21.10., Erfurt: 2500 Menschen bei Protesten gegen AfD

Update 23.10.: Uns wurde berichtet, dass nachdem sich unsere Demo am Anger aufgelöst hatte Nazis in Michaelisstraße Menschen angegriffen haben. Wenn ihr Übergriffe beobachtet, meldet euch bei uns.

Ca. 2500 Menschen
haben gestern gegen eine AfD-Kundgebung auf dem Erfurter Domplatz und für ein bedingungsloses Bleiberecht demonstriert. Aufgerufen hatte das Jugendverbändebündnisses „Auf die Plätze fertig Mittwoch“, das linksradikale Bündniss Grenzen abschaffen – gegen deutsche Zustände und Festung Europa“ sowie verschiedene Kirchengemeinden.

Schon um 17.30 stehen 1000 Menschen auf dem Bahnhofsvorplatz. Bis zum Start der Demonstration um 18:30 wächst die Zahl der Teilnehmenden immer weiter an. Auch beim kraftvollen Zug bis zum Domplatz schließen sich noch Menschen an. Auf dem Anger wird die Demonstration von Teilnehmer_innen des Friedensgebets in der Lorenzkirche mit Kerzen und Applaus emfangen. „Say it loud, say it clear, Refugees are welcome here“ wird heute von Autonomen und Christ_innen gerufen, man sieht hippieeske und miliant anmutende Banner von Anarchist_innen, dem Erfurter Bündnis gegen Sozialabbau und sogar eine SPD-Fahne.


Kurz vor dem Domplatz kommt die Demonstration vor einer Gruppe Nazis zum Stehen. Aber die Situation klärt sich schnell, sodass der Zwischenkundgebungsplatz vor dem Landgericht Erfurt erreicht wird. Während der Lautsprecherwagen den Anweisungen der Polizei folgt und vor dem Gericht stehen bleibt, zieht es den Großteil der Demonstrierenden an die Hamburger Gitter die AfD und Gegendemo trennen. Rassist*innen und Nazis der AfD werden von da aus lautstark beschallt. Im Hintergrund bleibt der Dom im Dunkeln, während Bernd, ehem Björn Höcke die Menge auffordert, diesen Umstand „hinwegzulächeln“. Die „Inländerfreundliche“ AfD begrüßt zwei angeblich geschlossen angereiste CDU-Ortsverbände aus Thüringen und versucht sich mit „Liebe Leute von der NPD, verpisst euch von unserer Demo, ihr habt hier nichts verloren“ abzugrenzen. Das dies nur Makulatur ist, bleibt offensichtlich. Die Menge wird zum Kampf gegen die „von oben verordnete multikulturelle Revolution“ aufgewiegelt.

Währenddessen verlieren sich die Protestierenden trotz des erfreulichen Mobilisierungserfolgs auf der relativ großen Fläche des Domplatzes. Wer im nächsten Moment neben einem steht, ist unklar, da mitunter Nazigrüppchen umherstreifen und sich nicht nur mit Bratwürsten versorgen.

Da es in den vergangenen Wochen zu mehreren Übergriffen auf Antifaschist*innen und Migrant*innen gekommen ist, geht es im geschlossenen Demonstrationszug zurück zum Anger. Dies war jedenfalls der idealistische Plan. Im Vorfeld wurde vermehrt auf das Konzept der Bezugsgruppen hingewiesen und in Zusammenhängen diskutiert, wie Schutz organisiert werden kann. Ob dies geklappt hat, wird sich im Nachhinein erweisen. Bisher ist nichts von Übergriffen bekannt.

Hier noch unser Redebeitrag von der Auftaktkundgebung:

Es sind heute 9°C in Erfurt. Im Osten von Afghanistan fängt gerade der Winter an, es sind -4°C. In Südserbien liegt die Temperatur knapp über dem Gefrierpunkt. Ebenso in Westbosnien. Aber die Thüringer Landesregierung hat heute erklärt, dass es dieses Jahr keinen Winterabschiebestopp geben wird.

Wir erwähnen das, weil es wichtig ist, nicht zu vergessen, dass die AfD nur eine Partei ist, die derzeit gegen Geflüchtete Politik macht: Letzte Woche hat der Bundesrat eine Verschärfung des Aslyrechts beschlossen. Diese Verschärfung enthält viele der Forderungen, die auch von der AfD gestellt werden.

Die Asylrechtsverschärfung bedeutet Ausgrenzung: Geflüchtete, die nicht abgeschoben werden können, sind künftig vom soziokulturellen Existenzminimum ausgeschlossen. Das heißt: Nur ihre physische Existenz wird gesichert, nicht aber ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Die Asylrechtsverschärfung bedeutet Unterbringung in Lagern: Der reguläre Aufenthalt in Erstaufnahmeeinrichtungen wird auf 6 Monate verlängert. Geflüchtete aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten werden dauerhaft in Sonderlager gesperrt.

Die Asylrechtsverschärfung bedeutet Aushungern: In Erstaufnahmeeinrichtungen werden zukünftig nur noch Sachleistungen ausgegeben. Im Lager wird gegessen, was vom Amt kommt.

Die Asylrechtsverschärfung bedeutet Abschiebung: Zukünftig sollen auch die Asylanträge von Menschen, die aus Albanien, Kosovo und Montenegro nach Deutschland kommen, schneller abgelehnt werden können.

Die Asylrechtsverschärfung bedeutet Kontinuität von Rassismus gegen Roma: Den ganzen Westbalkan zum sicheren Herkunftsstaat zu erklären, ignoriert die Verfolgung von Roma und nimmt sie letzten Endes hin. Die jahrhundertelange Diskriminierung und Verfolgung in ganz Europa wird damit bagatellisiert und die eigene Verantwortung geleugnet.

Die Asylrechtsverschärfung bedeutet ständige Angst: Künftig werden Abschiebungen nicht mehr angekündigt. Menschen, die um ihren Aufenthalt in Deutschland kämpfen, müssen also in ständiger Angst leben, von der Polizei überrascht und abgeführt zu werden: Zuhause, in der Schule, bei einer Polizeikontrolle

Die Asylrechtsverschärfung bedeutet damit auch, dass es in Zukunft viel schwieriger wird, Abschiebungen zu verhindern.

Die Aslyrechtsverschärfung ist eine Reaktion darauf, dass viele mutige Menschen die Außengrenzen der Festung Europa derzeit nicht mehr beachten.
Zehntausende Menschen in Ungarn, Kroatien und auf den griechischen Inseln Fakten schaffen derzeit Fakten: Sie überwinden Mauern, sie zerschneiden Stacheldraht, sie umgehen Wärmebildkameras und CO2-Sensoren.

Sie nehmen sich das Recht, genau so wie billige Konsumgüter und Rohstoffe den Weg in die Zentren zu nehmen. Aber was für Turnschuhe und Flachbildschirme einfach ist, endet für Menschen oft tödlich: Mehr als 30.000 Menschen sind in den letzten 25 Jahren beim Versuch gestorben, die EU-Außengrenzen zu überwinden.
Seit 2004 existiert mit Frontex eine paramilitärische Organisation, deren Aufgabe es ist, die EU-Außengrenzen zu sichern. Frontex ist mit verantwortlich für die 30.000 Toten. Seit dem 30. Juni beteiligen sich zwei Kriegsschiffe der Bundeswehr im Rahmen einer EU-Mission an der Überwachung des Mittelmeer. Ging es bisher nur darum, Informationen über Fluchtwege zu sammeln, soll bald auch geschossen werden.

Der bewaffnete Kampf gegen Geflüchtete und die Zerstörung von Booten durch Deutsche Soldaten wurde am 16. September vom Bundeskabinett beschlossen. Die Bundesregierung ist verantwortlich für die Toten.

Wir wollen uns mit diesen Toten nicht abfinden!

Solidarität mit Geflüchteten heißt, genauso gegen den deutschen Staat und die Festung Europa zu kämpfen, wie Nazis und Rechtspopulisten entgegenzutreten.
Was wir bisher dagegen getan haben, ist nicht genug. Wenn man „Refugees Welcome“ ernst meint, muss es weitergehen:Solidarität muss politisch werden!

Wenn die nächste Abschiebung bekannt wird, muss die Straße genau so voll werden wie heute.

Wenn das Kapital in nützliche und überflüssige Migrant_innen sortiert, müssen wir klar sagen, dass weder Geflüchtete noch wir einfach Menschenmaterial sind, dass dem Standort oder der Wirtschaft dient.

Wenn der Staat die inneren und äußeren Grenzen aufrüstet, müssen wir aktiv Fluchthilfe betreiben, Illegalisierte verstecken und rassistischen Polizeikontrollen entgegen treten.

Wenn Gemeinschaft in Zeiten der Krise über Nationalismus hergestellt wird, müssen wir dagegen halten. Die Idee, Menschen nach Völkern, Rassen und Ethnien zu sortieren und darauf zu beharren, dass man das Recht hat, sich abzuschotten und von einem Angehörigen der eigenen Gruppe regiert zu werden, ist eine Scheiß-Idee, die einem Guten Leben zutiefst entgegen steht. Verweigert euch diesem Wahnsinn und tragt die Idee weiter, dass es um ein gutes Leben für alle Menschen geht, nicht um den Sieg im Kampf der Standorte.

Und wenn Geflüchtete an den Rand gedrängt und ausgegrenzt werden, müssen wir immer wieder an ihre Forderungen erinnern:

  • Schluss mit der Unterbringung in Lagern,
  • Schluss mit Lebensmittelgutscheinen,
  • Schluss mit Arbeitsverbot und Residenzpflicht,
  • Schluss mit Rassismus und Abschiebungen
  • Festung Europa einreißen – Offene Grenzen für Alle!