Flugblatt: Krieg beginnt hier.


Den Ausbau des Erfurter Bundeswehrstützpunktes, von dem aus nun die Bundesweite Kriegslogistik koordiniert wird, und eine ganze Reihe Propaganda- und Werbeveranstaltungen der Bundeswehr nahmen die Gruppen LiSE, die Flüchtlingsinitiative Erfurt und der Infoladen Sabotnik, gemeinsam mit zahlreichen Einzelpersonen zum Anlass, ein kritisches Flugblatt zum Thema zu veröffentlichen. Verteilt wurde der Text bisher auf verschiedenen Aktionen. Im folgenden dokumentieren wir das Flugblatt:

Kriegslogistik nicht willkommen

Was passiert in Erfurt?
Anfang Januar 2013 eröffnete die Bundeswehr ein neues Logistikzentrum in Erfurt. Dieses präsentiert sich am 16. Januar durch einen Aufstellungsappell in der Löberfeld-Kaserne. Zukünftig soll durch das Logistikkommando von Erfurt aus die Versorgung der deutschen Soldaten im In- und Ausland gesteuert werden, unter anderem gehört dazu die Rückholung des deutschen Materials aus Afghanistan. Der Aufgabenbereich des Logistikzentrums ist integraler Bestandteil der Bundeswehr und durch die Vorbereitung und Koordinierung ebenso konkret an der Ausführung militärischer Operationen Deutschlands beteiligt, wie die Streitkräfte in den Einsatzge bieten.

Von offizieller Seite ist in Erfurt die Freude darüber groß; steht die Stadt schließlich als Gewinner der Bundeswehr-Reformen da. »Für die Stadt ist die Entscheidung der Bundeswehr von großer Bedeutung – sowohl für die hiesige Wirtschaft als auch für das Leben in der Stadt allgemein. Der Standort wird wachsen. Viele Soldaten werden mit ihren Familien nach Erfurt ziehen. Das ist gut für die Stadt«, kommentiert Oberbürgermeister Bausewein (Thüringer Allgemeine, 15.11.12).

2. Aufgaben und Funktion des Militärs
Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts schrieb Clausewitz, preußischer General und Militärtheoretiker: »Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln«. Das bedeutet, dass die kriegerische Auseinandersetzung ein durchaus eingeplantes, notwendiges Mittel der Selbstbehauptung in Interessenkonflikten zwischen Nationalstaaten ist. Wie eng wiederum politische und wirtschaftliche Interessen im zwischenstaatlichen Konkurrenzkampf verflochten sind, zeigt nicht zuletzt die mörderische Geschichte des europäischen Kolonialismus und Imperialismus.

Krieg, als Weiterführung von politischen und wirtschaftlichen Interessen mit anderen Mitteln, bedeutet eine brutale Zuspitzung der vorherrschenden Widersprüche und Gewaltverhältnisse (Machtkämpfe um Hegemonie, Absicherung globaler Ressourcen und Ausbeutungsverhältnisse, Kontrolle von Migration, etc.). Die kapitalistisch-staatlich strukturierte Normalität sowie die wirtschaftliche und politische Verflochtenheit zwischenstaatlicher Beziehungen erfordern die Normalisierung von Militär und Kriegsführung, Repression und Aufrüstung, wobei die Folgen durch die geographische Distanz solcher Konflikte gerne ausgeblendet werden. Hinzu kommt, dass die benachteiligsten und marginalisiertesten Menschen der Zivilbevölkerung oft am Härtesten von diesen Folgen betroffen sind.

3. Die Bundeswehr: Reformen und Einsätze im In- und Ausland
Auch heute gilt das Militär weiterhin als »Grundlage des Selbstbehauptungswillens und der Verteidigungsbereitschaft der Nation« (verteidigungspolitische Richtlinien, Verteidigungsministerium 2011). Während bei der Wiedereinführung einer deutschen Armee im Rahmen des Ost-West-Konflikts die Landesverteidigung und Unterstützung der NATO noch als einzige Rechtfertigungsgründe angeführt wurden, hat sich seit den 90er Jahren der Aufgabenbereich der Bundeswehr kontinuierlich erweitert: »Wir brauchen eine Bundeswehr, die der Politik ein breites Spektrum an Handlungsoptionen eröffnet« (Eckpunkte für die Neuausrichtung der Bundeswehr, Verteidigungsministerium 2011). Ein breiteres Handlungsfeld zielt neben Stabilitäts- und Bündnisinteressen unter anderem auf einen »freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen« (verteidigungspolitische Richtlinien 2011). In der deutschen Militärpolitik spielt die wirtschaftliche Interessenvertretung also ausdrücklich wieder eine gewichtige Rolle.

