Radikales in der Provinz: Der 01.03. in Gotha.

Einige Eindrücke aus Gotha

Am vergangenen Samstag fand die Antifa-Demo „Jetzt erst recht!“ der Antifaschistischen Aktion Gotha statt, die wir unterstützt haben. Etwa 170 Mensch folgten dem Aufruf in die Provinz, die viel zu oft vernachlässigt wird. Dabei steht Gotha mit seinen aktiven antifaschistischen Strukturen nicht für die typische, deutsche Provinz, übernimmt vielmehr die Aufgabe auf Missstände im eigenen Umkreis aufmerksam zu machen.

So geschehen auch auf der Demonstration am 01.03. Thematisiert wurde die politische Einschätzung aus linker und linksradikale Perspektive auf die Geschehnisse in Ballstädt und die Situation von Geflüchteten in Waltershausen sowie der Roma in Thüringen.

Während Katharina König die Geschehnisse und Hintergründe um den Neonazi-Angriff auf die Kirmesgesellschaft in Ballstädt, die aktiven Nazistrukturen und das wiederholte Versagen des Thüringer Verfassungsschutzes beleuchtete, machte die Antifa Suhl / Zella-Mehlis auf die gesellschaftlichen Bedingungen dieses deutschen Zustandes aufmerksam. Der Redebeitrag aus Südthüringen kritisierte dabei das zivilgesellschaftliche Engagement, das vielerorts in der NPD den „bösen“ Nazi erkennt, jedoch die AfD als konservative Kraft verkennt und den Staat sowie seine Organe als Bündnispartner im Wirken für eine vermeintlich bessere Gesellschaft versteht. Der abschließende Appell rief zur Organisierung in antifaschistischen Strukturen und Initiativen auf, um damit zur Stärkung eines kritischen Bewusstseins gegen den menschenfeindlichen Charakter der Verhältnisse beizutragen.

Ein Beitrag der Antifaschistischen Aktion Gotha erklärte antifaschistischen Selbstschutz für notwendig und gab außerdem einige Anhaltspunkte, wie mit Angriffen von Nazis umzugehen sei. Der Hinweis darauf bekam in den letzten Wochen schmerzliche Brisanz. In Waltershausen, einem kleinen Ort nahe Gotha, wurden mehrfach Geflüchtete verbal und physisch von Nazis angegriffen, auch eine Drohung das Lager, in dem die Geflüchteten leben müssen, anzuzünden wurde getätigt. Auf diese Zustände und das Gefahrenpotential wurde durch die Demo aufmerksam gemacht. Es gilt nun, Augen und Ohren offenzuhalten. Nicht nur in Gotha, sondern auch in Erfurt, Weimar, Jena und sonst wo sollte sich bereit gehalten werden, im Fall der Fälle in Waltershausen Präsenz zu zeigen und Unterstützung zu leisen.

Unterstützung und vor allem die Bereitschaft aufeinander zu zugehen, artikulierte ein Beitrag aus dem Supporter*innenkreis der Roma in Thüringen.

Einige Roma waren zur Demo gekommen und zeigten damit, dass die Kämpfe von Geflüchteten und Antifas nicht getrennt sein sollten. Auch wenn sich die Inhaber*innen eines deutschen Passes mit anderen Ängsten konfrontiert sehen müssen, so habe mensch doch einen gemeinsamen Gegner: Es ist diese Gesellschaft, der Staat, seine Organe und die übergroße Gewalt, die sich im Alltag gegen uns konkretisiert.

So zog die Demo mal mehr, mal weniger laut durch Gotha. Ein stimmungsvoller, solidarischer Gruß ging an den Jenaer Genossen Josef, der noch immer in Wien in Uhaft sitzt.

Nachfolgend dokumentieren wird den Nachbereitungstext der Antifaschistischen Aktion Gotha und die Links zu den gehaltenen Redebeiträgen am Samstag.

01.03.2014: 170 auf Demonstration gegen Naziterror und alltäglichen Rassismus in Gotha

Um 11:30 Uhr sammelten sich die Teilnehmer_innen der Demonstration, des Antifa-Bündnisses am Gothaer Hauptbahnhof. Gegen 12:30 Uhr startete die Demonstration und zog in Richtung Innenstadt. Dort angekommen, wandelte sich der Aufzug in eine lautstarke Demo. Am Zwischenkundgebungsort, dem Gothaer Neumarkt, hielten Katharina König und die Antifa Suhl/Zella-Mehlis ihre Redebeiträge. Diese thematisierten zum einen, den Naziüberfall in Ballstädt vom 09.Februar, sowie die bürgerlich – kapitalistische Grundstimmung, die einen solchen Vorfall erst möglich macht. Zum Anderen wurde eine Kritik am staatsbürgerlichen Verantwortungsbewusstein bzw. zivilgesellschaftlichten Heimatschutz formuliert.

Nach der Zwischenkundgebung zog die Demo weiter durch die Innenstadt bis zur Hersdorfstraße. Dort gab es auf dem Dach des Ju.w.e.l.e.V. Gotha eine nette Transpiaktion (samt Feuerwerksuntermalung) mit der Aufschrift „Den antifaschistischen Selbstschutz organisieren – Freiheit für Josef!“. Josef aus Jena sitzt seit der Demo gegen den Akademikerball am 24.01.2014, in Untersuchungshaft im Gefängnis Wien/Josefstadt. Wir wünschen ihm von hier aus alles Gute. Auf das sie uns niemals klein kriegen werden! Auf der Freifläche in der Hersdorfstraße gab es dann eine weitere Kundgebung. Hier machten die Bewohner_innen des Ju.w.e.l. auf ihr Situation, mit Naziangriffen aufmerksam und die Antifaschistische Aktion Gotha hielt einen Redebeitrag zum Thema „Den antifaschistischen Selbstschutz organisieren – Umgang mit Naziübergriffen“. Ein weiterer Redebeitrag wurde von der Gruppe Roma in Thüringen gehalten, in diesem baten sie um mehr Vernetzung und thematisierten ihre Situation. Zum Schluss ging es dann gemächlich zum Hauptbahnhof zurück, wo die Demo aufgelöst wurde. Während der Auflösung wurde ein Mensch von Polizisten, wegen eines „All Cats are Beautiful“ Beutels, unsanft von der Straße gezerrt, kontrolliert und später angezeigt. Nachdem sich alles aufgelöst hatte, verspürte, die für den Tag stationierte Einsatzhundertschaft, das Bedürfnis ca. 20 Personen im Gothaer Stadtpark in einen Kessel zu nehmen und zu kontrollieren. Ein Mensch wurde wegen fehlender Wohnadresse mit auf die Wache genommen und wieder frei gelassen.

Wir haben während der Vorbereitungen zur Demo sowohl Zuspruch als auch Bedenken und Kritik entgegen gebracht bekommen. Für alles sind wir dankbar, da es hilft uns selbst zu reflektieren. Das Anliegen dieser Demonstration war es, ein Zeichen zu setzen und einen Anstoß zu geben, auf die derzeitigen Verhältnisse im Landkreis Gotha und auch sonst überall zu reagieren und deren Problematik aufzuzeigen (Jetzt erst Recht!). Es liegt an uns allen, emanzipatorische Strukturen aufzubauen, wo es ihrer bedarf und wenn wir es denn wollen. (Wir jedenfalls wollen es!) Unser Ziel ist es, mit der Demo Mut zu machen, zu zeigen, dass wir eine radikale Stimmung aufbauen können, von der eine Region geprägt werden kann. In unserem Selbstverständnisses vom August 2013 erklärten wir: „Wir möchten mit einem Entgegenwirken autonomer Politik Missstände benennen und angreifen, uns dabei immer weiter entwickeln und Konzepte antifaschistischer Praxis entwickeln und nach außen sowie in die Bewegung tragen“. Dem wollen wir gerecht werden. Während der Demo riefen wir immer wieder dazu auf, sich selbst sowie den antifaschistischen Selbstschutz zu organisieren. Genau gesagt, anstatt nur zu reagieren, ist es wichtig eigene Akzente zu setzen und die Region zu prägen. Wir sind der Ansicht, dass während wir versuchen die Verhältnisse zu verstehen, eine Praxis entwickelt werden muss, um die Grundstimmung dahingehend zu verändern, dass wir fähig werden Missstände anzugreifen und beseitigen zu können.

Ein großer Dank geht an alle Gruppen und Einzelpersonen, die die Demo unterstützt haben. Wir haben klar gemacht, dass es die kapitalistischen Verhältnisse und die rassistischen Ressentiments sind, welche verstanden und überwunden werden müssen.

Nie wieder Deutschland! Jetzt erst Recht – aktiv und solidarisch gegen Naziterror und alltäglichen Rassismus!

Links zu den Redebeiträgen

AAGTH – Einleitungsrede
AAGTH – Den antifaschistischen Selbstschutz organisieren – Umgang mit Naziangriffen
Antifa Suhl/Zella-Mehlis – Kritik am staatsbürgerlichen Verantwortungsbewusstein und zivilgesellschaftlichten Engagement
Statement der Bewohner_innen des Ju.w.e.l.
Verteilter Flyer der Gruppe Roma in Thüringen