Kammwegklause dichtmachen: Bericht und Bilder zur Kundgebung am 01.11.

Am frühen Abend des 01. November versammelten sich etwa 50 bis 60 Antifaschist*innen am Erfurter Herrenberg, um gegen gegen den nunmehr elften Liederabend in der sich zum Neonazi-Treffpunkt etablierten Kammwegklause zu protestieren. Die dazu angemeldete Kundgebung „Nazizentren wegboxen“ wurde zur „Tanzkundgebung“, sodass sich der Protest neben lautstarken Parolen auch durch bunte Lichter und reichlich laute Musik ausdrückte.

Die Polizei hatte in Vorbereitung auf die Brisanz des Aufeinandertreffens zwischen Kundgebungsort und Kammwegklause Hamburgerkitter aufgestellt, sodass es keinen direkten Kontakt zwischen Nazis und Antifaschist*innen gab. Jedoch erheiterte ein Neonazi auf einem Balkon eines angrenzenden Wohnblocks die Kundgebung. Er drohte den Kundgebungsteilnehmer*innen unentwegt und unterhielt mittels tierhafter Gesten – unerkannt konnte er trotz Sturmhaube, Handschuhen und schwarzer White Power-Sweatshirtjacke nicht bleiben. Seine Freundin zog sich mit ihrem Baby erst vom Balkon zurück, als die Polizei zu einer Ansprache vorbeikam.

Besonders öffentlichkeitswirksam konnte das Anliegen der Antifaschist*innen höchstwahrscheinlich nicht vermittelt werden. Vereinzelt traten verstört wirkende Anwohner*innen aus den Haustüren. Informative Flyer gab es leider nicht – einzig die Redebeiträge trugen dazu bei, den Anlass des Protestes zu erklären.

Daher dokumentieren wir im Folgenden unseren Redebeitrag, gehalten auf der betreffenden Kundgebung und weitere Bilder zum nächtlichen Szenario:

Liebe Genoss*innen und Freund*innen, verehrte Anwohner*innen,

Heute findet schon wieder ein Nazikonzert in der Kammwegklause statt. Das nach unserem Kenntnisstand mittlerweile elfte. Wir sind heute, und das nicht zum ersten Mal, hier vor Ort, um lautstark klarzumachen, dass wir weder Nazis noch ihre Zentren tolerieren werden. Die Zeit der Ruhe für die Nazis hier am Herrenberg und deren Unterstützer ist vorbei!

Eigentümer der Kammwegklause ist ein gewisser Manfred Stein aus Erfurt. Dieser gibt sich nach außen unpolitisch, hat aber gleichzeitig kein Problem damit, dass seine Immobilie als überregionaler Nazitreffpunkt genutzt wird. Seit November 2012 verpachtet er die ehemalige Gaststätte an Gabriele Völker. Sie ist dem Spektrum der „Freien Kräfte Erfurt“ zuzurechnen und hat in der Vergangenheit selbst an rechten Demonstrationen teilgenommen. 2010 wurde sie wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Bei einem antifaschistischen Stadtrundgang im Februar 2014 pöbelte sie vor der Klause lautstark aus der ersten Reihe gegen die anwesenden Antifaschist*innen.
Seit Völker die Kammwegklause betreibt, hat sich diese zu einem wichtigen Anlaufpunkt für die lokale Naziszene und darüber hinaus entwickelt. Anfangs wurden die Räumlichkeiten vom inzwischen aufgelösten Naziverein Pro Erfurt genutzt. Dieser wurde 2008 für die anstehenden Kommunalwahlen vom früheren Erfurter NPD-Kreischef und V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes Kai-Uwe Trinkaus gegründet, nachdem dieser wegen interner Streitigkeiten aus der NPD ausgeschlossen wurde. Während der Oberbürgermeisterwahlen 2012 veranstaltete der Naziverein mehrere von lautstarken antifaschistischen Protesten begleitete Kleinkundgebungen. Doch aufgrund der offenkundigen Bedeutungslosigkeit, sowie der eigenen Unfähigkeit scheiterte der Versuch mit Christoph Pilch einen Kandidaten für die Oberbürgermeisterwahl zu stellen schon im Vorfeld kläglich.

Im Januar 2013 wurde bekannt, dass „Pro Erfurt“-Nazis den Kampfsportverein „GSV – Mach dich fit e.V.“ gegründet hatten. Bereits 2006 trainierten Nazis um Enrico Biczysko und Kai-Uwe Trinkaus im Tarnverein „SV Erfurt 1871 e.V.“ Kickboxen, Nahkampf und den Umgang mit Messern. Wie später bekannt wurde sollte das Training als Vorbereitung für einen geplanten Großangriff von Nazis und Hooligans auf des Besetzte Haus Erfurt dienen. „Zur Not wolle man die Bude abfackeln, da es dort ja ohnehin schon öfter gebrannt habe.“, wird Trinkaus im Abschlussbericht eines Untersuchungsausschusses im Thüringer Landtag zu seiner V-Mann-Rolle zitiert. Dies wurde in der Nacht vom 20. April zum 21. April 2007 versucht in die Tat umzusetzen, als bis heute unbekannt gebliebene einen Brandanschlag auf das Besetzte Haus verübten. Das Feuer blieb unentdeckt, erlosch aber glücklicherweise von selbst wieder. Im dem Gebäudeteil schliefen zu diesem Zeitpunkt mehrere Menschen. Heute ist klar, was damals schon seitens der Besetzer*innen vermutet wurde. Die Täter waren Nazis aus dem Umfeld von Trinkaus. Doch bereits am 31. Mai 2006 hatte der Verfassungsschutz den Kontakt zu Trinkaus hergestellt. Was dies mit Blick auf die Zusammenarbeit von gewalttätigen und mordenden Nazis und dem Verfassungsschutz in Thüringen bedeutet, muss auch im Zuge des NSU-Komplex weiter aufgearbeitet werden.

Als sich Trinkaus im Dezember 2012 selbst als „V-Mann“ des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz enttarnte, läutete dies endgültig das Ende von Pro Erfurt ein. Im August 2013 löste sich Pro Erfurt auf. Doch mit der Kammwegklause, welche aus dem Dunstkreis von Pro-Erfurt betrieben wurde, verfügte die Szene nun bereits seit Monaten über einen festen Treffpunkt und konnte sich ungestört verfestigen.
Bereits am 17. August 2013 nahm dann, wenig überraschend, das ehemalige Pro Erfurt-Mitglied Enrico Biczysko an einer NPD-Kundgebung in Erfurt teil. Dieser konnte wohl der Aussicht auf finanzielle Unterstützung und Parteiposten nicht widerstehen und wurde mit offenen Armen im Kreisverband der NPD aufgenommen. Die Partei hatte es wohl in erster Linie auf das Mobilisierungspotenzial des mehrfach wegen Gewaltdelikten vorbestraften Nazihooligans Biczysko im Spektrum der Freien Kameradschaften und rechter Hooligan-Gruppen abgesehen.

Mittels dieser Verbindung zwischen Parteigeldern und -strukturen sowie Biczyskos Kontakten in die Freie Kameradschaftsszene in Thüringen konnte die Kammwegklause weiter aufgebaut werden. Es folgten Auftritte von RechtsRock-Bands und neonazistischen „Liedermachern“ und Biczysko konnte seinen Naziversand „Patriot“ aufbauen. Aber auch die NPD profitierte von dieser Verbindung. Im Frühjahr 2014 eröffnete die Partei im Gebäude der Kammwegklause ihr Bürgerbüro, es fanden Mitgliederversammlung der NPD Erfurt-Sömmerda sowie der Neujahrsempfang der Partei und eine Lesung mit dem damaligen NPD-Spitzenkandidaten für die Europawahl Udo Voigt statt.
Biczysko dankte die Partei auf ihre Art, indem sie ihn Frank Schwerdt als Spitzenkandidat der NPD für die Wahl zum Erfurter Stadtrat ablösen ließ. Davon versprach sich die Partei Stimmen aus dem Lager der Freien Kameradschaften sowie unorganisierter Nazis bei den Kommunalwahlen 2014.
Während des Wahlkampfes versuchte sich Biczysko als Anzug-tragender Biedermann zu inszenieren, obwohl sein Vorstrafenregister das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, mehrfache Körperverletzungen und gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung auflistet.
Biczysko war vor seiner Zeit bei Pro Erfurt und der NPD bei den „Freien Kräften Erfurt“ organisiert und einer der Köpfe der Nazihooligantruppe „Kategorie Erfurt“ (KEF). Dieses äußert gewalttätige Kapitel seiner Karriere versucht er heute als Parteikader zur Not auch gerichtlich vor der Öffentlichkeit geheim zu halten. Auch die Verurteilung zu einer Haftstrafe versuchten Biczysko und die Partei während des Wahlkampfes hinter einem breiten Grinsen auf den Wahlplakaten zu verstecken. Dass er diese Distanzierungsversuche selbst nicht so ganz ernst nimmt, beweist Biczysko immer wieder. Im Februar 2014 fungierte er als Ordner bei einem Naziaufmarsch in Weimar, aus dem heraus versucht wurde Polizisten und Antifaschisten anzugreifen.

