250 bei Kundgebung für sichere Häfen in Erfurt

Rund 250 Menschen haben heute in Erfurt unter dem Motto »Seebrücke – Schafft sichere Häfen« gegen die mörderische Abschottungspolitik der Festung Europa demonstriert. Mit Musik- und Redebeiträgen, auf Transparenten, Schildern und mit Straßenkreide brachten die Demonstrant_innen auf ganz unterschiedliche Weise Unverständnis und Wut über das Sterben im Mittelmeer zum Ausdruck. Ein längerer Beitrag der Refugee Law Clinic rief zur Beteiligung an der Welcome-United-Parade am 29.9. in Hamburg auf. Verschiedene Parteipolitiker_innen hielten engagierte Reden gegen die rassistischen Zustände. Die Frage, ob parlamentarische Auseinandersetzungen dazu geeignet sind, das Sterben zu beenden, konnten sie nicht beantworten. Dass der beiläufig zur Kenntnis genommene Mord nicht nur im Mittelmeer geschieht, sondern auch in Thüringen, wurde in einem Redebeitrag des Break-Deportation- Netzwerks (siehe unten) deutlich, die Verknüpfung bundesdeutscher politischer und ökonomischer Intessen mit Flucht und Migration in einem Beitrag der ATTAC-Ortsgruppe Erfurt (siehe ganz unten). Angesichts tausender Toter bleibt aber auch danach vor allem Ratlosigkeit über die angemessene Reaktion.


Bühe mit Musikbeitrag


Immer noch aktuell: Die Mauer muss weg


Nazis morden, der Staat schiebt ab


Herz statt Hetze

Redebeitrag von Break Deportation

Viele Menschen sterben im Mittelmeer. Europa hat tödlichste Grenze auf der Welt. Deswegen schaffen es nur die wenigsten nach Europa und fast jede und jeder davon hat auf dem Weg Freund_innen oder Verwandte verloren

Aber auch die Menschen, die in Europa, in Deutschland, in Thüringen ankommen, sind ihres Lebens nicht sicher. Viele leben jeden Tag und jede Nacht in Angst vor Abschiebungen. Sie trauen sich nicht, in ihren Betten zu schlafen, weil sie Angst haben müssen, von den Fußtritten deutscher Polizist_innen zu erwachen. Passiert ist das erst diese Woche einer Familie in einem Lager in Obermehler bei Mühlhausen. Sie wurden am Dienstag abgeschoben.

Wie Angst und Terror in Thüringen aussieht, wissen insbesondere geflüchtete Menschen aus Apolda zu berichten. Wer Pech hat. dort leben zu müssen, erfährt auf die Spitze getriebene Ausgrenzung und Schikane. Wozu das führen kann, haben wir erfahren, als wir Anfang des Jahres von dem erweiterten Suizid einer jungen eritreischen Frau in Apolda gehört und auch in den Medien gelesen haben.

Jedoch ist mittlerweile ein weiterer Toter zu beklagen. Faraidun Salam Aziz war 38 Jahre alt. Er ist am 01.05.2018 zwichen 3 und 4 Uhr morgens durch den Sturz aus einem Fenster im 4. Stock eines Lagers für Geflüchtete in Apolda gestorben. Er war vor 10 Jahren aus dem Irak/Kurdistan nach Deutschland geflohen und wohnte seit 8 Jahren in Apolda. Er lebte lange im Lager in der Angespanne 3. Dieses Lager war im letzten Jahr durch fast tägliche Polizeirazzien bekannt geworden. Faraidun Salam Aziz war als ein sehr freundlicher Mensch bekannt, der vielen Menschen geholfen hat. Zum Beispiel hat er oft kostenlos auf Ämtern und Behörden für andere Geflüchtete übersetzt. Außerdem war bekannt, dass er unter starken Depressionen litt. Die Behörden in Apolda terrorisierten ihn, indem sie ihm eine Residenzpflicht auferlegten. Er konnte Apolda nicht ohne Erlaubnis der Behörden verlassen. Sie zahlten ihm sein Geld außerdem nicht monatlich, sondern wöchentlich aus. Er durfte keine Arbeit suchen.

Wir wissen nicht genau, wie er gestorben ist, aber wir sind sehr traurig und wütend, dass ein weiteres Leben in Apolda so dramatisch enden musste. In diesem Todesfall gibt es bisher ein großes Schweigen von Seiten der Behörden, der Polizei und der Medien.

Damit muss Schluss sein! Denn jedes Leben ist bedeutsam und weil wir in Solidarität zusammen stehen und kämpfen wollen, wollen wir auch nicht Schweigen über die Menschen, die wir verlieren.

