf und Lamm [..] beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind aber die Schlange muss Erde fressen. Sie werden weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der HERR“. Die Hoffnung ist, dass es einen Zustand gibt, in dem die Lebensnot endet und Mensch und Natur zueinander und untereinander sich harmonisch verhalten, in dem alle Konflikte verschwunden sind. Was die Tiere angeht, ist das auf zweierlei Weise denkbar. Nehmen wir die Bibel wörtlich, brauchen wir gentechnisch veränderte Wölfe oder müssen warten, bis alle fleischfressenden Tiere ausgestorben sind. Die andere Möglichkeit, der Natur einen „friedlichen“ Zustand zuzuschreiben ist, den „natürlichen“ Zustand als „Frieden“ zu definieren. Dass der Löwe das Lamm frisst,stört den Frieden dann nicht, weil es von [Gott|der Natur|dem Schicksal|Brehms Tierleben] so festgelegt wurde. Die beiden Vorstellungen vom Frieden mit der Natur sind an entgegengesetzten Punkten der Geschichte zu finden: Die Idee einer „natürlichen“ Welt steht am Anfang der Geschichte, bevor sich der denkende Mensch mit allerlei Kultur und Sozialem an die Spitze der Nahrungskette geschwungen hat – da, wohin die Anarchoprimitivist_innen um John Zerzan zurück wollen. Die Idee, dass irgendwann die Entwicklung so weit ist, dass alle Konflikte gelöst sind, steht am Ende der Geschichte, im Paradies oder im Kommunismus. Beide Vorstellungen taugen wenig dafür, im Jetzt Handeln zu begründet. Die Idee der „Natürlichkeit“ entbindet Menschen von der Verantwortung, ihr Tun zu reflektieren und leugnet ihre Fähigkeit, „gegen die eigene Natur“ zu handeln. Auf der anderen Seite mag das Anarchokommunismusparadies eine schöne Motivation für Engagement sein. Seine Logik als Handlungsanweisung kurzzuschließen ist Unsinn, weil die reale Welt im Hier und Jetzt von zahllosen Widersprüchen durchzogen ist, die sich nicht einfach mit Verweis auf das abstrakte Gute lösen lassen.

Nun ist es irgendwie billig, eine Sache entlang eines kurzen Werbetexts für eine Demo zu kritisieren. Der nächste Text widmet sich einer etwas ausgefeiltere Begründung für Tierrechte: den Präferenzutilitatismus von Peter Singer.

Tierischer Utilitarismus

Singers Begründung für den Verzicht auf tierische Produkte ist das Leid der dafür verwendeten Kreaturen. Während das für Fleisch, Eier oder Milchprodukte aus Massentierhaltung durchaus eine plausible Erklärung darstellt, könnte man für „artgerecht“ gehaltene und schmerzlos getötete Tiere durchaus sagen, dass dort kein Leid erzeugt wird. Genauso könnte man bei bestimmten Tieren argumentieren, dass sie nicht komplex genug gebaut sind, um zu Leiden – was die Argumentationslinie „Leid“ zumindest für Honig, Austern und die proteinreiche Insektenküche fragwürdig macht.

Weiter lässt sich gegen das „Leid“-Argument einwenden, dass Tieren durch vielfältige Einflüsse Leid zukommt. So ist Landwirtschaft auch im Bereich der Nutzpflanzen nicht eben tierfreundlich – durch intensive agrartechnologische Bewirtschaftung kommen zahllose Tiere ums Leben. Es ist zu fragen, ob eine fleischhaltige Ernährung aus ökologischer Landwirtschaft im Endeffekt weniger Tierleid verursacht als Veganismus aus dem Supermarkt. Für diese Einschätzung spricht, dass viele vegane Spezialprodukte aus Sojabohnen hergestellt werden, die vor allem in den Amerikas angebaut werden und hohe ökologische Folgekosten verursachen.

Weiter entsteht sehr viel Tierleid schlicht und einfach durch andere Tiere. Als Beispiel sei genannt, dass allein die Hauskatzen in Großbrittanien einer Studie zufolge geschätzte 92 Millionen anderer Tiere pro Jahr töten und vorher teilweise stundenlang quälen. Wäre es also im Sinne einer Leidensverminderung angebracht, die 9 Millionen Katzen im United Kingdom zu töten, statt das Leid von 92 Millionen anderer Tiere in Kauf zu nehmen? Wenn Leid von Vögeln und Mäusen ebenso relevant ist wie das von Menschen ist die Antwort eindeutig „Ja“.

Gerade das letzte Beispiel macht ein grundsätzliches Problem der Leidensminimierung deutlich. Wenn das Ziel möglichst wenig Leid ist, Tiere uns aber nicht sagen können, wie und wie stark sie leiden, müssen wir eine Kalkulation über das mit einer Handlung verbundene Leid anstellen und danach handeln. Das führt dann u.U. in unschöne Aufrechnungsszenarios, wie z.B. die Frage, ob ein Mensch im Koma durch seine verminderte Leidensfähigkeit nicht eher getötet werden sollte als ein voll leidensfähiges Schnabeltier. Das Beispiel zeigt, dass das Argument der Leidensminimierung u.U. dahin führt, Menschen sterben zu lassen – und das ist kein böswilliges „Auf-die Spitze-treiben“, sondern wird von Peter Singer selbst so ausgeführt.

Die Grundidee der Leidensminimierung liefert als nicht nur keine befriedigende Antwort auf die Frage der Tierrechte, sondern provoziert in der politischen Auseinandersetzung die Frage, wieso Menschen, die viel Empathie für Tiere aufbringen, es mitunter an Mitleid für Menschen fehlen lassen.

