Es ist nicht immer schön, recht zu behalten …

Nachträglich noch unser Redebeitrag zur Urteilsverkündung im NSU-Prozess:


„Es ist nicht immer schön, recht zu behalten. Uns ist in diesem Fall sehr unwohl dabei. Denn als wir letzte Woche unser Flugblatt zum Auffliegen des NSU im November 2011 aus dem Archiv gekramt haben, ist uns aufgefallen, dass man es eigentlich heute fast unverändert verteilen könnte.

Damals hieß es:

Mit jedem Detail, das über die Mordserie durch Nazis der letzten Jahre ans Licht kommt, stellt sich mehr die Frage nach der Rolle der bundesdeutschen Behörden, speziell des Thüringer Verfassungsschutzes, im Netz des rechten Untergrundes. Relativ unumstritten ist, dass der Thüringer VS in der Anfangszeit des Nationalsozialistischen Untergrunds seine Finger mit im Spiel hatte: 200.000 DM erhielt Ende der 1990er Tino Brandt, damals Schnittstelle zwischen NPD und Freien Kameradschaften. Mit dem Geld baute er den Thüringer Heimatschutz auf. Damit hat des VS nicht nur seine Aufgabe nicht erfüllt, er hat darüber hinaus eine Anschubfinanzierung für den Nazi-Untergrund geleistet.

Das stand also schon 2011 fest. Inzwischen sind sieben Jahre ins Land gezogen. Es gab dreizehn Untersuchungsausschüsse auf Bundes- und Landesebene und 437 Prozesstage im NSU-Prozess. Und viel mehr als das, was schon 2011 klar war, weiß man auch heute nicht. Von einer Aufarbeitung der Morde kann keine Rede sein.

Wir wissen immer noch nicht, wieviele Nazis sich zu einem Terrornetzwerk zusammengeschlossen haben und ob sie noch aktiv sind. Dass es nicht drei Leute waren, denen es ganz alleine jahrelang gelungen ist, im Untergrund zu bleiben und Morde in der ganzen BRD vorzubreiten, ist klar.

Wir wissen immer noch nicht, welche Rolle Geheimdienste und andere staatliche Organe in diesem Kontext eingenommen haben. Das der Thüringer VS Anschubfinanzierung geleistet hat, ist klar, dass er wie andere Dienste auch, verschiedentlich in die andere Richtung geschaut hat, liegt nahe.

Wir wissen immer noch nicht, wieso der »kleine Adolf« Andreas Temme bei einem der Morde dabei war, was in den geschredderten Akten stand und was die inzwischen verstorbenen Zeugen aussagen wollte

Auf Ebene des Verfahrens verhindert die Bundesanwaltschaft die weitere Aufklärung, indem sie die Anklageschrift auf drei Personen fokussiert. In den Untersuchungsausschüssen waren selbst konservative Politiker_innen oft fassungslos über die Mauer aus Schweigen, Lügen und Halbwahrheiten, die ihnen von Seiten der Organe entgegen gestellt wurde.

2011 haben wir gesagt: Es liegt im Wesen eines Geheimdienstes, dass sich all diese Fragen nicht transparent werden aufarbeiten lassen, so lange der Dienst aktiv ist. Deswegen ist die Auflösung zumindest des Thüringer und des hessischen VS dringend geboten.

Beim Thüringer VS sah es eine Weile so aus, als sei diese sogar denkbar. Beschlusslage bei der PDL war nämlich, an Stelle des Verfassungsschutzes eine Informations- und Dokumentationsstelle für Menschenrechte, Grundrechte und Demokratie zu stellen. Aus einer linksradikalen Perspektive waren wir natürlich skeptisch, was von diesem Wahlversprechen zu halten ist. Und auch hier war es wieder nicht schön, recht zu behalten: Nicht nur in der PDL, auch bei den GRÜNEN und der SPD setzte sich in der Regierungsverantwortung die Überzeugung durch, dass man ohne die Bespitzelung der Bevölkerung doch keinen Staat führen kann. Insofern wurschtelt der Thüringer VS weiter munter vor sich hin und hat sich in den letzten Jahren sogar neue Aufgabenfelder erschlossen, indem er sich z.B. um staatsbürgerliche Bildung kümmert und Kinder und Jugendliche, Student_innen und andere darüber belehrt, wie wichtig es ist, die Demokratie vor ihren extremen Feinden zu schützen.

Wo diese Feinde stehen, wird nach wie vor klar, wenn man in den Verfassungsschutzbericht guckt. Über Nazi-Aktivitäten kann man von Antifaschist_innen mehr erfahren als vom VS. Was widerum Antifaschist_innen tun, beobachtet der VS dafür umso genauer. Im von Alltagsrassismus nur so triefenden Thüringen werden die wenigen Linken, die dem Rassismus auf der straße und in Institutionen etwas entgegen setzen, genauestens durchleuchtet, zivilgesellschaftliches und autonomes Agieren gegen Nazis damit diskreditiert. Darüber hinaus wird in einem Bundesland, in dem es 2% Migrant_innen gibt, alljährlich ein Problem namens »Ausländerextremismus« konstruiert.

Was die politische Bedeutung und gesellschaftliche Einbettung des NSU angeht, können wir leider auch wieder an dem Text von 2011 anschließen:

Dass acht oder mehr Gewerbetreibende mit Migrationshintergrund ermordet wurden und Polizei und Presse nichts besseres einfiel, als über Schutzgelderpressung und organisierte Kriminalität zu spekulieren ist ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen und belegt, wie tief Rassismus in dieser Gesellschaft verankert ist. Ohne einen breiten rassistischen Konsens, der von den Ermittlungsbehörden über die Medien bis in weite Teile der Bevölkerung reicht, wäre es gar nicht möglich gewesen, dass der Nazi-Untergrund über Jahre hinweg unerkannt mordet.

Damit ist schon klar, dass man im Kampf gegen Rechts nicht auf den Staat setzen kann.

Gegen Rassismus und Nazi-Terror hilft kein NPD-Verbot und kein starker Staat. Dieser Staat, die Berliner Republik, gründet auf einer Reihe bundesweiter Pogrome gegen Flüchtling, die damals von der Politik herbeigeredet wurden. „Das Boot ist voll“ und „Aslymissbrauch stoppen“ hieß es damals nicht nur von der NPD und den Republikanern, sondern auch aus dem Bundestag. Die bürgerliche Mitte hat damals den Mob angestachelt, um dann vor seinen Forderungen einzuknicken und das Asylrecht faktisch abzuschaffen, das hat man nicht nur in Rostock-Lichtenhagen gesehen, wo brave Bürger Beifall geklatscht haben und die Polizei zugesehen hat, während der Nazi-Mob ein Wohnheim von vietnamesischen VertragsarbeiterInnen angezündet hat.

2011 sah es aus, als ob die bürgerliche Mitte aus den Ereignissen von 1992 gelernt habe und nicht mehr so unumwunden Nazi-Forderungen übernehmen, um nach Stimmen zu fischen. Das widerum hat sich heute geändert. Es vergeht kein Tat, an dem nicht Politiker_innen aus CSU, CDU, SPD und auch GRÜNEN und PDL auf die rassistische Stimmungsmache der AfD einsteigen und versuchen zu zeigen, dass sie die wahren Verteidiger deutscher Interessen sind. Das Klima, in dem Nazis morden können, ist damit heute sogar noch stärker gegeben als 2011. Es verwundert nicht, dass es seitdem neue Tote gegeben hat: Tote des Naziterrors, der sich vor allem seit 2015 in ständigen Angriffen auf Geflüchtete und politische Gegner_innen zeigt. Tote des rassistischen Normalzustands, die alltäglich vor den Mauern der Festung Europa im Mittelmeer ertrinken oder in der Sahara verdursten. Ebenso wie die (mindestens) 10 Opfer des NSU zeigen diese Toten, dass die Verhältnisse, die der Verfassungsschutz gegen Extremisten verteidigen soll, eine mörderische Angelegenheit sind.

Und wenn es noch Belege dafür braucht, wieso der bürgerliche Staat nicht dazu in der Lage ist, einen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz hervorzubringen, wieso der Nationalstaat niemals ohne Rassismus auskommen wird, dann sind es die Entwicklungen der letzten Jahre: Trotzdem ganz offensichtlich geworden ist, dass Rassismus tötet, ist seit 2011 ist nichts besser, sondern einiges schlimmer geworden. Der Verfassungsschutz hat mehr Geld und mehr Aufgaben. Bürger_innenrechte werden in dem Maße eingeschränkt, in dem Polizei mehr Befugnisse erhält. Nazis werden gehätschelt, Rassistische Forderungen als „Ängste besorger Bürger“ übernommen
Widerstand kriminalisiert und verfolgt.

Um die Verhältnisse zu humanisieren, muss die Gesellschaft grundlegend umgestaltet werden. Den Verfassungsschutz — zuallererst den Thüringer — aufzulösen, ist dafür ein erster Schritt. Darüber hinaus geht es darum, eine solidarische Gesellschaft aufzubauen, in der nicht Konkurrenz und Profitmaximierung, sondern Solidarität und Bedürfniserfüllung im Mittelpunkt steht.

Wenn Ihr das auch wollt, wenn Ihr auch die Schnauze voll habt von beiläufig zur Kenntnis genommenen Mord, vom beiläufig zur Kenntnis genommenenem Ertrinken, vom Zusammenspiel von Extremismus der Mitte, Nazis und Rechtspopulismus, dann organisiert euch gegen die Gewalt der Verhältnisse. Lasst euch nicht unterkriegen, bildet Banden, kämpft zusammen und lasst euch nicht mehr gefallen, dass Ihr am Leben gehindert werdet.

Gegen den Rechtsruck, von wem auch immer er betrieben wird, für ein gutes Leben für Alle.“