Januar: Wir gedenken den Todesopfern rechter Gewalt in Thüringen
Der Januar ist ein trauriger Monat, in welchem wir gleich vier Todesfällen rechter Gewalt in Thüringen gedenken müssen. Diese Fälle verdeutlichen ein weiteres mal, wie selten rechte Ideologie als Tatmotiv von der Justiz anerkannt wird und wie lasch in Deutschland ermittelt wird, wenn Nazis als Täter in Frage kommen. Bis heute hat sich daran nichts geändert – als aktuellstes Beispiel sei nur der brutale Angriff vom 18.07.2020 auf dem Erfurter Hirschgarten genannt, welcher nicht als rechtsmotiviert eingestuft wurde, weil einschlägig rechte Kleidung der Angreifer dafür kein ausreichendes Indiz sei (Radio F.R.E.I. berichtete). Auf den bürgerlichen Staat ist nach wie vor kein Verlass, wenn es um die Identifizierung und Verfolgung von Nazis geht. Deshalb: Organisiert euch und bildet Banden! Gemeinsam müssen wir den antifaschistischen Selbstschutz organisieren!
Heute vor 28 Jahren (am 15.01.1993) starb der 45-jährige Karl Sidon in Arnstadt. Rechte Jugendliche aus der „Babyskin-Sezne“, mit denen er schon vorher öfter Auseinandersetzungen hatten, schlugen ihn so massiv, dass er bewusstlos wurde. Anschließend schleiften sie ihn auf die vielbefahrene Bahnhofsstraße – dort wurde er von mehreren Autos überfahren. Karl Sidon erliegt später im Krankenhaus seinen Verletzungen. Zwei der Jugendlichen, 15 und 16 Jahre alt, verurteilt das Erfurter Bezirksgericht im August 1993 zu drei Jahren und neun Monaten Haft.
Am 20.01.2004 wurde der russische Spätaussiedler Oleg Valger in Gera von vier rechten Jugendlichen ermordet. „Vor der tödlichen Attacke konsumierten Täter und Opfer gemeinsam Alkohol. Als ein Streit ausbricht, locken die 14- bis 19-Jährigen das Opfer, welches sie aus einer benachbarten Plattenbausiedlung kennen, in ein Wäldchen und verletzen es tödlich mit Tritten, Messerstichen und Hammerschlägen. Nach dem Tod Valgers sagt einer der Täter: „Wenigstens eine Russensau weniger.“ Das Landgericht Gera spricht von einer menschenverachtenden Gesinnung, die in der Tat zum Ausdruck komme. Trotz dieser Feststellung erkennt es aber dennoch keine fremdenfeindliche Motivation. Im Juli 2004 werden die Haupttäter wegen Mordes zu Jugendstrafen von neun und zehn Jahren verurteilt.“
Am 24.01.1993 wurde Mario Jödecke wurden einem Nazi-Skin in Schlotheim ermordet. „In der Nacht zum 24. Januar 1993 kam es in Schlotheim (Thüringen) vor einer Pizzeria während eines „Heavy Metal Abends“ zu einer Schlägerei zwischen linken Punks und rechten Heavy Metal Fans. Im Verlauf der Schlägerei wurde Mario Jödecke, der mit einem Baseballschläger bewaffnet war, von einem 17-jährigen Nazi-Skin durch einen Messerstich ins Herz getötet. Im November 1993 wird der 17-jährige freigesprochen, da er aus „Notwehr“ gehandelt habe.“
Am 27.01.2003 stirbt Hartmut Balzke nachdem er (und ein Punk) insbesondere von Dirk Q. in Erfurt zusammengeschlagen und massiv verletzt wurden. Vorher lag Balzke zwei Tage im Koma. Die Justiz hat den „Triftstraßen-Prozess“ über fünf Jahre verschleppt, so dass der Täter nur eine Bewährungsstrafe erhielt.
„Der 48-jährige Hartmut Balzke begleitet am 25. Januar 2003 seinen Sohn zu einer Punk-Party in Erfurt (Thüringen). Dort versuchen sich zwei Neonazis Zugang zu der Party zu verschaffen. Weil sie abgewiesen werden, provozieren sie eine Schlägerei auf offener Straße.
Einige Partygäste aus der Punk-Szene verfolgen daraufhin die beiden Rechten. Dabei kommt es zu einer Auseinandersetzung, an deren Ende Dirk Q. eine leichte Stichverletzung durch ein Messer erleidet. Es ist bis heute ungeklärt, wer Dirk Q. diese Stichverletzung zugefügt hat.
Nach der Auseinandersetzung geht Dirk Q. in eine Kneipe, die als Treffpunkt für die rechte Szene bekannt ist. Als er diese später verlässt, sind Hartmut Balzke und ein Punk namens Sebastian Q. in unmittelbarer Nähe. Laut Zeugenaussagen wurde Hartmut Balzke von Dirk Q. mitten ins Gesicht geschlagen und sank daraufhin zu Boden. Der 48-jährige Familienvater erleidet durch den Aufprall eine Hirnschwellung, an der er zwei Tage später stirbt. Zudem bestätigen mehrere Zeugen, wie der gleiche Mann auch Sebastian Q. niederschlug und dann mit brutaler Gewalt mehrfach gegen den Oberkörper und Kopf des bewusstlos am Boden Liegenden trat. Sebastian Q. erleidet einen Gesichtstrümmerbruch.
Die Staatsanwaltschaft Erfurt ermittelt schnell gegen den 23-jährigen Rechten als Haupttäter, der wegen Körperverletzung und Zeigen des Hitlergrußes unter Bewährung steht. Trotz dieser Bewährung muss der Täter nicht in Untersuchungshaft. Das Landgericht Erfurt lehnt die Eröffnung der Hauptverhandlung 2006 mit der Begründung ab, dass es „sich um eine Schlägerei mit Todesfolge gehandelt“ habe.
Fünf Jahre nach dem Angriff hebt das Oberlandesgericht Thüringen diese Entscheidung auf. Es kommt im März 2008 zu einer Hauptverhandlung, in der der damals 23-jährige Dirk Q. wegen Körperverletzung mit Todesfolge angeklagt wird. Der Prozess endet mit einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren für Dirk Q.
Die Richter begründen die geringe Strafe damit, dass der Täter seitdem nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten sei. Sie bezeichneten den Tod von Balzke als einen „heilsamen Schock“ für den Angeklagten.
Einen rechten Hintergrund will das Gericht nicht erkennen. Sebastian Q., der Punk der bei dem Angriff auch schwer verletzt wurde, trat als Nebenkläger auf. Das Gericht sieht hier lediglich eine leichte Körperverletzung als gegeben. Angesichts eines Gesichtstrümmerbruchs, den das Opfer erlitt, ist diese Entscheidung nicht nachvollziehbar. Die Mobile Opferberatung zeigte sich bestürzt über diese milde Strafe: „Das Urteil und das gesamte Strafverfahren sind Ausdruck einer tiefen Missachtung gegenüber Punks und sozial Randständigen. Offenbar sind sie in den Augen der Richter Opfer zweiter Klasse.“ Zudem war es ein Skandal, dass zwischen Tat und Verurteilung über fünf Jahre vergangen sind.
Weitere Berichte findet ihr u. a. hier:
http://ggr.blogsport.de/2008/07/01/revision-im-trifftstrassenprozess/
http://ggr.blogsport.de/2008/06/19/trifftstrassen-prozess-zwei-jahre-haft-auf-bewaehrung/
http://ggr.blogsport.de/2008/06/10/urteilsverkuendung-im-triftstrassen-prozess-steht-bevor/
Quellen: