Zu einer antifaschistischen Demonstration unter dem Motto “Der Frust muss raus! Konsequent handeln gegen Nazis, Rassismus und staatliche Repression!” versammelten sich am Samstag, den 13. Oktober, über 500 Personen in der Erfurter Innenstadt. Organisiert und vorbereitet wurde die Demo von Gruppen aus dem Umfeld des politischen Ladenprojekts „veto“ im Erfurter Norden, darunter AG17, widerdienatur, LiSE, Infoladen Sabotnik, allerhand Einzelpersonen und „Rassismus tötet!“-Erfurt.
Ausgehend von einer zunehmenden Anzahl an Übergriffen von Nazis gegen Migrant*innen, Punks und Linke staute sich bei Betroffenen, Unterstützer*innen und Sensibilisierten eine Menge Frust. Ursächlich dafür ist ebenfalls das Verhalten der Polizei, die in günstigen Momenten im wahrsten Sinne des Wortes einfach mal zuschlägt, und Behörden, die die Szene mit Repression überziehen. Auch die Stadt macht per Verordnungen immer wieder deutlich, wer erwünscht ist und wer nicht.
Der Redebeitrag der Frust-Demo-Vorbereitungsgruppe stellte diese Situation dar, zeigte aber auch auf, warum dies so passiert: Das herrschende Klima in der Stadt begünstige das offene Auftreten von Nazis und das Durchführen ihrer politischen Aktionen. Diese registrierten auf vielen Ebenen, dass ihr Handeln keine Konsequenzen nach sich ziehe. Antifaschismus müsse in dieser Situation zweierlei heißen. Zum einen konkreten Widerstand gegen Nazis zu leisten, um ihre Handlungsmöglichkeiten einzuschränken und ihnen ihre Räume streitig zu machen. Dabei dürfe sich aber nicht auf das Handeln von Staat und Behörden verlassen werden. Und andererseits müsse Antifaschismus auch heißen, sich die gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen zu vergegenwärtigen und in die Kritik zu nehmen.
Die angemeldete Demonstration begann mit einer Auftaktkundgebung um 16 Uhr auf dem Wenigemarkt, wo zahlreiche Passant*innen und Tourist*innen den „Frustrierten“ zuschauten. Mittels Transparenten, Schildern, einer heiteren Moderation und einem von Unterstützer*innen produzierten Demo-Song (http://soundcloud.com/querbeatrecordz) konnte die Stimmung jedoch gehoben werden, auch wenn sie nicht an diese der einprägsamen Hände hoch-Haus her-Demos heranreichte. Spätestens seit der Räumung des Besetzten Hauses im Jahr 2009 wurde deutlich, dass Subkultur und emanzipatorische Politik im weißen, deutschen und angepassten Erfurt keinen Platz finden – an diesem Samstag wurde sich dieser durch die Demonstration genommen.
Am Fischmarkt angekommen zeigte sich die unerwartete Größe der Demo. Nur mit Mühe konnten die Straßenbahnschienen freigehalten werden. An dieser Stelle verlas die Erfurter Flüchtlingsinitiative ihren Redebeitrag, der eindringlich auf die rassistischen Polizeikontrollen in Stadt und Bahnhof hinwies. (Die Unterstützung von kämpfenden Flüchtlingen ist in Erfurt schon länger Thema.) Das Thema Rassismus wurde jedoch auch aus gesellschaftstheoretischer Perspektive aufgegriffen: Der Redebeitrag der Erfurter Gruppe der „Rassismus-tötet!“-Kampagne analysierte Rassismus im Rahmen der kapitalistischen Konstitution dieser Gesellschaft und fügte historische Betrachtungen bei. Die Antifa Arnstadt-Ilmenau verhielt sich mit ihrem Redebeitrag kritisch, aber solidarisch zur Demonstration. Sie wiesen daraufhin, dass Rassismus ein gesellschaftlich notwendiges Verhältnis sei, dem nicht durch eine Aufklärung beizukommen ist. In diesem Zusammenhang muss sich der Kreis der Vorbereitenden zu recht danach fragen lassen, mit welchem Anspruch man an diesem Tag auf die Straße gegangen ist und ob dieser sich eingelöst hat.
Nach weiteren Zwischenkundgebungen in der Stadt, welche teils an Orten von Übergriffen, wie dem Anger, stattfanden, musste die Demonstrationsroute, aufgrund der hohen Teilnehmer*innenzahl verändert werden. Anstatt sich hinter der Krämerbrücke zu versammeln um dort eine weitere Zwischenkundgebung abzuhalten, delegierte das Ordnungsamt die Demonstration zurück zum Wenigemarkt. Damit wurde sich jedoch nicht zufrieden gegeben. Spontan zog der Demonstrationszug über die enge Krämerbrücke und erhielt von überraschten Anliegern sympathisierende Zurufe. „Wandelt Frust in Widerstand!“, ein Slogan der Demonstration, wurde im kleinsten Maße wirkmächtig, indem sich die Teilnehmer*innen ihren eigenen Weg durch die Stadt suchten – der Lauti holte die Menge nach einem kleinen Umweg wieder ein. Im Anschluss konnten die letzten beiden Kundgebungen stattfinden.
Der letzte Redebeitrag von der Unterstützungsgruppe eines Antifaschisten, der Betroffener eines Naziangriffs war und von der Polizei angeklagt wurde, betonte ein letztes Mal eine Hauptbotschaft der Demonstration: “Antifaschistischer Selbstschutz ist in Erfurt notwendig!” Die Moderation wies nochmals daraufhin, dass diese Demonstration nur ein Anfang bzw. Teil des Kampfes gegen Rassismus, Sexismus, Nationalismus und Antisemitismus sein kann auf dem Weg in eine, noch so ferne, solidarische Gesellschaft.
In diesem Sinne kündigten die vorbereitenden Gruppen der Frust-Demo eine Reflexion an, die sich kritisch mit dem eigenen Anspruch und dessen (Nicht-)Einlösung auseinandersetzen soll. Wir freuen uns auf anregende Gedanken zur Frage, welcher Bedeutung der Aktionsform „Demonstration“ in einer derart ideologisch gefestigten Gesellschaft noch zukommen kann.
Weiterhin wurde für November eine Broschüre angekündigt, die sich mit den aktuellen Entwicklungen auseinandersetzt, diese dokumentiert und Betroffene sowie Akteur*innen zu Wort kommen lässt.
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Video der Filmpiraten: