Vorweg: Barbara E., genannt Emmely hat heute die arbeitsrechtliche Auseinandersetzung mit Kaiser’s gewonnen.
Aber zurück an den Anfang: Rund 80 Personen versammelten sich am 10. Juni vor dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt, um der entlassenen Kassiererin Emmely ihre Solidarität zu bekunden. Die Supermarktkette Kaiser’s hatte sie mit der Begründung gefeuert, sie habe Leergutbons im Werte von 1,30€ unterschlagen — nachdem sie den Streik in ihere Filliale massgeblich mitgetragen hatte.
Aber während 88% der Kündigungen einfach durchgehen, gab es hier Gegendruck. Emmely klagte. Das Komitee „Solidarität mit Emmely“ bildete sich aus Arbeiterinnen, GewerkschafterInnen und linken AktivistInnen und begann, Proteste zu organisieren — Proteste wie auch heute vor dem Prozess
Den Beginn der Kundgebung vor dem Bundesarbeitsgericht machte dann auch das Kommitte, indem es allen Anwesenden für die Solidarität dankte und einen Abriss über den bisheringen Prozessverlauf gab. Unterbrochen durch Musik von Atze Wellblech sprachen Menschen aus verschiedenen Gruppen aus ihrer Sicht zu der zwei Jahre dauernden Auseinandersetzung. Die Thüringer DGB-Landesvorsitzende Renate Licht betonte die Bedeutung, die der Fall für die vielen Beschäftigten im Einzelhandel habe, die quasi permanent unter der Drohung einer Verdachtskündigung arbeiteten.Der „Fall Emmely“ habe aber nicht zuletzt deshalb für Aufsehen gesorgt, weil angesichts der Banalität des Vorwurfs und der bereits gerichtlich bestätigten Kündigung das Rechtsempfinden verletzt sei und das Vertrauen in den Rechtsstaat verloren ginge. Ein Kollege von Porsche berichtete über seinen eigenen Kampf gegen mehrere Kündigungen, den er letztlich gewann, weil in letzter Instanz zugunsten der freien Meinungsäußerung auch am Arbeitsplatz entschieden wurde. Undine Zachlot von ver.di-Erfurt dankte für die breite Solidarität mit der Kassiererin Emmely, aber auch den vielen Betriebsräten, die sich in dem Bereich engagieren. Sie erinnerte an den Versuch, nach dem Schwarzbuch-LIDL ein Weißbuch für den Einzelhandel zu erstellen und an die Unmöglichkeit angesichts der überall auftretenden Schikanen vor allem gegen Beschäftigte, die sich mit ihren schlechten Arbeitsbedingungen nicht abfinden wollen. Die Thüringer Gruppe Plan B betonte, dass es sich lohne zu kämpfen, der an diesem Tag verhandelte Fall aber bei weitem kein Einzelfall sei. Gegen zunehmend schlechtere Arbeitsbedingungen und sinkende Löhne setze man auf Solidarität und Gegendruck von unten, wie man es hierzulande nur aus der Ferne mit dem Blick nach Griechenland oder Spanien sehe. Eine Kollegin vom Bremer Mayday-Bündnis berichtete Modell der „Schlecker-XL“-Filialen, bei denen über Ausgründungen die Tarifbindung für die Beschäftigten aufgehoben wurde. Die Solidarisierungen mit den Betroffenen zeigten sich in mehreren Aktionen, wie Flashmobs und einem spontanen Stromausfall zur Eröffnung einer XL-Filiale. Gegen 11.30 beginnt der Prozess
Das Bundesarbeitsgericht ist an diesem Tag nicht wirklich öffentlich. Hinein kommt nur, wer sich ausweisen kann und noch eine „Einlasskarte“ bekommt. Die sind limitiert, damit der „Sitzungssaal II/III EO327/33“ nicht zu voll wird. Solange noch Platz ist, bedeutet das für die BesucherInnen Metalldetektoren, Sicherheitssperre, Durchleuchten der Taschen. Eine spezielle „sicherungspolizeiliche Verfügung“, nur für diesem besonderen Tag und „zu unser aller Sicherheit“, wie der vorsitzende Richter später ausführt. Von den geschätzten 25 Reihen Zuschauerplätze sind 5 für die Presse reserviert, die sich sofort auf Emmely stürzt. Obwohl im vorderen Teil noch Plätze frei sind, müssen viele DemonstrantInnen draußen bleiben: Es könnten ja noch PressevertreterInnen nachkommen, heißt es von einer Justizangestellten.
Drinnen wird klar, wer hier über wen urteilt. Ein Richter am Bundesarbeitsgericht bekommt runde 7000€ im Monat. Das sieht man auch. Die Robe, unter der ja eigentlich alle gleich aussehen sollen, verhüllt nicht, daß hier Leute mit goldenen Manschettenknöpfen über eine Frau urteilen, die aussieht wie die Kassiererin von nebenan – und im Moment vom Hartz4-Regelsatz von 359€ lebt. Gegenüber von Emmely und ihren zwei Anwälten sitzt Tobias Tuchlenksi, dezent gebräunt und mit Designerbrille, seine grauen Haaren nach hinten gegelt. Als Regionalmanager bei Kaiser’s bringt er wahrscheinlich mehr nach Hause als die RichterInnen. Anwaltlich vertreten wird die Firma Kaisers GmbH von Karin Schindler-Abbes. Ihre Kanzlei arbeitet nach eigenen Angaben eng mit einer Vielzahl von Unternehmen zusammen, um z.B. schon im Vorfeld von Kündigungen erfolgversprechende Strategien zu entwickeln.
Glaubt man Emmeley, dann war es auch eine Strategie, die überhaupt erst dazu geführt hat, daß sie vor Gericht ziehen musste. Sie ist wie viele UnterstützerInnen der Ansicht, daß der eigentliche Grund der Kündigung ihr gewerkschaftliches Engagement ist und nicht die Bons, die sie in Beisein ihrer direkten Vorgesetzten unrechtmäßig abgerechnet haben soll. Aber darum geht es heute nicht. Das Bundesarbeitsgericht entscheidet nicht über die Sache, sonden über ihre rechtliche Würdigung — was so viel bedeutet wie: In der Frage, was geschehen ist, verlässt man sich auf das Urteil des Landesarbeitsgericht, heute geht es nur darum, ob die Fakten juristisch korrekt bewertet wurden. „Es steht prozessural fest“, daß Emmely die Bons genommen hat, weil eben das Landesarbeitsgericht so entschieden hat.
Genau das betont der vorsitzende Richter Burghard Kreft auch in seinen einleitenden Worten, die wie die kopierten Gesetztestexte auf den Besuchersitzen wohl dem großen öffentlichen Interesse geschuldet sind — über 100 ZuschauerInnen haben sich eingefunden. Daß der Fall gesellschaftliche Relevanz hat, ist auch der urteilenden Kammer bewusst — nicht umsonst betont Kreft, daß das Bundesarbeitsgericht Recht spreche und nicht gesellschaftliche Probleme löse. Daher will man nicht über die Krise, über Managergehälter und Sparpakete reden, sodnern sich auf rechtliche Erörterungen beschränken. In diesem Sinne ist die entscheidende Frage: Rechtfertigt das Verhalten von Emmely die Kündigung. Darüber hinaus wird darüber entschieden, ob das Prozessverhalten der Kassiererin relevant für das Urteil ist — denn das war ein gewichtiges Argument in der Urteilsbegründung des Landesarbeitsgerichts Berlin. Nach der Rechtsauffassung der Firma Kaiser’s hat gerade das kompromisslose Vorgehen von Emmely gegen ihren ehemaligen Arbeitgeber über den ursprünglichen Vorfall hinaus das Vertrauen zerstört.
Vertrauen ist dann auch eine entscheidender Punkt im Plädoyer von Benedikt Hopmann, der Emmely anwaltlich vertritt. Die Frage ist nach seinem Dafürhalten, ob Vertrauen in einem grunsätzlich von Ungleichheit, von Oben und Unten, geprägten Verhältnis wie dem zwischen ArbeiterInnen und Unternehmen überhaupt eine relevante Grüße darstelle — denn welche Handlungsmöglichkeiten haben schon ArbeiterInnen, die ihrem Betrieb nicht mehr vertrauen. Weiter legt Hopmann eine Liste von gerichtlichen Entscheidungen vor, mit denen Kündigungen schon in niedrigeren Instanzen gekippt wurden. In seiner Liste geht es um Unterschlagungen, um Fehlzeiten und um unerlaubte Nutzung des Dienstwagens. Die Beträge, um die es dabei geht, sind weitaus höher als 1,30 — aber die Gekündigten sind auch Vorstände und Geschäftsführer. Das Besondere am heutigen Fall ist wohl auch, daß gerade eine Kassiererin dem Mumm aufgebracht hat, bis zur letzten Instanz durchzuhalten, obwohl — so der Anwalt — die niedrigeren Instanzen ihre Interessen nur unzureichend in ihre Entscheidungen einbezogen haben.