Mögen die ersten Auslandseinsätze der Bundeswehr noch als humanitäres Engagement beschönigt worden sein, ist die Bundeswehr zudem spätestens seit Afghanistan auch ein Instrument der militärischen Absicherung deutscher Machtinteressen geworden (»Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt« ehmaliger Verteidigungsminister Struck 2002). Dies hat sowohl die Militarisierung deutscher Außenpolitik als auch eine geographische Entgrenzung der Einsatzgebiete der Bundeswehr zur Folge.

Derzeit ist die Bundeswehr im Rahmen verschiedener EU-, NATO-, und UN-Einsätze in den Regionen Afghanistan, Usbekistan, Kosovo, Horn von Afrika, Libanon (mit Seegebiet), Mittelmeer, Bosnien-Herzegowina, Südsudan, Sudan, und Demokratische Republik Kongo tätig. Die Ursachen für diese Einsätze sind oft eng an Wirtschaftsinteressen Deutschlands gebunden. Statt die konkrete Verbesserung von Lebensbedingungen als Ziel zu haben, wird in den Aufbau von militärischer Repression zur Stabilisierung des Welthandels investiert. Ein Beispiel hierfür ist die EU-Mission EUNAVFOR Atalanta. Der Militäreinsatz am Horn von Afrika soll zur Bekämpfung somalischer Piraten beitragen. Piraterie wird dabei nicht als Folge der Verarmung der somalischen Bevölkerung verstanden, sondern als ein spezifisch somalisches Problem des »gescheiterten somalischen Staates« betrachtet. Dass die europäische Fischerei- und Wirtschaftspolitik durch die schonungslose Ausbeutung der Fischgründe vor den Küsten Somalias ursächlich für die bestehende Situation ist, wird dabei ausgeblendet. Statt sich auf diese wirtschaftlichen Ursachen der Piraterie zu konzentrieren, findet eine Militarisierung der Region durch militärische Aufrüstung regionaler Parteien statt: Beschuss der Schiffe und Piratenbasen an Land durch Atalanta-Einheiten, Ausbildung und Aufrüstung der Küstenwache in den umliegenden Regionen, Ausbildung von Sicherheitskräften durch europäische Trainings- und Unterstützungsteams und Ausbildung von Soldaten der somalischen Übergangsregierung (TFG).

Die Bundeswehr wird aber nicht nur im Ausland eingesetzt, sondern auch im Inneren. Bislang wurden, ob bei NATO- oder G8-Gipfeln oder internationalen Sportereignissen wie der FIFA-Weltmeisterschaft 2006, AWACS-Aufklärungsflugzeuge mit Soldaten an Bord genutzt. Bundeswehrsoldaten arbeiten der Polizei zu und stellen häufig die logistische Unterstützung sowie die militärischen Aufklärungskapazitäten bei Großereignissen bereit. Seit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im letzten Jahr ist nun auch die Anwendung militärischer Mittel, unter der sehr schwammig formulierten Voraussetzung von »Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes«, erlaubt. Damit erweitert die Regierung auch im Inland kontinuierlich ihren Handlungsspielraum.

Praktisch führte die Neuorientierung der Bundeswehr zur Abschaffung der Wehrpflicht und damit zum Aufbau einer Berufsarmee, die effizienter für Auslandseinsätze genutzt werden kann. Der Streitkraftetyp einer Interventionsarmee erfordert spezialisiertere Soldaten als Wehrpflichtige (bezüglich Ausbildung, Fähigkeiten, Struktur und Beherrschung neuer Waffensysteme). Wehrpflichtige durften zudem nicht in Auslandseinsätze geschickt werden. Zusätzlich wird seit Jahren in moderne Militär- und Kampfausrüstung investiert, wie bspw. Drohnen, schwer ortbare U-Boote sowie Eurofighter (Flugzeuge, die Bodenziele angreifen können). Eine Einsparung im Rahmen der Bundeswehrreform hat nicht stattgefunden, die Kosten steigen im Gegenteil weiterhin an (31,68 Milliarden im Jahr 2012, für 2016 sind 32,5 Milliarden vom Bundeshaushalt eingeplant; das Haushaltsdefizit Erfurt ist derzeit 0,15 Milliarden).

4. Werben fürs Sterben
Durch die Abschaffung der Wehrpflicht und den Mangel an Zeit- und Berufssoldaten findet seit Jahren eine aggressive Werbeoffensive der Bundeswehr an Schulen und Hochschulen sowie in Zeitungen, Zeitschriften, sozialen Netzwerken als auch auf dem Arbeitsamt und auf Berufs- und Ausbildungsmessen statt. So hat in Erfurt im November 2012 ein Karrierezentrum eröffnet, das der Anwerbung und Rekrutierung von menschlichem Kanonenfutter dient. Auch an weiteren Orten Erfurts zeigt die Bundeswehr diesen Monat verstärkt Präsenz: Am 14. Januar spricht die Bundeswehr an der Schule IGS-Erfurt interessierte Schüler_innen aus allen Jahrgängen an; am 26. und 27. Januar nimmt die Bundeswehr an der Studien- und Berufsberatungsmesse »Horizon« an der Universität Erfurt und vom 02. bis 10. März an der Thüringen Ausstellung (auf dem Messegelände) teil.

Es ist anzumerken, dass in Deutschland besonders ökonomisch benachteiligte Menschen in die Armee eintreten, oft mangels akzeptabler Alternativen. Auf die mangelnde Popularität der Bundeswehr in der Öffentlichkeit, zum Beispiel des Afghanistaneinsatzes, wird politisch mit der Etablierung eines neuen Heldenkultes reagiert: Die Verleihung von Tapferkeitsmedaillen, öffentlichen Trauerfeiern und Gelöbnissen hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Ziel ist die gesellschaftliche Akzeptanz und Unterstützung der Bundeswehr und ihrer Soldaten zu stärken.

5. Der Soldat: Gehorsam und Konstruktion von Männlichkeit
Die innere und äußere Gewaltanwendung des Staates durch Polizei und Militär erfordert Menschen, die die Fähigkeit zur routinierten Gewaltanwendung lernen müssen. Die Ausbildung beruht auf dem systematischen Erlernen von Gehorsam, Abhärtung und Empathielosigkeit – durch militärische Disziplinierung wird erlernt, auf Befehl zu töten.

Zwar sind der institutionellen Gewalt Grenzen gesetzt (z.B. durch Kriegsrecht), eine exakte Kontrolle der Art der Gewaltausübung ist jedoch allein schon deshalb nicht möglich, weil Gewalt per se Grenzüberschreitung bedeutet. Konkrete Konsequenzen im Krieg sind neben der Inkaufnahme von zivilen Opfern Praktiken wie sexualisierte Gewalt, Vergewaltigung, Folter, usw.

In Deutschland entwickelte sich die Wehrpflicht für Männer im 19. Jahrhundert parallel zur Erlangung des Bürgerstatus – vom beiden Bereichen (Soldatentum und Staatsbürgertum) waren Frauen zunächst kategorisch ausgeschlossen: Die binäre Geschlechterlogik erwies sich somit auch an diesem Punkt als zentrales gesellschaftliches Organisationsprinzip. Einerseits schafft das Militär die Möglichkeit, dass Männer sich im Konstrukt Männlichkeit durch die exerzierte Vaterlandsverteidigung beweisen, andererseits findet damit zugleich eine Abgrenzung von der Frau als das Andere, Weibliche und Schwache statt.

Bilder von Weiblichkeit sind auch heute ein wichtiger Faktor für die Herstellung militärischer Männlichkeit. So dient zum Beispiel das Bild der sexuell attraktiven Frau der heterosexuellen Männlichkeitsinszenierung. Außerdem kann die Aufgabe des Schutzes der Frauen als Sinnbild der zu schützenden Nation und des Zivilen als Legitimation des Kriegseinsatzes und des militärischen Auftretens gelten. Hinzu kommt die Abgrenzung vom Kriegsgegner als »unzivilisierten Anderen«, der sowohl für Soldatinnen als auch für Frauen der Zivilbevölkerung eine Bedrohung durch die Gefahr der Vergewaltigung darstellen soll. So findet vor allem in Auslandseinsätzen eine Retraditionalisierung von Geschlechterverhältnissen statt. Sexualisierte Gewalttaten werden in allen Kriegsgebieten begangen. Vergewaltigungen, Zwangsprostitution oder sexuelle Erniedrigungen, auch von männlichen Feinden, sind grausame Realität bewaffneter Konflikte – ob als systematische Methode der Kriegsführung oder Begleiterscheinung von Krieg. Einen Erklärungsansatz bieten eben diese patriarchalen und von Gewalt geprägten Männlichkeitsbilder: Durch die Erniedrigung der gegnerischen Zivilbevölkerung sollen Besitz- und Herrschaftsansprüche (zum Beispiel Verfügungsgewalt über die »eigenen Frauen«) gebrochen werden.

Die klassischen Werte des Soldatentums – Pflicht, Treue, Tapferkeit, Kameradschaft, aggressive Kampfbereitschaft, Härte, Opferbereitschaft – tragen so zu der Konstruktion eines Männlichkeitsideals bei, welches sich vor allem durch Gewalt herstellt. Kein Wunder, dass die Einübung von Hierarchie unter den Soldaten und männerbündische Traditionen wie exzessives Trinken, Ekelmutproben, Homophobie und Sexismus zum Alltag der Bundeswehrsoldaten gehören.

6. Fazit
Erfurt wird durch die Eröffnung des Logistikzentrums als Bundeswehrstandort ausgebaut. Während die Politik dies als Prestigegewinn zugunsten der Stadt wertet, freuen wir uns nicht. Wir wollen kein Militär, nicht in Form von Soldaten oder Verwaltungsapparaten, von Waffen oder Schreibtischen!

Die Militärpolitik der Bundesregierung stinkt uns gewaltig: Im Rahmen der Krise werden Leistungen im Sozialen, Bildungs- und Kulturbereich gekürzt, die Ausgaben für die Bundeswehr werden jedoch im Zuge der Bundeswehrreformen erhöht. Anstatt in zivile Konfliktlösungen zu investieren, findet eine Militarisierung der deutschen Außenpolitik statt, die sich neben den verheerenden Konsequenzen für die Zivilbevölkerung in den Einsatzgebieten auch im Inland niederschlägt. Wir haben keinen Bock auf Soldatenkult, soldatischen Männlichkeitswahn, Homophobie, und Sexismus. Die Bundeswehr hat an Bildungseinrichtungen, auf dem Arbeitsamt und auf Berufsmessen nichts zu suchen! Jedoch kann uns der Kampf um ein Mehr oder Weniger der Militarisierung deutscher Außen- und Innenpolitik nicht genügen. Militär schützt keine Menschenleben, sondern stellt Menschen als Kriegsgegner_innen in der Konkurrenz zwischen Staaten um die Vorherrschaft in Regionen, die wirtschaftlich oder politisch von Bedeutung sind, gegenüber. Daher muss eine kritische Auseinandersetzung mit Krieg zu Fragen der Staatskritik und Kritik der kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse führen. Der Standortkonkurrenz auf internationaler Ebene setzen wir die antinationale Solidarität und das Ziel der Aufhebung von kapitalistischen Interessensgegensätzen und (zwischenstaatlichem) Konkurrenzkampf durch die Abschaffung von Nation, Kapital und Patriarchat entgegen. Wir lehnen die weltweit herrschenden, gewalttätigen kapitalistischen Verhältnisse ab, die den Krieg immer wieder aufs Neue hervorbringen. Wir sind gegen die brutale Ausbeutung und Unterdrückung eines Großteils der Menschheit, die eben auch kriegerisch durchgesetzt wird.

Wenn du Lust hast, dich weiter zu informieren, hier einige Links:
Informationsstelle Militarisierung e.V. | AG Friedensforschung | Bundeswehr wegtreten | Braune Zone Bundeswehr – Informationen über rechte Tendenzen in und um die Truppe

Ein Flugblatt von LiSE (lise.blogsport.de), der Flüchtlingsinitiative Erfurt, dem Infoladen Sabotnik (sabotnik.blogsport.de) und Einzelpersonen im Januar 2012.

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