Was bleibt, ist nicht viel: Eher magerer Protest am Rande des AfD-Bundesparteitags

Was bleibt...

Am Morgen des 22. März fanden vor dem Eingang des Messegeländes zwei Kundgebungen statt, die sich auf den Bundesparteitag der „Alternative für Deutschland“ bezogen.

Auf der einen Seite demonstrierte ein Bündnis aus den Jungen Europäischen Förderalisten, der Partei Die Grünen sowie der Piraten-Partei, auf der anderen Seite sammelten sich Menschen, die dem auch auf unserer Seite veröffentlichten Aufruf zum Protest folgten, darunter Vertreter*innen der DGB Jugend, Juri – Linke Gruppe, Jusos Erfurt, Falken Erfurt und einige versprengte Antifaschist*innen – insgesamt wohl nicht mehr als 50 Menschen.

Während die ersteren sich mit reimenden Sprechchören, Kostümierung und grünen Europa-Fähnchen als „Europa-Retter“ gerierten, unternahmen die Redebeiträge der gegenüberliegenden Kundgebung den Versuch einer groben Charakterisierung der Partei AfD, um diese sogleich zu kritisieren.

Die AfDler gingen derweil zahlreich zwischen den beiden Kundgebungen hindurch, um zum Parteitag zu gelangen – von etwa 18000 Mitgliedern sollen rund 1100 nach Erfurt gekommen sein. Auch einige Pressevertreter*innen nahmen Notiz von den Protesten.

Der andauernde Regen beendete beide Kundgebungen jedoch zügig.

Im Folgenden dokumentieren wir den Redebeitrag zweier Aktivist*innen der Griechenland-Reisegruppe „Solidarität und Selbstorganisation“ und diesen der Falken Erfurt.


Dokumentation zweier Redebeiträge:

(1) Von zwei Aktivist*innen der Reisegruppe „Solidarität und Selbstorganisation“

Für ein soziales Europa für alle!

„Der Euro spaltet Europa.“ Dieser Satz stand auf vielen Plakaten der selbsternannten Alternative für Deutschland beim Bundestagswahlkampf. Wir sagen: Nicht der Euro spaltet Europa, sondern eine Politik, wie sie von der AfD vertreten wird, bei der sich die reichen Länder Europas entsolidarisieren.

Wenn Bernd Lucke als Gebot den marktlibaralen Ausschluss Griechenlands fordert, dann sehen wir das anders. Das Gebot heißt nicht Ausschluss, sondern es heißt Solidarität mit den Menschen in Griechenland, die unter den Folgen der aktuellen Politik leiden! Seit Jahren ist hierzulande von „Pleitegriechen“ zu lesen und zu hören, neulich hieß es in der Bild-Zeitung „Griechen reicher als wir!“ Was dort propagiert wird,
stimmt nicht! Wir nehmen nicht hin, dass sich die BRD mit seinem Rettungsschirmen in Milliardenhöhe als Gönner der krisenzerrütteten Länder Südeuropas darstellt. Dieses Geld hilft deutschen Banken und
Großindustriellen, aber es hilft nicht der Mehrzahl der Bevölkerung in Griechenland. Denn bei den Menschen, die es brauchen, kommt das Geld nicht an.

Wir waren letztes Jahr vor Ort in Thessaloniki und haben uns ein Bild von den Verhältnissen gemacht, denen die Menschen ausgesetzt sind. Uns wurde gesagt und gezeigt, welche Auswirkungen die Sparpolitik der Troika hat: Die Wirtschaft des Landes schrumpft seit 2008 mit jedem Jahr weiter, mit verheerenden Folgen: Rund 200.000 überwiegend junge Menschen haben das Land verlassen, weil sie keine Perspektive mehr sehen. Ein Drittel der Bevölkerung hat keinen Job und damit kein Einkommen mehr. Die Menschen können ihre Mieten und Stromrechnungen nicht mehr zahlen. Verheizen ihre Möbel, um es im Zimmer wenigstens ein bisschen warm zu haben.

Fast 70% der Jugendlichen sind ohne Arbeit. Werden Menschen arbeitslos, bekommen sie ihr Arbeitslosengeld nur für maximal ein Jahr. Nach einem Jahr Arbeitslosigkeit verlieren sie ihre Krankenversicherung und erhalten keine finanzielle Unterstützung. Das ist kein Einzelfall, sondern betrifft mittlerweile jede dritte Griechin bzw. Griechen. Arbeitslose – das sind jene Menschen, denen Konrad Adam, Vorstand der AfD, hierzulande das Wahlrecht aberkennen möchte.

Doch zurück nach Thessaloniki. Es gibt Zahlen und Fakten. Dahinter stehen ganz konkrete Einschnitte in die Arbeits- und Lebenssituation von Menschen. Die von der Troika aufoktroyierte Politik führt dazu, dass
sich Griech*innen fremdbestimmt, hilflos und nicht unterstützt fühlen. Um den kapitalistischen Wirtschaftsablauf zu erhalten, wird die systematische Verelendung von Millionen Menschen in Kauf genommen. Nicht nur in Griechenland, sondern auch in anderen südeuropäischen Ländern.

Die Verelendung zeigt sich ganz drastisch in der Gesundheitsversorgung: In Griechenland hat ein Drittel der Menschen keine Krankenversicherung mehr. Die Kosten für die Medikamente und Behandlung müssen sie selbst zahlen. Doch wovon, wenn sie keinerlei Einnahmen mehr haben? Zahnärztliche Versorgung findet so gut wie gar nicht mehr statt, und Krankenhäuser haben zum Teil nicht genug Geld, um Kranke zu versorgen. 30% der Kinder sind nicht mehr geimpft, es tauchen wieder Krankheiten auf, von denen man dachte, sie seien verschwunden.

Die griechischen Krankenkassen haben Schulden bei internationalen Pharmakonzernen und so gibt es viele Medikamente nur gegen Bargeld. Das ist dramatisch, vor allem für chronisch Kranke, die für ihr Überleben auf regelmäßige, teure Medikamente angewiesen sind. Hier wird tagtäglich mit dem Leben der Menschen gespielt. Die Versorgung läuft gehörig aus dem Ruder.
Betroffen sind auch hochschwangere Frauen. Es gibt Fälle, in denen sie nicht einmal Zugang zum Krankenhaus bekommen. Frauen, die keine Versicherung mehr haben, müssen die Kosten für die Entbindung selbst aufbringen – 900 Euro. Und 1500 Euro für eine Geburt per Kaiserschnitt. Fälle machen Schlagzeilen, in denen Frauen ihre neugeborenen Babies erst mit nach Hause nehmen dürfen, wenn sie das Geld für die Entbindung bezahlt haben. Das sind katastrophale Zustände, die der Staat zu
verantworten hat, und seine Bürger*innen in den Ruin und an den Rand der Existenz treibt. Denn das Problem ist ein System, das Profite in den Mittelpunkt stellt und Menschen, die zur Herstellung der Profite
überflüssig geworden sind, mit ihren Schicksalen allein lässt.

Doch aus dieser Situation heraus bildeten sich solidarische Strukturen, die die Menschen unterstützen: In Griechenland gründeten engagierte Menschen Kliniken der Solidarität. Solch eine Klinik gibt es seit 2011
auch in Thessaloniki. Die Klinik und mit ihr mehrere Hundert Freiwillige bietet Menschen eine medizinische Erstversorgung. Sie fragt nach den Menschen, nicht nach deren Papieren. Die Klinik der Solidarität ist ein politisches Projekt. Sie hilft Menschen in Not, aber macht auch Druck bei den staatlichen Krankenhäusern. Sie fordert lebensnotwendige Operationen und Behandlungen ein. Sie findet sich nicht damit ab, dass der Staat sich nicht um die Menschen schert und macht dies durch öffentliche Proteste deutlich.
So wie die aktiven Ärzt*innen und Helfer*innen in der Klinik haben wir viele Menschen getroffen, die sich solidarisieren und dafür kämpfen, dass sich ihre konkrete Situation verbessert. Eine Baustofffabrik, die
eigentlich schwarze Zahlen schrieb, kündigte all ihre Arbeiter und ließ alle Baustoffsäcke vergammeln. Diese Arbeiter übernahmen kurzerhand selbst die Fabrik und produzieren jetzt biologische Reinigungsmittel. Wie die Produktion läuft, entscheiden sie selbst und ohne Chef – jeden Morgen gibt es ein Plenum mit allen Arbeitern. Und sie stehen in ihrem Kampf um ihre Fabrik nicht alleine da: Sie bekommen Solidaritätsbekundungen von Athen bis Bolivien, von Deutschland bis Argentinien. Die Arbeiter zahlen sich alle den gleichen Lohn aus. Viel Geld haben sie nicht. Doch trotz dieser Elendsverwaltung ist die besetzte Fabrik Ausdruck von Selbstorganisation und dem Kampf um ein solidarisches Miteinander. Ein Kampf, den wir mitführen müssen!

