Kundgebung vor der Erfurter Ausländerbehörde

Seebrücke-Kundgebung vor der Erfurter Ausländerbehörde am 25.9.2020

Mit Abstand und Maske haben gestern ca. 50 Menschen vor der Erfurter Ausländerbehörde gegen rassistische Behördenpraxis demonstriert. Einen Überblick über die Kundgebung findet ihr beim Twitter-Account von Dissens.

Bevor es heute mit Protest weitergeht dokumentieren wir den Redebeitrag von Drei Antirassist*innen:

Vielen Dank an die Seebrücke, dafür, dass wir heute die Gelegenheit haben, dagegen zu protestieren, dass die Ausländerbehörde mit Corona beschlossen hat, keine Termine mehr zu vergeben und damit Geflüchtete und auch andere Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit z.B. ohne Papiere lässt.

Dagegen an die politisch Verantwortlichen die Botschaft zu richten, dass die Behörde ihren Job nicht macht, ist völlig angemessen. Wir richten uns aber nicht an Politiker*innen und auch nicht an Sachbearbeiter*innen, sondern als uns als Antirassis*innen. Und da finden wir, das Deutungsmuster – den Erklärungsansatz – Behördenversagen und rassistische Willkür nicht überzeugend. Denn was ist denn die eigentliche Aufgabe der Ausländerbehörde? Geht es in diesem Gebäude im Kern darum, Geflüchtete in Erfurt zu versorgen? Geht es darum, die Interessen von Menschen ohne deutschen Pass zu vertreten? Geht es in der Ausländerbehörde um die Bedürfnisse von denen, die man hier Ausländer nennt, und nicht Bürger*innen oder Menschen?

Wir wissen alle, da geht es nicht drum.

Die Aufgabe der Ausländerbehörde ist, verwaltungstechnisch zu regeln, wer in diesem Land in welchem Ausmaß dazugehört. Zu klären, wer eingebürgert werden kann, wer einen dauerhaften Aufenthaltstitel erhält, wer nur „geduldet“ wird und wer eben abgeschoben wird. Damit ist die Ausländerbehörde keine Institution der Integration oder der Hilfe, sondern eine Institution der Grenzziehung. Die Aufgabe der Ausländerbehörde im Gunde genau die selbe, wie auch die von FRONTEX oder der griechischen Küstenwache: Dafür sorgen, dass Migration reguliert stattfindet und nur diejenigen hier auf Dauer mitspielen dürfen, die dem Standort nutzen. Abschiebungen sind für diese Behörde kein Betriebsunfall, sondern Kerngeschäft. Insofern ist Rassismus hier kein willkürlicher Sonderfall, sondern ganz normal.

Sonderfall ist im Moment in Erfurt, dass das kleine bisschen Hilfe, dass die Behörde hier und da leisten muss, nun auch nicht mehr stattfindet. Was die Behörde im Moment macht – Abschiebungen koordinieren – ist das, wofür sie im Kern da ist: Abschrecken, ausgrenzen und am Ende abschieben. Und das ist kein Behördenversagen, das ist ihr Kerngeschäft.

Die aktuellen Vorschläge der EU-Kommision zur Umstrukturierung des Asylrechts machen diese Kernaufgabe auch nochmal deutlich: Seit 1992 geht es bei Asylpolitik nicht darum, Geflüchtete zu unterstützten, Fluchtrouten zu öffnen, Asyl zu geben, sondern immer effizienter abzueschieben, immer effizienter Grenzen zu ziehen. Und das ist kein willkürlicher Rassismus, der vorbei an rechtsstaatlichen Grundlagen geschieht. Das ist das, was der Rechtsstaat mit Gesetzten vorschreibt und was die Sachbearbeiter*innen in diesem Gebäude exekutieren.

Innerhalb dieser rasssitischen Rechtsordnung gibt es natürlich auch willkürlichen Rassismus. Roma Thüringen – eine Gruppe selbstorganisierter Geflüchteter, die mittlerweile fast alle abgeschoben wurden – haben vor ein paar Jahren genau hier Berichte über besonders rassistische Sachbearbeiter*innen vorgelesen.

Aber auch ohne den individuellen Rassismus von Behördenmitarbeiter*innen ist es die Aufgabe dieser Behörde, rassistische Gesetze durchzusetzen – und das ist keine Willkür, das ist systematisch geplanter und politisch gewollter Rassismus.

Ein Rassismus, der im Kern darin besteht, dass zum deutschen Staat eben dazugehören darf, wer deutsche Eltern hat. Wer deutsche Eltern hat, bekommt einen Pass mit, der den visafreien Zugang zu 173 Ländern der Welt erlaubt.
Wer in Deutschland aufwächst, lebt in einem Teil der Welt, der seit 500 Jahren auf Kosten des globalen Südens Reichtum anhäuft. Wer das Pech hat, den falschen Pass zu besitzen, hat hier halt erst mal nichts verloren – außer er bringt sehr eng begrenzte Verfolgungsgeschichten mit, ist über die anerkannten Wege eingereist (also nicht über einen sicheren Drittstaat) oder kann als Fachkraft oder Billiglohn-Arbeiter*in dem Standort helfen.

Wenn wir also wollen, dass diese rassistische Behördenpraxis aufhört, reicht es nicht, zu fordern, dass die Ausländerbehörde ihren Job richtig macht. Diese Behörde muss vielmehr ersatzlos aufgelöst werden, die Grenzen müssen geöffnet, die Festung Europa geschleift werden. Bis dahin geht es nicht darum, dass hier jemand seinen Job richtig macht, sondern darum, zu verhindern, dass die Leute hier ihren Job machen können: Indem man Abschiebungen verhindert, Illegalisierte versteckt und alles dafür tut, dass der ganz normale, alltägliche Rassismus der Behördenpraxis ins Leere läuft.

Es ist schon ein guter Anfang, hier und im Alltag immer wieder zu sagen, dass einer oder einem das nicht passt, was hier passiert. Aber eigentlich geht es darum, dafür zu sorgen, dass es nicht passiert.

Und beim Thema Abschiebungen gibt es sogar eine Möglichkeit, das zu tun, nämlich: Menschen vor Abschiebungen zu verstecken. In Thüringen hat sich dafür vor einigen Wochen das Netzwerk Soliasyl-gegründet, das Strukturen aufbauen will, um genau das zu gewährleisten. Das ist natürlich auch nur ein kleiner, individueller Schritt, aber trotzdem viel mehr, als nur im Alltag zu sagen was uns nicht passt. Wenn euch das interessiert, ihr dazu Möglichkeiten bei euch seht oder Bedarf habt: Informiert auch auf der Seite http://soliasyl.noblogs.org.

Das ist wie gesagt nur ein kleiner Schritt. Aber einer, bei dem es darum geht, dieser Behörde ihren rassistischen Job so schwer wie möglich zu machen.
Im übrigen sind wir – das wurde wohl klar – der Ansicht, dass auf lange Sicht alle Grenzen abgeschafft werden müssen.