Wir demonstrieren heute hier genauso gegen das Sterben im Mittelmeeer, wie das Sterben in Thüringen. Wir – das sind Aktivist_innen aus Erfurt, Jena und Apolda von den Gruppen breakdeportation und The Voice Refugee Forum. Wer mehr über unsere nächsten Schritte erfahren möchte, kann sich an mich wenden oder sich auf unseren Homepages informieren.

Aber auch wenn ihr in euren Kontexten antirassistisch tätig sein wollt: Vergesst nicht das Unrecht, dass direkt vor unserer Haustür geschieht: Geht den Thüringer Behörden auf die Nerven, versteckt Geflüchtete, verhindert Abschiebungen.
Gegen das Sterben im Mittelmeer und in Thüringen!

Redebeitrag der ATTAC-Ortsgruppe Erfurt

Ich bin Maria und spreche für die hiesige Ortsgruppe des globalisierungskritischen Netzwerkes Attac.

Es freut mich sehr, dass wir alle heute zusammen hier sind. Ich habe lange nach Worten für diesen Redebeitrag gesucht – und eigentlich würde ich lieber schweigen – über 1400 Minuten lang – was in etwa ein ganzer Tag ist – um all der Menschen zu gedenken, die in diesem Jahr auf ihrer Flucht aus Afrika nach Europa im Mittelmeer ertrunken sind.

Ich hoffe, dass dafür noch Zeit ist und das ihre Angehörigen die Möglichkeit bekommen, angemessen um die Verstorbenen zu trauern und sie zu beerdigen. Aber heute müssen wir reden und unsere Stimme erheben: wir alle müssen uns mit sofortiger Wirkung dafür einsetzen, dass keine weiteren Menschen im Mittelmeer sterben. Seenotrettung ist ein Menschenrecht. Wir haben die Ressourcen und die Pflicht, dieses Recht praktisch und politisch umzusetzen. Da gibt es keine Frage – das ist jetzt unsere Aufgabe; dass ist das, was wir jetzt fordern und ermöglichen müssen. Seenotrettung ist öffentliche Daseinsvorsorge, welche die EU wahrnehmen muss – bedingungslos. Zumindest sollte sie den NGOs und Freiwilligen freie Hand lassen, wo ihre Rettungsstrukturen nicht oder nicht mehr vorhanden sind. Und nicht deren Arbeit aktiv behindern.

Und wenn das passiert ist und die Fluchtwege für alle Menschen sicher sind – dann können wir uns voll und ganz der Frage widmen, warum Menschen überhaupt ihre Heimat verlassen und fliehen müssen und wollen.

Im Sinne eines guten Lebens für Alle und internationaler Solidarität können wir – in Deutschland, der EU und darüber hinaus – dann fragend die nächsten großen Schritte wagen. Wir können uns z.B. endlich damit beschäftigen,…

  • wie wir unsere Handelsbeziehungen mit dem Rest der Welt gerecht – miteinander statt gegeneinander gestalten – und somit der neoliberalen Agenda, die diverse Konzerninteressen über die Bedürfnisse von Mensch und Natur stellt, ein Ende bereiten.
  • Wir könnten uns damit beschäftigen, wie wir unsere Übernutzung fossiler Energien zurückschrauben, damit
    Menschen in den Ländern des globalen Südens nicht noch mehr unter den Folgen des Klimawandels leiden müssen.
  • Oder wir könnten uns damit beschäftigen, wie wir unsere Rüstungsexporte in Spannungsgebiete schnellstmöglich einstellen und deutsche Firmen wie Rheinmetall und Heckler & Koch für ihre Mithilfe an Kriegsverbrechen zur Rechenschaft ziehen.

Und wenn viele dieser und weiterer zerstörerischer Faktoren der Vergangenheit angehören – dann haben hoffentlich alle Menschen weltweit die Möglichkeiten, ihr Leben selbstbestimmt und in Freiheit zu verbringen – jenseits von nationalen Grenzen und wirtschaftlichen Zwängen. Das wäre eine mögliche Vorstellung für die Zukunft. Die aktuell betriebene, europäische Abschottungspolitik verfolgt andere Ziele und ignoriert mutwillig grundlegende
Menschenrechte.

Wie könnte eine grundsätzlich andere Politik aussehen? Ich weiß es selbst nicht so genau. Aber ich weiß, dass wir sie wagen müssen für uns und für alle, die auf der Flucht sind. Mir ist nicht klar, wie unter den aktuellen Bedingungen eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Grundfragen von Flucht
und Migration geschehen soll. Das wäre gerade meine drängendste Frage an die politischen Entscheidungsträger*innen und wie so viele wichtige Fragen – wird wohl auch diese unbeantwortet bleiben.

Jetzt ist es an uns, diesem unmenschlichen und sinnlosen Machtgehabe mit Offenheit, Liebe, Entschlossenheit und Mut entgegen zu treten. In diesem Sinne – orange war schon immer unsere Farbe.