Lesen gegen Sarrazin

Die Mobilisierung gegen die rassistische, biologistische und sozialchauvinistische Lesung von Thilo Sarrazin läuft auf Hochtouren. Auf einer Kundgebung am 9. Mai werden ab 18 Uhr vor der Alten Oper viele verschiedene Menschen gemeinsam gegen Sarrazin und seine Thesen demonstrieren. Wer sich bis dahin noch inhaltlich fit machen will, kann zum einen die Veranstaltungsreihe des Bündnis‘ „Sarrazin absagen.“ besuchen und zum anderen einen Blick in die Bibliothek des Infoladens werfen. Hier haben wir nämlich nachgelegt und fünf Bücher zum Thema besorgt. Im folgenden werden diese kurz vorgestellt.

Der Sammelband „Rassismus in der Leistungsgesellschaft„, herausgegeben von Sebastian Friedrich, beschäftigt sich mit kritischen Analysen der rassistischen „Sarrazindebatte“. Es geht also in erster Linie nicht um Sarrazin selbst sondern um dessen Absorption durch die Gesellschaft. Das Buch erscheint in einem wissenschaftlichen Duktus mit universitärem Hintergrund. Manche Texte sind dementsprechend sehr anspruchsvoll geschrieben. Im ersten Beitrag zeichnet Friedrich die Sarrazindebatte nach und ordnet wesentliche Merkmale ein. Dabei stellt er eine Diskursverschiebung nach rechts und eine Verknüpfung des Einwanderungsdiskurses mit dem Ökonomiediskurs fest. Darauf folgen die Abschnitte „Migration und Rassismus“, „Bevölkerungs- und Biopolitik“, „Kapital und Nation“ und „Interventionen und Perspektiven“, in denen jeweils mehrere Autoren unterschiedliche Aspekte der Sarrazindebatte thematisieren. Die Bandbreite reicht dabei von Diskursanalysen bis hin zu rein theoretischen Abhandlungen. Dabei beinhalten die tiefgründigen Beiträge viele interessante Gedanken, die zur Weiterbeschäftigung mit den einzelnen Themen anregen.
Das letzte Kapitel „Interventionen und Perspektiven“ fällt im Vergleich zu den anderen Kapiteln leider ziemlich kurz aus. Die Intention des Buches, sich theoretisch mit der „Sarrazindebatte“ auseinanderzusetzen, ist dafür um so eindrucksvoller gelungen.

In „Sarrazin und der Extremismus der Mitte“ lenkt Klaus Ahlheim den Blick auf die in der Gesellschaft fest verankerten fremdenfeindlichen und antisemitischen Einstellungen. Demnach hat Sarrazin diesen Ressentiments eine seriöse Stimme gegeben, das „Problem [aber] ist ein weit verbreiteter Ethnozentrismus in der Mitte der Gesellschaft“. Hinzu kommt eine neue Lust, auf Deutschland stolz zu sein, die oft verbunden ist mit der „Ablehnung des Fremden und Anderen“. Ahlheim untermauert seine Aussagen mit zahlreichen eigenen und herangezogenen empirischen Untersuchungen, ohne jedoch einer blinden Zahlenglauberei zu verfallen. In einem eigenen Text warnt er vor „positivistischer Empiriegläubigkeit“ und zeigt, wie politische Vorentscheidungen der Forscher das empirische Instrumentarium selbst bestimmen. In weiteren Texten werden Migration, Schlussstrichmentalität und Fremdenfeindliche Einstellungen thematisiert. Die letzten beiden Beiträge beschäftigen sich mit Fragen der pädagogischen Interventionsmöglichkeit und einer Warnung vor akzeptierender Jugendarbeit, die rechte Einstellungen nicht bekämpfen sondern integrieren möchte.
Trotz des wissenschaftlichen Hintergrundes lässt sich das Buch flüssig lesen und bietet zahlreiche Fakten, die gerade in täglichen Auseinandersetzungen mit Sarrazinbefürwortern hilfreich sein können.

Thomas Wagner und Michael Zander bilanzieren zu Beginn von „Sarrazin, die SPD und die Neue Rechte“ die Sarrazin-Debatte. Dabei gelingt es ihnen, Sarrazins Thesen besonders grundlegend zu widerlegen. Beispielsweise zeigen sie, dass in Gesellschaften mit hoher Ungleichheit erheblich mehr Menschen erkranken als in Gesellschaften mit einer niedrigeren Ungleichheit – und zwar über alle sozialen Schichten hinweg. Der These, dass es in einer Gesellschaft immer Menschen geben muss, die über andere herrschen, entgegnen sie mit historischen Beispielen von langjährig bestehenden Gesellschaften, in denen alle gemeinsam über ihre Belange entschieden. Deutlich stellen sie heraus, dass die Behauptung, Menschen wären von Natur aus unterschiedlich, der Legitimierung der gesellschaftlichen Stellung von Sarrazin und Co. dient.
Es wird gezeigt, dass Sarrazin einem rechten Klüngel innerhalb der SPD entspringt, der seit jeher versucht, den wenigen noch verbliebenen sozialen und demokratischen Inhalten der Partei den Garaus zu machen. Dabei stürzen sich Neue Rechte und rechte Postillen wie die „Junge Freiheit“ mit Freude auf die von Sarrazin postulierten Thesen. Sie feiern Sarrazin als den letzten Verteidiger der Meinungsfreiheit und nutzen den erzeugten Trubel, um sich selbst stärker gesellschaftlich zu verankern. Dass dies funktioniert zeigt der überaus große Zuspruch, den Sarrazin aus der Mittelschicht erfährt. Denn gerade mit den Krisenwahrnehmungen der letzten Jahre sind dort „eine gestiegene Islamfeindlichkeit, […] zunehmende Abwertung sozial schlechter gestellter Gruppen und eine wachsende Akzeptanz rechtspopulistischer Einstellungen“ zu vernehmen.

Volker Weiß geht in seinem Essay „Deutschlands Neue Rechte. Angriff der Elite – Von Spengler bis Sarrazin“ auf die Spurensuche nach einer „Lust an der Apokalypse“. Denn Sarrazin ist bei Weitem nicht der Erste, der den Untergang Deutschlands herannahen sieht. Bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts treten immer wieder rechte Ideologen mit ähnlichen Thesen an die Öffentlichkeit. Würde man all denen Glauben schenken, hätte sich Deutschland schon mehr als einmal selbst abgeschafft. Es werden immer wieder ähnliche Symptome des Verfalls angeführt: eine irrationale Angst vor der „Masse“, Dekadenz und der Verlust der deutschen Identität. Dagegen helfe, so die rechten Theoretiker, nur eine Stärkung der Nation, die Disziplinierung der Masse, die Absonderung des „sozialen Ballasts“ und die Herausbildung einer Nationalen Elite. Besonders letzteres, die Herausbildung einer starken Elite, steht dabei eng im Zusammenhang mit einer Ideologie der Ungleichheit. Im übrigen zählen die Autoren selbst immer auch zu den von ihnen heraufbeschworenen Eliten. Volker Weiß weist nach, „dass dieses Bedürfnis nach ‚Elite‘ in direkter Tradition der republikfeindlichen Theoretiker der Weimarer Zeit steht und heute von einer ’neuen‘ Rechten befeuert wird, der an einer konservativen Revolution gelegen ist.“
Betrachtet werden neben Oswald Spengler und Thilo Sarrazin auch Edgar Julius Jung, Ortega y Gasset, Friedrich Sieburg, Carl Schmitt, Arnold Gehlen, Botho Strauß und Peter Sloterdijk.

In „Anti-Sarrazin“ versucht sich Sascha Stanicic an einer Widerlegung der Thesen Sarrazins. Herausgegriffen und dargestellt werden Thesen, die Sarrazin in seinem Buch beschreibt oder die in der medialen Debatte zum Vorschein kamen. Anschließend wird ihnen argumentativ begegnet. Angefangen bei der Frage „Tabubruch oder Kampagne?“ über Fragestellungen von Migration und Integration, Islamfeindlichkeit, Arbeit, Bildung und Soziales, Genen, Intelligenz und Rassismus bis hin zur Frage „Kommt die Sarrazin-Partei?“ deckt das Buch das breite Spektrum regressiver Stellungnahmen im Rahmen der Sarrazindebatte ab. Im Anschluss steht der Versuch darzustellen, wie man Alternativen zu Sarrazin verwirklichen kann.
Gut arbeitet Stanici dabei die gesellschaftliche Stellung Sarrazins und dessen Interessen heraus. Er konstatiert einen „Klassenkampf von oben“, den Sarrazin sehr erfolgreich führt.
Demgegenüber fällt mein Urteil über das eigentliche Ziel des Buches, nämlich Argumente gegen Sarrazin zu liefern, eher schlecht aus. Die Beschäftigung mit den einzelnen Themen bleibt oberflächlich. Die Argumentationslogik ist brüchig und nicht stichhaltig. Selbst die angegebenen Quellen sind eher fragwürdig. Einen leichtverständlichen Ein- und Überblick über die rückständigen Thesen Sarrazins bietet das Buch aber allemal.