Es folgt die Einlassung der Vertreterin von Kaiser’s. Sie reden 30 Minuten über die Glaubwürdigkeit von Emmely. Von der Bibel bis zur Zivilprozessordnung bemüht sie Referenzen, die belegen sollen: Lügen ist böse und Emmely ist eine Lügnerin. Sie sucht bei ihrem Vortrag vor allem den Blickkontakt mit den Medien — denn wie gesagt, dem Gericht geht es heute nicht um die Sachfrage, sondern allein um die rechtliche Bewertung. Insofern ist die Glaubwürdigkeit von Emmely heute im Grunde irrelevant. Aber der Gerichtssaal ist eben doch mehr als eine neutrale Bühne, auf der abstrakt Recht gesprochen wird. Heute geht es um gesellschaftliche Kämpfe, darum, ob man diejenigen, die sowieso das kleinste Stück vom Kuchen bekommen, auch noch wegen lächerlicher Unregelmäßigkeiten rauswerfen kann. Das wissen auch viele Leute im Zuschauerraum: Während Kaiser’s Anwältin Emmely diskreditiert, zischeln und murren nicht wenige der Anwesenden.
So bleibt auch ein Teil sitzen, als der zweite Senat am Nachmittag das Urteil verkündet. Es gibt aber keine Ordnungsgelder — die vorderen fünf Reihen Presse verdecken die kleine Geste des Protests. „Haben wir eine Protokollführerin? Nein? Das ist doof“ heißt es dann aber erst mal. Die Würde des Hauses ist etwas geknickt, als der erste Versuch der Urteilsverkündung an einer fehlenden Justizmitarbeiterin scheitert. Nach ein paar Minuten ist das Problem behoben und es kommt zur Urteilsverkündung: Das Bundesarbeitsgericht entscheidet ca. 15.30, daß sowohl die fristlose wie auch die nachgereichte fristgerechte Kündigung von Emmely rechtswidrig waren. Der Saal bricht in Applaus und Jubel aus.
Die Urteilsbegründung bietet dann etwas weniger Grund zum Jubeln. Hauptsächlich hebt der Senat darauf ab, daß das in 31 Jahren angesammelte Vertrauen, „ein hohes Kapital an Vertrauen, wenn man denn so will“ (so der vorsitzende Richter), in diesem Falle keine Kündigung wegen 1,30€ rechtfertigt. Auch wenn hier eine erhebliche Pflichverletzung vorliege, wäre eine Abmahnung als „deutliche Warnung“ verhältnisgemäß gewesen. Das Prozessverhalten von Emmely hält das Gericht nicht für relevant in der Frage der Kündigung.
Für Beschäftigte, die in Erwägung ziehen, gegen rechtswidrige Schikanen von Unternehmen gerichtlich vorzugehen könnte die Entscheidung Vorbildcharakter haben. Sie hat gezeigt: Kämpfen lohnt sich. Barbara E. und das Komitee „Solidarität mit Emmely“ haben in einer konzertierten Aktion einen kleinen Sieg gegen die alltäglichen Gewalttaten des Kapitalismus errungen.
Große Freude sieht man auch bei den AktivistInnen, als nach dem Erfurter Prozess die Nachricht durchkommt, daß das faktischen Verbot der FAU heute durch das Kammergericht Berlin aufgehoben wurde. Bei der abschließenden Kundgebung auf dem Erfurter Anger — dort, wo seit 2005 die Donnerstagsdemonstrationen gegen Sozialabbau stattfinden — knallen die Sektkorken und Atze Wellblech covern noch einmal mit Geige und Sperrholzbass ein Lied der Punkband Schleimkeim.
Wenn Gerichtsentscheidungen Rückschlüsse auf gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zulassen, dann haben neben Emmely und der FAU heute linke, emmanzipatorische Bewegungen im Allgemeinen einen Sieg davongetragen.
sabotnik/ksk
Medienmob
So sehn Gewinnerinnen aus – Emmely nach dem Prozess
Abschlusskundgebung auf dem Anger