In Thessaloniki trafen wir auch Angestellte des staatlichen Rundfunks, die über Nacht gekündigt wurden. Sie senden nun autonom weiter – und zwar die Nachrichten, die die tatsächliche Situation in Griechenland
abbilden und die nicht mehr der Regierung gefallen müssen.
Auch in Griechenland gibt es Menschen, die ihr Heil in einer nationalistischen und rassistischen Politik suchen, wie sie die neonazistische Partei Goldene Morgenröte vertritt. Doch es gibt auch diejenigen, die sich auf einen solidarischen Weg begeben haben. Alle Menschen, die in der Klinik der Solidarität arbeiten, alle Arbeiter in der besetzten Fabrik und alle Journalist*innen, die in Eigenregie senden – sie finden emanzipatorische Antworten auf das Elend, das die Troika produziert und der griechische Staat verwaltet. Sie wollen keinen Rückzug in den Nationalismus, wie ihn die AfD überall und heute hier in Erfurt fordert. Sie wollen solidarisch sein mit allen, die darum kämpfen, Schwächere nicht im Stich zu lassen. Alle – wirklich alle – die wir getroffen haben, haben uns mit auf den Weg gegeben, dass wir über die Verhältnisse
in Griechenland aufklären sollen. Über das, was in der Krise mit den Menschen geschieht. Über das, was Medien verschweigen oder verfälschen.

Wir haben gesehen, dass die Auswirkungen der Krise für die Menschen drastisch sind. Der tägliche Kampf ums Überleben kostet Kraft und ist erschöpfend. Die Menschen in Griechenland wollen kein Mitleid und keine Almosen. Sie wollen verdammt noch mal keine Leute mehr, die ihnen sagen, sie seien an allem Schuld oder wären selber dafür antwortlich, dass es ihnen schlecht geht. Sie brauchen erst recht keine Leute wie die in der Alternative für Deutschland, die Griechenland rechts liegen lassen wollen. Was sie brauchen, ist gehört zu werden. Sie brauchen unsere Solidarität! Unsere Solidarität in einem Kampf um
ein besseres Leben. Unseren Beitrag zum politischen Handeln, nicht (nur) in Griechenland, sondern auch in Deutschland und den anderen europäischen Staaten. Unseren Beitrag zu einer europäischen Solidaritätsbewegung, die nicht ein Europa der Märkte, sondern der Menschen in den Mittelpunkt rückt.

Die Alternative für Deutschland sagt „Mehr Wettbewerb und Eigenverantwortung“ – wir fragen „Wie denn, wenn ihr die Menschen, die Länder und deren Art zu wirtschaften im Stich lasst?“ Die Alternative für Deutschland sagt Nein zu einer Transferunion – wir sagen Ja zu einem solidarischen Transfer mit Griechenland!
Die Alternative für Deutschland steht für Wohlstandschauvinismus, und blickt auf die hinab, die angeblich „schwach“ und „inaktiv“ sind. Sie fordert eine Gesellschaft, in der Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind, weniger wert sind, weniger Rechte haben und nicht gehört werden sollen. Wir begegnen diesem Wohlstandschauvinismus mit Solidarität! Diese Menschen haben unsere Solidarität: hier, in der BRD, Griechenland und überall!

Für ein soziales Europa für alle! Rechtspopulismus abschaffen!

2) Redebeitrag der Sozialistischen Jugend – Die Falken Erfurt.

Man wird den Eindruck nicht los, dass „politisch inkorrekt“ inzwischen zu einem alltäglichen Synonym für dummdeutsch, platt und selbstgefällig geworden ist. Sogenannte „unbequeme Wahrheiten“, welche man ja unbedingt „noch sagen dürfen muss“, offenbaren sich eher als bequeme, einfache Antworten, welche, entgegen dem Selbstbild, oft nur wenig konträr zur etablierten Meinung sind. Dies gilt auch für die Alternative für Deutschland.

In diesem Land, in welchem etablierte Politiker ihr nationales Sozialsystem bis zur letzten Patrone gegen Einwanderung verteidigen wollen (Horst Seehofer, CSU), rennen Parteien wie die AfD offene Türen ein. Auch sie fordert, eine „qualifizierte und integrationswillige Zuwanderung“ und möchte eine „ungeordnete Zuwanderung in unsere Sozialsysteme“ unbedingt unterbinden.
Mit anderen Worten: Verwertbares, qualifiziertes Humankapital darf sich für den deutschen Standort bis zum sozial verträglichen Frühableben gerne kaputt schuften – Für Menschen, welche es wagen mit der Hoffnung auf ein besseres Leben hierher zu kommen, weil sie in ihrer Heimat keine Perspektive mehr sehen, gibt es Fackelmärsche und Abschiebung.
Unerbittliche Härte gegen die Verlierer der allgegenwärtigen Konkurrenz; Hass gegen ethnische und sexuelle Randgruppen: Das sind Konsequenzen einer Ideologie, welche das hiesige Zusammenleben grundlegend bestimmt und auch von der AfD offensiv vertreten wird – nur zur Abwechslung mal aus der nationalkonservativen Sicht des gehobenen Bürgertums, sowie einer verängstigten Mittelschicht, welche diesem so gerne angehören würde. Es ist die Ideologie, welche die eigene Verwertung, das eigene dienstbar machen für die Interessen anderer, nicht als ein notwendiges Übel im Kapitalismus, sondern als höchstes, individuelles Gut, als Inbegriff von Freiheit und Selbstbestimmung, als Werkzeug für den Erfolg der eigenen Biographie begreift. Wer dies tut, der muss sich selbst versichern, der Schmied seines eigenen Glücks zu sein. Das Leugnen der eigenen Austausch- und Ersetzbarkeit; Das Leugnen der Abhängigkeit der eigenen Existenz von dem Interesse fremder Menschen an der eigenen Verwertung – Das bereitet den Boden für die Rücksichtlosigkeit gegen sich selbst, wie auch gegen andere Menschen. Wer glaubt, der eigene Arbeitsplatz sei lediglich ein individueller Verdienst der eigenen Anstrengung, der muss auch folglich die Arbeitslosigkeit als ein individuelles Scheitern durch ungenügenden Willen zum Erfolg begreifen und verachten.
Das passt dann auch, wenn z.B. AfD-Sprecher Bernd Lucke die Krise in Griechenland auf eine südeuropäische Arbeitsmoral zurückführt, welche geringer sei als die deutsche.

Dass sich Menschen durch alle gesellschaftlichen Schichten hindurch und über alle Klassengegensätze hinweg zu einer Partei assoziieren, deren Politik häufig nicht einmal im Rahmen der hiesigen Möglichkeiten in ihrem Interesse ist, liegt an ihrem gemeinsamen Sorgenkind. Ein Sorgenkind, welches sie stets dem Untergang geweiht sehen und für dessen Genesung sie händeringend nach einer Alternative suchen: Deutschland.

Vom Erfolg Deutschlands sind wir in soweit auch tatsächlich abhängig, als dass dessen Misserfolg uns allen jede Menge Beschwerlichkeiten bereitet. Andersherum beschert uns Deutschlands Erfolg kein schönes Leben, sondern allenfalls das zweifelhafte Glück, uns weiterhin kräftig für die Gewinne deutscher Unternehmen krummzumachen und auch sonst beständig unsere Leistungsbereitschaft für „Volk und Vaterland“ nachzuweisen zu müssen.

Darauf haben wir aber keinen Bock mehr! Wir haben die Schnauze voll von dieser Gesellschaft und den Zumutungen, die sie für uns bedeutet! Wir haben keine Lust auf Lohnarbeit, die uns dumm und krank macht, damit andere reich werden. Wir haben kein Bock auf ein Vaterland, welches letztenendes immer Verzicht zum wohle einer imaginären Gemeinschaft bedeutet, Leute abschiebt und uns im Kriegsfall als Kanonenfutter einplant. Die AfD ist keine Alternative zum herrschenden Elend dieser Gesellschaft; Sie bringt keinen Wechsel außer den des politischen Personals und mehr Elend für uns, sowie für die Menschen in Griechenland, Spanien und anderswo.

Deutschland braucht keine Alternative – Wir brauchen eine Alternative zu Deutschland.