„Es ist nunmal so in Gera ..“ – Vorabenddemo zum Rock für Deutschland
Mit dem Statement „Es ist nunmal so in Gera“ eröffnet der Anmelder die Demo am Vorabend des „Rock für Deutschland“. In Gera ist es nunmal so, dass man schon als linksradikal gilt, wenn man das Grundgesetz zitiert. Entsprechend hat das Ordnungsamt kurzfristig die schon seit Monaten angemeldete Demoroute geändert, so daß die Abschlusskundgebung nicht wie geplant auf der Spielwiese stattfinden darf. Die Ordnungsbehörde befürchtet Vandalismus — von wem, ist unklar.
Obwohl drei Parteien, die Kirche und Gewerkschaften mit Landespromininenz vor Ort sind, haben sich gerade mal (gezählt) 200 DemonstrantInnen zusammengefunden, als die Demo sich auf dem Geraer Bahnhof zum Losgehen formiert. Die TeilnehmerInnen sind ein Querschnitt durch die Bevölkerung: Familien mit Kindern, Jugendliche, RentnerInnen, ..
Die Demo läuft durch leere Straßen, lediglich an den Arkarden (einem Einkaufszentrum) nehmen Außenstehende wahr, dass da jemand protestiert. Flugblätter gibt es keine, fast alle Transparente und Fahnen sind von Parteien. Aus dem Lautsprecherwagen scheppert Deutschpunk. Der Anmelder initiiert Sprechchöre wie „Alerta, Alerta, ..“ oder „One Solution, Revolution“ — was nur einen ganz kleinen Teil der Demo mitgerufen wird. Mehr Begeisterung ruft ein Richter aus Gera hervor. Er hat sich eine Basecap aufgesetzt und animiert die Demo zu einem Fangesang: „Die braune Brut in unsrer Stadt — Wir haben sie ganz dolle satt satt; Ihr seit stolz aufs Vaterland — Der Grund der ist uns unbekannt; Ihr selber könnt es ja kaum sein — die Leber groß, das Hirn ganz klein“ — und so weiter.
Bei der Abschlusskundgebung spricht die Thüringer Sozialministerin Heike Taubert und sagt, dass in Deutschland seit 66 Jahren Frieden herrsche und die Wehrhafte Demokratie wachsam gegen den braunen Spuk sein müsse. Gerade sie als Mutter sei sehr dafür, sich mit den Nachbarvölkern gut zu verstehen. Astrid Rothe-Beinlich von den GRÜNEN positioniert sich gegen das „Hass-Festival“ und die Geraer Versammlungsbehörde und wünscht dem friedlichen, bunten Protest einen langen Atem. Martina Renner von der Partei „Die Linke“ spricht über die hohe Bedeutung des „Rock für Deutschland“, wirft anderen PolitikerInnen vor, Antifaschismus strategisch zu betreiben („Phantomdebatte NPD-Verbot“) und fragt in Richtung der Geraer Stadtverwaltung, wieso es kein Bündnis der „Zuständigen“ mit den „Anständigen“ gebe. Wolfgang Lemb (SPD) ist entschlossen, das Nazi-Event friedlich zu verhindern. In Richtung der Versammlungsbehörde formuliert er ganz entschieden, dass er die Entscheidung, das Nazi-Konzert unter dem Schutz des Versammlungsrechts stattfinden zu lassen irgendwie nicht ganz so glücklich findet. Sandro Witt von des DGB Thüringen positioniert sich gegen die Extremismuslogik und fordert den Rücktritt des Beigeordneten Bürgermeisters, sollte es von der Stadt keine Klarstellung bezüglich des butterweichen Umgangs mit den Nazis geben. Ein letzter Redebeitrag, der versucht zu begründen, wieso AntifaschistInnen auch gegen den Besuch des Papst im September in Erfurt auf die Straße gehen sollten, findet wenig Anklang: Die VeranstalterInnen weisen gleich im Anschluss darauf hin, dass es sich um eine Einzelmeinung handelt und man gerne das Bündnis mit der Kirche sucht.
Danach soll die Demo eigentlich enden. Weil viele TeilnehmerInnen aus gutem Grund keine Lust haben, alleine den Weg durch die Stadt anzutreten, wird spontan eine Demonstration zurück zum Bahnhof angemeldet. An Ende schildert der Anmelder noch einmal eindringlich die Zustände in Gera, wo Übergriffe, unverholene Drohungen und Sachbeschädigungen von Naziseite sowieso Normalzustand sind, aber in den letzten Wochen vor dem „Rock für Deutschland“ nochmal gehäuft aufgetreten sind.
Die Konzentration auf einen betont bürgerlichen Antifaschismus scheint in Gera Wirkung zu zeigen: Anders als man es von früheren Demos kennt, äußern sich die BürgerInnen der Demo gegenüber nicht sofort feidseelig. Einige AutofahrerInnen sind zumindest so interessiert, daß sie nicht über die Verkehrsbehinderung schimpfen. Eine winkt einem Bekannten in der Demo. Ein paar Hiphopper vor einem Szeneladen finden die Demo gut. Zwei modisch gestylte Jugendliche unterhalten sich und schütteln mit Blick auf die Demo den Kopf: „Ich bin zwar nicht für die Nazis, aber die Gestalten da ..“. Und dann gibt es in Gera natürlich immer noch jede Menge muskelbepackter junger Männer in Tarn- oder Sportklamotten, die an jeder zweiten Ecke breitbeinig mit verschränkten Armen rumstehen und die Demo nicht verbal kommentieren.
Das Aktionsbündnis Gera zeigt sich nach der Demo zufrieden. Ob es auf lange Sicht sinnvoll ist, den Inhalt auf ein reines „die Demokratie friedlich vor den Rechtsextremen schützen“ einzudampfen und radikalere Inhalte nur im musikalischen Begleitprogramm und in plakativen Parolen zuzulassen, wird sich zeigen. Die magere Beteiligung trotz der ungemeinen Breite des Bündnisses spricht eher dagegen.