Seit dem 1. September 2014 befindet sich nun auch noch ein Ladengeschäft der Marke „Ansgar Aryan“ im Gebäude der Kammwegklause. Die Szenemarke Ansgar Aryan wurde 2008 im thüringischen Oberhof von Daniel Kilian gegründet. Dieser ist mehrfach vorbestraft u.a. wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen und dem Verstoß gegen das Waffengesetz. 2012 wurden Kilians Wohn- und Geschäftsräume von der Polizei durchsucht und dabei 178 Jacken mit verfassungsfeindlichen Symbolen beschlagnahmt. Inzwischen ist der als „Nazi-Hipster“ bekannte Patrick Schröder aus Bayern Inhaber der Marke „Ansgar Aryan“. Der NPD-Funktionär organisierte im Oktober 2013 das Nazifestival „Live H8“ im mittelfränkischen Scheinfeld, zu dem er 1000 Nazis in die Provinz locken konnte. Beim Nazifest „In.Bewegung“ 2014 in Sondershausen trat er als Redner auf. In Zusammenarbeit mit dem „Bündnis Zukunft Hildburghausen“ (BZH), einer NPD nahen Kleinstgruppierung, organisierte er außerdem eine Großveranstaltung am 23. August 2014 in Hildburghausen, bei der bekannte Nazibands und Redner auftraten. Solche Veranstaltungen mit einer Mischung aus harter Nazimusik und einem ideologischen Teil mit Reden eignen sich besonders gut, um jungen Menschen eine neonazistische Erlebniswelt zu eröffnen und diese an die Szene heranzuführen.
Ein Hauptbestandteil der rechten Erlebniswelt in Erfurt bilden neben Kundgebungen, Demos, Sauf- und Kameradschaftsabenden, Szeneklamotten und konspirativen Treffen – besonders die vielen Konzerte und Liederabende in der Kammwegklause. Seit April 2013 fanden bereits zehn dieser Musikveranstaltungen statt.
Als Anmelder solcher Veranstaltungen tritt neben Biczysko immer wieder Chris Hilbig auf, welcher am 10. Mai als Ordner einer NPD-Kundgebung im Beisein von Polizist*innen Gegendemonstranten mit Schlägen und Tritten angriff. Auf diesen Veranstaltungen treten dann vor bis zu 100 Nazis aus ganz Thüringen und darüber hinaus bekannte Szenebands und Liedermacher aus dem ganzen Bundesgebiet auf. Zu den bekanntesten gehören Michael Regener alias „Lunikoff“ (Sänger der als kriminelle Vereinigung verbotenen Nazikultband „Landser“), Marco Bartsch (Sänger von „Sleipnir“) und Patrick Blumenschein („Resistentia“), welcher bei Facebook ein Urlaubsfoto hochlädt, auf dem er vor dem Lagertor des Stammlagers Auschwitz posiert.
Der gerade stattfindende Liederabend in der Kammwegklause bei dem auch „Resistentia“ auftritt, soll dazu dienen Geld für im Gefängnis sitzende Nazis zu sammeln. Schon bei vergangen Konzerten in Erfurt traten die Interpreten unter Plakaten der sogenannten „Gefangenhilfe“ auf, einer bundesweit agierenden Unterstützergruppe für in Haft sitzende Neonazis. Wir gehen davon aus, dass das Geld wohl in erster Linie für Ralf Wohlleben gesammelt wird, welcher als mutmaßlicher Unterstützer der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund in Haft sitzt. Aber auch für laufende Verfahren gegen die Nazis des Freien Netz Süd und der AN Göppingen werden Gelder gesammelt.
An dieser Stelle wird die Relevanz von Nazizentren wie der Kammwegklause für die Szene besonders deutlich. Die Kammwegklause bietet alles was das braune Herz höher schlagen lässt und schafft so eine extrem rechte Erlebniswelt, welche besonders wichtig für die Rekrutierung von rechts anpolitisierten Jugendlichen ist. Nazizentren bieten einen geschützten Raum für die weitere Radikalisierung von ideologisch ungefestigten Nazis. Aber auch für die weitere Organisierung und Vernetzung der Naziszene in Thüringen und bundesweit spielen Läden wie die Kammwegklause eine zentrale Rolle.