  • Sebastian Friedrich (Hg.): Rassismus in der Leistungsgesellschaft. Analysen und kritische Perspektiven zu den rassistischen Normalisierungsprozessen der „Sarrazindebatte“. Edition Assemblage, 264 Seiten, in der Infoladen Bibliothek zu finden unter MR55.
  • Klaus Ahlheim: Sarrazin und der Extremismus der Mitte. Empirische Analysen und pädagogische Reflexionen. Offizin Verlag, 155 Seiten, in der Infoladen Bibliothek unter MR54.
  • Wagner und Zander: Sarrazin, die SPD und die Neue Rechte. Verlag Das Neue Berlin, 160 Seiten, in der Infoladen Bibliothek zu finden unter RA105.
  • Volker Weiß: Deutschlands Neue Rechte. Angriff der Eliten – Von Spengler bis Sarrazin. Verlag Ferdinand Schöningh, 141 Seiten, in der Infoladen Bibliothek zu finden unter RA83.
  • Sascha Stanicic: Anti-Sarrazin. Argumente gegen Rassismus, Islamfeindlichkeit und Sozialdarwinismus. Verlag PapyRossa, 166 Seiten, in der Infoladen Bibliothek zu finden unter MR53.

Extremismusklausel gekippt

Ca. 50 Menschen haben heute in Erfurt gegen die Extremismusklausel demonstriert, um ihre Solidarität mit dem AKuBiZ, dass gegen die Bestimmung geklagt hatte, auf die Straße zu tragen.

Neben kritischen SchülerInnen, dem Biko, der DGB Jugend und dem Redroxx brachte vor allem der Redebeitrag der dadaistischen Jugendkoordination Krawinkel / Internationalistische Nichtstuer_innen – Assoziation Bündnis 90 Gruppe Flatsch die Kritik auf den Punkt:

Extremismus – aus dem Dunkel der Nacht
infernalisches Strandgut
da ist noch ganz viel Glut im Kraterherde

Extremismus – von unter dem Dach
von schräg gegenüber
von unter der Erde – BRAINS!

Extremismus – das wär‘ doch gelacht
Wir kriegen euch alle!
Wir kriegen euch alle!

Von der Mitte in die Fresse, von den Rändern bis ans Ende aller Zeit
Ich mach‘ mir ja nicht viel aus Realpolititk,
aber das hier ist ein Angriff auf meine extreme Niedlichkeit.

Extremismus – unter den Linden
klebt an unseren Händen
steckt in unser aller Unterhemden

Extremismus – du Geißel der Menschheit
du Schande der Zivilisation
Du bringst uns ja alle in Verruf

Extremismus – schwarz auf weiß
Shame on you if you fool me once
Shame on me if you fool me twice

Von der Mitte in die Fresse und vom Rand der Welt hinab in die Unendlichkeit
Extremismustheoreten Hufeisen an den Kopf zu werfen ist mit Sicherheit sinnvoller,
als die Dinger irgendwelchen Tieren von unten in die Füße zu rammen..
Wer macht denn so was?

Gegen jeden Extremismusbegriff, gegen Deutschland, gegen Kapitalismus!
Für eine revolutionäre und antifaschistische Kulturszene!

Das Verwaltungsgericht Dresden konnte sich dem nur anschließen: gegen 15 Uhr kam die Meldung, dass das Gericht die Extremismusklausel für rechtswidrig erklärt hatte.
[mehr dazu beim AKuBiZ, dort gibt es auch Bilder von Protesten in Dresden]

Morgen in Erfurt: Solidarität gegen Extremismuslogik!

Morgen (25.4.) ab 14 Uhr wird auf dem Erfurter Anger gegen die „Extremismus-Klausel“ demonstriert. Anlass ist der erste Verhandlungstag im Prozess, mit dem sich das Alternative Kultur- und Bildungszentrum Sächsische Schweiz (AKuBiZ) gegen die Klausel wehrt.

Das AKuBiZ sollte 2010 den mit 10.000€ dotierten Sächsischen Demokratiepreis erhalten. Dafür sollte der Verein die von Ministerin Schröder eingeführte Extremismusklausel unterschreiben. Das lehnte AKuBiZ ab und klagte anschließend.

Kritische Schüler_innen, das BiKo, die DGB Jugend, Parteijugenden und andere wollen mit der Kundgebung an die Proteste gegen die Eröffnung der VS-Ausstellung im Ratsgymnasium am letzten Montag anknüpfen.

Filmabend: Action in Asia

Flyer: Filmabend - Action in Asia
Die Filmemacherin des Projektes „Action in Asia“, Sigrid Oberer, und der japanische Photojournalist Tsukasa Yajima zeigen 3 kurze Dokumentarfilme zu den Themen Obdachlosigkeit, gewerkschaftliche Organisierung in prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen und die Geschichte der japanischen Anti-Atom-Bewegungen.