Vielleicht geht es bei der Leidensreduktion in einer verschwurbelten Art und Weise um das Leiden der an einer unvollkommenen Welt. Vielleicht lassen sich die Verhältnisse einfach leichter ertragen, wenn man sich zumindest in einer Frage konsequent auf die gute Seite stellen kann. Dann wäre die Funktion des Veganismus psychische Entlastung für die VeganerInnen.

Fasten für den Seelenfrieden

Die Welt ist schlecht. Alle 5 Sekunden verhungert ein Kind. Den Angehörigen der Metropolen-Linken geht es im internationalen Vergleich gut. Und irgendwie ist es eine Banalität, dass beides damit zu tun hat, dass sich 1/3 der Welt auf Kosten der anderen 2/3 fett frisst. Diese Erkenntnis ist ein ziemlicher Hammer für’s Selbstbild – eben noch edel auf der Seite der Unterdrückten muss man irgendwann feststellen, selbst zu den Bonzen zu gehören. Verzicht ist an dieser Stelle eine gute Strategie, um sich selbst noch im Spiegel betrachten zu können. Dass man durch Verzicht ein besserer Mensch wird, wissen Christ_innen genauso wie Anhänger_innen verschiedener Eso-Schulen und wie man hört, steigt auch unter Atheist_innen die Bereitschaft zum Fasten. Durch individuelles Darben kann man sich ernährungstechnisch ein Stück weit auf die Seite der Unterdrückten stellen – das passt für Veganismus ebenso wie für’s containern. Das Angebot ist verlockend: In wenigstens einem Feld kann sind Gut und Böse einfach zuzuordnen. Für die Hedonismus-Linke könnte man natürlich das Gegenteil unterstellen: Mit den lukullischen Genüssen, die dort gerüchteweise auf den Tisch kommen, bildet sich der prekäre Intellektuelle ein, zum längst untergegangenen Großbürgertum zu gehören und zumindest beim Essen mit Adorno an einem Tisch zu sitzen. Der Haken an beiden Bildern ist die Empirie – denn weder gibt es bei Veganers nur trockenes Brot mit Magerine3 noch sind antideutsche Theoretiker für ihre gute Küche berühmt. Trotzdem hat die Erklärung zumindest für einen Teil der beider Szenen eine gewisse Erklärungskraft. Wenn ein Tisch voller Veganer_innen während eines gemeinsamen Abendessens nur darüber redet, wie toll das halbgare Gemüse schmeckt und wie schlimm McDonalds ist, liegt zumindest der Verdacht nahe, dass das Gemüseblech an erster Stelle der Selbstvergewisserung dient.

Aber egal. Unabhängig davon, ob halbgares Gemüse und ungewürztes Tofu als Verzicht verstanden wird, lädt der politische Veganismus dazu ein, das ganze Elend der Naturzerstörung individuell zu bekämpfen und damit den eigenen Körper aktiv zum Kampffeld zu machen. Damit einher geht u.U. ein problematisches Körper-Verständnis: Für Frauen dockt Veganismus problemlos an einer Reinheitsvorstellung an, die auch für Essstörungen typisch ist, für Männer bietet Veganismus (wie auch Straight-Edge) ein Körperkonzept von Härte, Disziplin und Kompromisslosigkeit gegen sich selbst an. Das Ideal des gesunden und wohlgeformeten Körpers ist für beide Geschlechter eine Vorstellung, die im Kapitalistischen Rahmen an erster Stelle Leistungsfähigkeit bedeutet und als Norm dazu beiträgt, diejenigen auszuschließen, die ihm nicht entsprechen – siehe die aktuellen Diskussionen um Lookism und vor allem Ableism. Diese problematischen Effekte werden noch bestärkt, wenn Veganismus nicht als Ernährungsgewohnheit, sondern als Identität gesehen wird: „Man ist, was man isst“ – insofern sind die kranken Fettsäcke selbst schuld an ihrem Elend und die edlen Veganer_innen voll verantwortlich für das Wohlergehen ihrer Selbst und der Welt. Das kann, wenn man es konsequent betreibt, nur zu Überforderung führen und steht einem lustvollen Bezug zum eigenen Körper entgegen.

Fazit

Was soll man machen mit einer Angelegenheit, die sich politisch nennt und sich damit auf das schwierige Gebiet begibt, Aussagen zu formulieren, die mehr als bloße Ansichtssache sein sollen? Was tun, wenn diese Aussagen schlecht begründet (Reitenjagenfischen, Übertragung von menschlichen Konzepten auf Tiere) oder im Endeffekt menschenfeindlich (Singer, problematische Körperbilder) sind? Vermutlich ist es das beste, die vegane Ernährungsweise als liebenswerte Schrulle abzutun und den politischen Veganismus nicht ernst zu nehmen. Wenn man ihn ernst nähme, müsste man ihn aus linker Sicht bekämpfen.

  1. Also gut, auf die Schnelle: Recht hängt am Staat und am Status als Staatsbürger. Gerechtigkeit bedeutet unter anderem schlicht und einfach Äquivalententausch, schlecht für die, die nichts anzubieten haben. Freiheit bedeutet zum einen, Freiheit von traditionellen Zwängen, andererseits die Freiheit von Mitteln zum Bestreiten des eigenen Lebensunterhalts und damit den Zwang, die eigene Arbeitskraft zu Markte tragen zu müssen. [zurück]
  2. „für ein friedliches Zusammenleben auf der Erde“, Reitenjagenfischen-Aufruf [zurück]
  3. Ein lokales Gegenbeispiel ist die oftmals exquisite vegane KücheFürAlle in Erfurt. [zurück]