Die Kammwegklause stellt eine Bedrohung für alle dar, welche nicht in das beschränkte Weltbild der Nazis passen. Uns wurde wiederholt über Angriffsversuche auf Antifaschisten, Hetzjagden durchs Viertel und Bedrohungen seitens der Nazis aus der Kammwegklause heraus berichtet. Die Anwohner*innen scheint dies wenig zu stören. Falls Angst der Grund für das allgemeine Schweigen hier im Viertel sein sollte, können wir Wege zur Vernetzung und unsere Unterstützung anbieten. Falls aber eine bewusste Relativierung des offenkundigen Naziproblems der Grund ist, dann sind die Anwohner*innen ein Teil des Problems.

Die Stadt, sowie Polizei und Ordnungsbehörde haben es den Nazis hier im Viertel lange so angenehm wie möglich gemacht. Konnten die Nazis unbehelligt so über Jahre hinweg ein eigenes Zentrum aufbauen, warfen Stadt und Behörden antifaschistischen Initiativen für ein linkes, subkulturelles Zentrum beständig Steine in den Weg. Besetzte Häuser wurden geräumt, die danach zum Teil ungenutzt verfallen sind. Aktivistinnen und Aktivisten wurden mit Repression überzogen und Verhandlungen torpediert. Dabei ist eine lebendige antifaschistische Subkultur eines der wirksamsten Mittel gegen eine sich ausbreitende Naziszene. Ein linkes Zentrum bietet einen Rückzugsort für von Nazigewalt und Rassismus betroffene und schafft Möglichkeiten des Austauschs und der Reflexion. Es ist eine Basis, ein Stützpunkt, von dem aus Menschen gegen Nazis aktiv werden können. Ein linkes Zentrum bietet die Möglichkeit selbstorganisiert und fernab von ideologischer Pädagogik die gesellschaftlichen Ursachen für das Entstehen von Nazis und Rassismus in den Blick zu nehmen. Gleichzeitig können mögliche Alternativen im Kleinstformat ausprobiert oder zumindest angedacht werden.

Die Gefahr die von dem Nazizentrum Kammwegklause ausgeht, bei gleichzeitigem Fehlen eines alternativen subkulturellen Zentrums, kann kaum mehr unterschätzt werden und muss klar benannt werden:
Nazis haben sich hier am Herrenberg mitten in einem der größten Wohngebiete Erfurts in den vergangen zwei Jahren einen überregionalen Treffpunkt aufgebaut, sammeln Geld für sich, ihre Organisationen und inhaftierte Nazis, die den NSU unterstützt haben. Sie bedrohen Menschen und greifen diese an, wenn sich dazu Gelegenheit bietet. Damit muss endlich Schluss sein!

Her mit einem autonomen Zentrum! Kammwegklause dichtmachen! Zusammen & entschlossen gegen Nazis vorgehen!

Abgesperrter Kundgebungsort vor einem Wohnblock

In Blickrichtung auf dem Bild nur schemenhaft zu erkennen: ein aufgeregfter Neonazi.

Durfte nicht fehlen: Glitter.