Die drei Dokumentationen porträtieren verschiedene Soziale Bewegungen in Japan und zeigen deren gemeinsame Schnittstellen auf, die im Widerstand gegen die japanische Arbeits- und Lebensverhältnisse liegen. Der erste Film zeigt Alltag und Selbstorganisierung der Nojukusha, den obdachlosen Arbeitern in Japans Metropolen. Um Arbeitskämpfe mit Witz und Empowerment geht es im zweiten Film über die Gewerkschaft „Freeter Union“. Der dritte Film rollt die inzwischen 60-jährige Geschichte der Anti-Atom Bewegung in Japan auf und zeigt wie dort gegen die sog. „friedliche“, aber auch gegen die militärische Nutzung der Atomkraft protestiert wird. Beispiele zeigen SurferInnen gegen Atomkraft, die schlagfertigen FischerInnen der Insel Iwaishima, das geplanten Endlager in Rokkasho sowie Bilder nach der jüngsten atomaren Katastrophe in Fukushima.

Nach den Filmen stehen die FilmemacherInnen für weitergehende Fragen und zur Diskussion bereit.

Filmabend: Action in Asia
24. April 2012, 20.00 Uhr, Offene Arbeit Erfurt (Allerheiligenstraße 9, Hinterhaus)

(Ausserdem in der Offenen Arbeit: vor den Filmen ab 19 Uhr eine Infoveranstaltung zum BUKO34 und Küche für alle)

Erdrutschsieg ohne Wahlkampf: Absolute Mehrheit für Nichtwähler_innen in Erfurt

Ohne jegliche Intervention in den penetranten Wahlkampf der letzten Wochen haben die Nichtwähler_innen bei den Bürgerleisterwahlen in Erfurt den Amtsinhaber Andreas Bausewein auf den zweiten Platz verwiesen. Gerade einmal 26% der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme dem SPD-Mann — weniger als die Hälfte als die 56%, die sich entschieden haben, sich dem Wahlgang zu verweigern. Aufgrund des undemokratischen Wahlsystems wird der Bürgermeisterposten allerdings trotzdem vom zweiten Sieger besetzt werden, statt ihn — wie es dem Wählerwillen entspricht — einfach unbesetzt zu lassen. Um die eigentlichen Wahlsieger_innen nicht weiter zu provozieren, einigten sich die Parteien darauf, wenigstens die zahllosen grinsenden Köpfe wieder aus dem Straßenbild zu entfernen.

Veranstaltungsreihe des Bündnis „Sarrazin absagen.“

Im Zuge der Proteste gegen die geplante Lesung von Thilo Sarrazin am 9. Mai in der Alten Oper in Erfurt organisiert das Bündnis „Sarrazin absagen.“ eine kritische Veranstaltungsreihe. Los geht es Heute mit einer Veranstaltung über Nationalismus um 19 Uhr im veto. Weitere Informationen unter sarrazinabsagen.wordpress.com.

| Dienstag, 17. April | 19 Uhr |
Gegen den Nationalismus der Mitte
Nationen ermöglichen weder den Eingeschlossenen noch den Ausgeschlossenen ein gutes Leben. Organisiert vom Infoladen Sabotnik und dem Bildungskollektiv BIKO im veto (Trommsdorffstr. 5, Erfurt).

| Donnerstag, 19. April | 19 Uhr |
Die Guten ins Töpfchen
Ökonomische Eigeninteressen als Grundlage der europäischen und deutschen Migrationspolitik. Organisiert vom Flüchtlingsrat Thüringen und dem Infoladen Sabotnik bei Radio F.R.E.I. (Gotthardstr. 21, Erfurt)

| Mittwoch, 02. Mai | 19 Uhr |
Thilo Sarrazins Rassismus und die Krise
Argumentation gegen demagogische Hetze und rassistische Theorien. Vortrag und Diskussion im RedRoXX (Pilse 29, Erfurt)

| Mittwoch, 09. Mai | 15 Uhr |
Rassismus in Deutschland
Vorträge und Diskussionen mit Sebastian Friedrich und vielen mehr im Hirschgarten (Erfurt)

| Mittwoch, 09. Mai | 18 Uhr |
Das muss man immer wieder sagen:
Gegen jeden Rassismus und sozialchauvinistische Ausgrenzung.

Protest gegen die Lesung von Thilo Sarrazin vor der Alten Oper (Theaterstraße Erfurt)

Erfolgreicher Protest bei Eröffnung von Verfassungsschutz-Ausstellung am Erfurter Ratsgymnasium

Völlig ins Wasser gefallen ist der Plan, dem Erfurter Ratsgymnasium und dem Thüringer Verfassungsschutz durch eine Ausstellung zum Thema „Feinde der Demokratie“ zu einem besseren Image zu verhelfen. Schon im Vorfeld der heutigen Eröffnung hatte eine Gruppe „Kritische Schüler_innen“ in einem Offenen Brief zusammen mit Eltern und ehemaligen Schüler_innen gefordert, die Ausstellung abzusagen oder zumindest einen kritischen Kommentar zuzulassen. Die Schulleitung und der Innenminister hatten das zurückgewiesen und sich gegen Störungen der Veranstaltung verwahrt. Das ist wohl nach hinten losgegangen. Am Ende mussten sich die Spione, der Innenminister und die Schulleitung dafür rechtfertigen, dass sie gerade zum jetzigen Zeitpunkt eine Ausstellung des skandalumwitterten Dienstes zeigen.

Schon vor der Ausstellungseröffnung wurde deutlich, dass es heute Widerspruch geben würde: Hoch über dem Schulhof hing ein riesengroßes Transparent mit der Aufschrift „Faschismus bekämpfen. Verfassungsschutz abschaffen.“ Weiter befanden sich im Publikum der Veranstaltung nicht wenige selbsternannte Extremist_innen.

So erhielt auch der Schulleiter des Ratsgymnasiums für seinen einführenden Beitrag kaum mehr als Höflichkeitsbeifall. Viel Zustimmung gab es hingegen für die Schüler_innen, die in Anschluss daran ein Transparent entrollten, aufstanden und ihr Rederecht einforderten. Nach einigem Hin und Her und viel Unruhe im Publikum wurde dies gewährt und zwar nicht — wie ursprünglich erklärt — nach der Eröffnung, sondern im direkten Anschluss an die Reden von Innenminister Geibert und Verfassungsschutzpräsident Sippel. Von diesen beiden gab es, was man von ihnen erwartet hatte: Der VS sei ganz wichtig, die Demokratie sei bedroht, von Nazis, auch von der RAF und islamistischen Ausländern (2,2% in Thüringen), und überhaupt sei die Ausstellung keine Imagekampagne, sondern ganz wichtig für die nachwachsende Generation.

Die zwei Schüler, die danach mit klassischer Musik die Wogen glätten sollten, entschieden sich dazu, dafür nicht zur Verfügung zu stehen und übergaben stattdessen direkt den ProtestiererInnen das Wort — was auch spontan von einem Liedermacher genutzt wurde, der ein Anti-Repressions-Lied spielte1.

Im Anschluss begründete ein kritischer Schüler, warum eine Ausstellung, die einseitig die Sicht des Verfassungsschutz darstelle, nicht dazu geeignet sei, die gebotene Kontroversität in der politischen Bildung zu gewährleisten. Im Anschluss legte Sandro Witt auf Einladung der SchülerInnen dar, an welchen Stellen der Thüringer VS in den letzten Jahren versagt hat. Ein Verfassungsschutz, der die Verfassung nicht schütze, sondern zivilgesellschaftliches Engagement diskreditiere, könne man sich sparen. Ähnlich äußerte sich ein weiterer Schüler, der forderte, antifaschistische Gruppen zu fördern statt zu kriminalisieren. Besonders ins Schwitzen kam Schulleiter Freise, der zuletzt gefragt wurde, wie sich denn nun genau das Christentum mit der Vorstellung einer wehrhaften Demokratie und der Humanismus mit der Bespitzelung abweichender Meinungen vertrage — eine Frage, auf die er nicht mehr antworten konnte, als erneut zum persönlichen Gespräch zu laden.

Abschließend blieb es dem Innenminister überlassen, seine KritikerInnen noch mal symbolisch zu umarmen und zu betonen, wie wichtig Protest und Widerspruch in einer Demokratie seien. Wohlbemerkt: Widerspruch, der erst nicht gehört werden sollte und Protest, der unterbunden worden wäre, wenn nicht kritische SchülerInnen, Eltern, Ehemalige und UnterstützerInnen interveniert hätten.

Hier ein Video von der Aktion von den Filmpiraten:


Kritische SchülerInnen erheben Einspruch


Ein Ständchen für den Verfassungsschutz


VS-Präsident Sippel muss sich rechtfertigen


Geheimdienst geh‘ heim!

  1. ohne titel – cover, Original von Konny

    ihr macht so viel geld mit euren waffen
    ihr schickt sie ja in aller herrenland!
    das wörtchen krieg wird von euch säuberlich verwaschen
    und zur ablenkung ruft ihr ganz deutlich „schland“!

    ihr sagt das boot ist voll und lasst abschieben
    und dabei geht halt auch mal einer drauf…
    und doch müsst ihr dann deutsche schulen schließen,
    weil es kaum noch deutsche kinder gibt darauf!

    und des lieben geldes willen lasst ihr
    unsere häuser räumen und dann noch damit
    unsere träume unsere hoffnungen und ideen.
    mit diesem mietspiegel, da hält ja keiner mit!

    und wenn wir denn am bahnhof betteln gehen
    zieht ihr wieder eure handschuhe an.
    wie oft hab ich die szenen schon gesehen
    und wenn mal einer wütend wird, ja dann…

    faltet die sorgenfalten und ihr redet von gewalt
    das man extremisten stoppen muss
    und dabei wird mit kalt

    denn wie extrem ist erst die welt
    die ihr kreiert und schützt vor uns
    mit knüppel und gewehr und militärischer vernunft

    leute seht genau hin
    woher kommt denn die gewalt?
    am anfang war doch nicht der pflasterstein!

    was ist mit rausschmiss und verwertung
    und den anderen schweinereien?
    gewalt hat vielerlei gestalt!

    so wie in erfurt, topf und söhne
    und in freiburg in vauban…
    da schlagen sie auf unsere träume ein!

    das ist kein frieden, keine freiheit,
    das ist unterdrücktes leben
    das ist die welt
    das ist extrem
    und gegen diese gehen wir an!
    [zurück]

Aus „Kein Tag ohne…“ wurden inzwischen „3 Jahre ohne autonomes Zentrum“

Drei Jahre Parkplatz auf dem ehemaligen Topf&Söhne Gelände in Erfurt Anlässlich des 3. Jahrestages der Räumung des seit 21.04.2001 besetzen Topf und Söhne-Geländes trafen sich am Vorabend des 16.04.2012 einige Leute zu einer kleinen Aktion: Auf dem Möbel- und Tierfutter-Markt-Parkplatz, dem das besetzte Haus weichen musste, wurde sich (mit Straßenkreide) bei der Stadt Erfurt für genau diese Situation bedankt. Inhalte wie, dass man auf Gott, Staat und Mietvertrag scheißen kann und Erfurt ein autonomes Zentrum braucht, bleiben jedenfalls nach wie vor aktuell.

Erfurt braucht ein autonomes Zentrum

Kein Gott, Kein Staat, Kein Mietvertrag

Terminkorrektur: Action in Asia am 24.4. in der Offenen Arbeit

Der Filmabend „Action in Asia“ am 24.4. (20 Uhr) findet nicht wie irrtümlich beworben im veto statt, sondern in der Offenen Arbeit (Allerheiligenstr. 9, Hinterhaus). Davor gibt’s um 19 Uhr eine kurze Infoveranstaltung zum internationalistischen Kongress Buko 34, der vom 17.-20.5. in Erfurt stattfindet und für den noch Helfer_innen gesucht werden. Dazu gibt’s KücheFürAlle. Zumindest alle, die in die OA kommen.

Demokratie ist in Thüringen Chefsache

Verfassungsschutz im Erfurter RatsgymnasiumAm nächsten Montag soll ab 10 Uhr im Erfurter Ratsgymnasium die Ausstellung „Feinde der Demokratie – politischer Extremismus in Thüringen“ eröffnet werden. Veranstalter ist der Verfassungsschutz. Die SchülerInnengruppe „Kritische SchülerInnen“ erklärte dazu in einem offenen Brief, wegen mangelnder Kontroversität und der lang anhaltenden Serie von politischen Skandalen um den Verfassungsschutz Thüringen sei es unangebracht, die Ausstellung zu zeigen. Die SchülerInnen fordern, die Ausstellung abzusagen oder zumindest die Möglichkeit zu einem eigenen, kritischen Kommentar zu erhalten.

Aber Demokratie ist in Thüringen Chefsache. Gerade wegen des hohen Stellenwerts der Demokratie gestatten Schulleitung und Geheimdienst nicht, dass sich die SchülerInnen bei der Ausstellungseröffnung äußern. Denn für die Verteidigung der Demokratie gibt es Experten: Schulleiter Freise, Innenminister Geibert und Verfassungsschutzpräsident Sippel sorgen mit Feder und Schwert dafür, dass sich niemand erdreistet, ungeprüft die hoheitlich verordnete Demokratie zu kommentieren.

Den SchülerInnen gefällt das ebenso wenig wie dem Bildungskollektiv Biko, der DGB-Jugend Thüringen, der Offenen Arbeit und der Plattform Bildung ohne Geheimdienst, die heute in einer Pressemitteilung darauf insistieren, die Forderungen der SchülerInnen ernst zu nehmen und die Ausstellung abzusagen oder zumindest einen kritischen Kommentar zuzulassen.

Alle, denen das ebenfalls nicht gefällt, können am Montag am 10 Uhr zum Ratsgymnasium kommen. Die Eröffnung mit Musikbeitrag („Wir sind wachsam“) und einführenden Worten der Demokratieexperten Geibert, Sippel und Freise ist öffentlich.

Kampagne gegen Abschiebungen: Sarah und Miloud bleiben!

Miloud auf einer Demonstration in Meiningen
Den beiden im Flüchtlingsheim Zella-Mehlis lebenden Flüchtlingen Olesia & Miloud Lahmar Cherif droht die Abschiebung. Beide sind mitwirkende in dem von The Voice und dem Theaterhaus Jena initiierten Theaterstückes „My heart will go on“, dass den „Umgang der deutschen Behörden mit den Flüchtlingen, ihre isolierte, recht- und würdelose Position in unserer Zivilgesellschaft, ihre fortwährende, und leider nur zu berechtigte Angst vor Abschiebung“ thematisiert. Miloud ist zudem langjähriger Aktivist bei The Voice. Noch ist nicht geklärt welchen Einfluss das Mitwirken in dem Theaterstück und das Engagement bei The Voice auf die Ablehnung des Asylantrages durch die Ausländerbehörde Meiningen hatte.

Neben dem Theaterhaus Jena hat bisher auch die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Thüringer Landtag ein Bleiberecht für die beiden gefordert. Im Rahmen der Kampagne „Break Deportation“ wollen Flüchtlingsinitiativen und linke Gruppen zu konkreten Unterstützungsaktionen aufrufen.

In einer von Sarah und Miloud veröffentlichten Erklärung heißt es: „Es ist unser Recht zu entscheiden, wo wir leben wollen – dafür werden wir weiter kämpfen.“ Dem können wir uns nur anschließen.

Erklärung: Abschiebeprozess – Familie Lahmar Cherif

Am 4.3.2012 haben wir von der Ausländerbehörde Schmalkalden-Meiningen einen Brief bekommen, in dem uns bis zum 7.5.2012 Zeit gegeben wird, Deutschland freiwillig zu verlassen – wenn wir uns weigern, werden sie uns abschieben.
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Sarrazinjugend versuchte erfolglos vor der ARGE Erfurt zu demonstrieren

Drei Mitglieder der neu gegründeten „Sarrazinjugend“ haben heute, am 05.04.2012, vor der Erfurter Agentur für Arbeit demonstriert. Auf Schildern forderten sie die „Zwangssterilisation für Erwerbslose und MigrantInnen“ und warben dafür, das Buch „Deutschland schafft sich ab“ zu kaufen. Bei den KundInnen der ARGE stieß die Aktion auf einige Ablehnung.

Außerdem bildete sich nach kurzer Zeit spontan eine Gegendemonstration von Angehörigen des Bündnisses „Sarrazin absagen“. Auf den Flyern der Gegendemonstration wurden Erwerbslose aufgefordert, sich gegen die Thesen Sarrazins gemeinsam mit MigrantInnen zu solidarisieren, da beide Gruppen in Sarrazins Weltsicht dümmer und daher weniger wert seien und ihre Vermehrung aufzuhalten sei. Es kam zu einigen Wortwechseln zwischen den verfeindeten Gruppen und am Ende auch zu Handgreiflichkeiten, bei denen die SarrazingegnerInnen sich durchsetzen konnten, so dass die Sarrazinjugend von der Bildfläche verschwand. Die Sarrazinjugend wurde von den meisten PassantInnen gemieden oder nicht ernst genommen. Einigen Zuspruch gab es für die GegendemonstrantInnen.

Mehrere PassantInnen erklärten, dass sie auf jeden Fall zur der Gegenkundgebung zur Lesung Sarrazins am 09. Mai ab 18.00 Uhr an der alten Oper Erfurt kommen würden.


Die Sarrazinjugend vor der ARGE.


GegendemonstrantInnen (im Hintergrund)


Ende der Aktion

Hier noch der Text des Flugblatt der GegendemonstrantInnen:

Gegen Sarrazins Buchlesung und seine Thesen

Wenn das Geld nicht mehr ausreicht um die Heizkosten zu zahlen sollen Menschen überlegen „ob sie mit einem dicken Pullover nicht auch bei 15 oder 16 Grad Zimmertemperatur vernünftig leben können“ sagte Thilo Sarrazin in einem Interview mit der „Rheinischen Post“. Die Menschen, denen Sarrazin hier die Benutzung einer Heizung abspricht, wenn es im Winter kalt wird, sind Bedürftige, Arme und Hartz4 Bezieher und Bezieherinnen – denjenigen also, denen es im gesellschaftlichen Vergleich sowieso schon am schlechtesten geht. Weiterlesen

Zehn Jahre zwischen Letscho und Sterni

Am 31. Juli 2011 hat der letzte Bewohner die Schillerstraße 42 in Gera verlassen. Das Haus war über Jahre hinweg ein Treffpunkt der radikalen Linken in Thüringen und darüber hinaus. Aufs Engste mit dem Haus verbunden ist Thomas Panitz. Kaum jemand würde sein Gesicht auf der Straße erkennen, und durch gehörte er durch sein kontinuierliches Wirken im Hintergrund zu den schillernsten Gestalten der deutschsprachigen Linken. Seit dem vergangenen Sonntag gibt es den ersten Teil seiner Autobiographie im Infoladen-Buchbestand. Weiterlesen

Kleines, mittleres und großes Krisenkompedium

Die Veranstaltung „Krisentheorie und Krisenprotest“ am vergangenen Dienstag sollte vermitteln, wie sich die aktuelle Krisendynamik aus den Grundkategorien des Kaptialismus erklären lässt. Die Veranstaltung war gut besucht, die Rückmeldungen gemischt. Bemängelt wurde vor allem, dass der Versuch, die Welt in einer Stunde zu erklären, sehr schwer zu verstehen war. Um allen die Möglichkeit zu geben, sich ausführlicher mit den theoretischen Grundlagen der wertkritischen Krisentheorie auseinanderzusetzen, stellen wir hier den Vortragstext von Christian Höner online: Wir sind die Krise

Als Grundlage für die Krisentheorie empfiehlt sich eine Einführung in die Kategorien, die begrifflich bei Marx vor der Krise liegen: Arbeit, Wert und Ware. Dazu gibt es vom selben Autor den folgenden, nur wenige Seiten langen Text aus einer älteren Ausgabe der Streifzüge: Was ist der Wert?

Für eine ausführlichere Auseinandersetzung mit der wertkritischen Krisendeutung empfehlen wir das gerade beim Unrast-Verlag erschienene Buch Die große Entwertung. Wie üblich bei Beiträgen der wertkritischen Gruppe Krisis beginnt das Buch mit eine ausführlichen Darstellung der Grundkategorien — das, was der oben genannte Streifzüge-Text im Schnelldurchlauf darlegt, wird im ersten Drittel des Buches ausführlich und gut verständlich dargelegt. Mensch erfährt, wieso der Kapitalismus ein grundsätzlich krisenhaftes System ist, warum der Arbeitslohn nicht „ungerecht“ ist und warum die Krise kein punktuelles Ereignis, sondern ein Prozess ist, der sich aus der im Kapitalverhältnis angelegten Steigerung der Produktivität automatisch ergibt.

Der zweite Teil des Buches beginnt mit unnötiger Polemik gegenüber anderen Kapitalismuskritiker_innen, um schließlich darzulegen, wie sich Finanztitel wie Kredite und Aktien wertkritisch verstehen lassen: „Mit der Kreation und dem Verkauf von Finanztiteln wird der künftige realökonomische Reichtum [..] vorab in eine Ware verwandelt.“ Dieses „fiktive Kapital“ kann eine Weile dazu dienen, eine kriselnde Wirtschaft zu stabilisieren. Stellt sich allerdings heraus, dass der erwartete realökonomische Reichtum ausbleibt, schlägt die am Anfang der Geschichte stehende Krisenhaftigkeit mit doppelter Wucht durch.

Das dritte Kapitel widmet sich einem von der Wertkritik (wie überhaupt von den meisten Theoretiker_innen) oft vernachlässigtem Thema, nämlich dem konkreten historischen Krisenablauf. Hier wird geschildert, wie die vorher theoretisch dargelegten Prozesse tatsächlich abgelaufen sind. Auch wenn eher kämpferisch orientierte Marxist_innen wie Wildcat nach wie vor näher an den realen Krisenabläufen dran sind, zeigt „Die große Entwertung“, dass die Wertkritik sich nicht nur damit beschäftigt, „lustige Theorie jenseits der Realität“ (SoZ über Krisis) zu produzieren, sondern sich bemüht, den schwierigen Verknüpfungen zwischen dem Elfenbeinturm der abgefahrenen Theorie und den unübersichtlichen realwirtschaftlichen Vorgängen nachzugehen.

„Die große Entwertung“ ist ausleihbar im Infoladen unter der Signatur PAM 92.