800 wollen nicht Papst sein in Erfurt
Schon auf dem Weg zur Demo unter dem Motto „Heidenspaß statt Höllenangst“ sieht man, dass sich nicht alle auf den hohen Besuch freuen: Diverse Papst-Plakate sind mit Teufelshörnern oder Comic-Augen verschönert, Aufkleber sagen „Lieber 1000 Gurus als einen Papst“ (Wirklich?) Der Ort der Auftaktkundgebung ist schon eine Stunde vor der Demo voll: Massig Polizei steht gelangweilt herum, dazu gibt es ein Zelt, dass den zahlreichen TouristInnen Thüringen schmackhaft machen soll. Der Tourismusverband beteilige sich am Heidenspaß und verkauft ketzerische „Ratzefummel“, um kleine Bleistift-Sünden zu entfernen — ein klares Sakrileg.
Nach und nach füllt sich der Platz. Die Demo ist eine richtige Familiendemo, zwar ist die Spitze ziemlich schwarz und jung, aber schon etwas weiter hinten findet man alle Altersgruppen und Milieus. Viele Leute haben sich verkleidet oder kreative Winkelemente mitgebracht — wie eine Gruppe junger Leute, die mit einer Papst-Handpuppe und roten Fahnen mit einem weißen Häschen drauf demonstrieren.Es gibt fliegende Kondome, viele selbstgebastelte Schilder, Spruchbänder und Plakate. Die Giordano-Bruno-Stiftung verteilt Flugblätter, ebenso wie das Bündnis Heidenspaß statt Höllenangst und wi(e)derdienatur. Über allem schweben mehrere Fliegende Spaghettimonster. Zum Auftakt gibt es den Redebeitrag des Bündnis und eine Grußnote aus Berlin.
Als die Demo ca. 18.30 losgeht, sind ca. 800 Menschen vor Ort. Die Polizei weist besorgt darauf hin, dass so viele nicht auf den Platz für die geplante Abschlusskundgebung passen und bittet darum, den Aufzug vorzeitig auf dem Anger zu beenden. Wieso die Polizei dann in ihrer Pressemitteilung von 400 DemonstrantInnen redet, ist schlichtweg nicht zu verstehen — die hätten nämlich auf den Platz gepasst. Aber was soll’s.
Vor der Staatskanzlei gibt es einen weiteren Redebeitrag aus dem Kreis den Bündnis, der sich gegen die starken Verflechtungen von Kirche und Staat gerade in Thüringen wendet. Danach gibt es einen weiteren, längeren Beitrag aus Berlin, der mit „Der Papst ist ein Nazi“ beginnt und in dieser Preisklasse zehn Minuten weitergeht: „Der katholische Vollirre [..] ist nach Adolf Hitler und Mario Barth der dritte Deutsche Kabarettist, der das Olympiastation voll kriegt“ — außerdem sei der Besuch zu teuer. Beide Redebeiträge werden nicht nur positiv aufgenommen: „Ich wäre auch gegen einen laizistischen Staat“ meint eine Person zum ersten, nach dem zweiten beschwert sich eine Demonstrantin: „Diese Hasstiraden müssen aber nicht sein.“
Auch wenn die Demo nicht die lauteste ist, gibt es Sprechchöre: „Staat, Nation, Religion — Scheiße“, „Kondome für alle – und zwar umsonst“, „Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat“, „Vatikan, Gottesstaat, wir haben Dich zum Kotzen satt“, etc. „Nicht gerade ein Heidenspaß. Es hätte schon mehr Stimmung sein können.“ meint eine Demonstrantin vor der Abschlusskundgebung. Aber es gibt noch einen Erlass der wi(e)dernatürlichen Eminenzen, der wegen der verzerrten Stimme nicht sonderlich gut zu verstehen ist. Die Linksjugend kritisierte danach realpolitisch den Papstbesuch — hohe Kosten, Trennung von Kirche und Staat, etc. Als Abschluss gibt es eine begeistert aufgenommene Einladung zur Soli-Party für den Kirchenaustritt — „Du willst raus — wir helfen Dir!“ — morgen (24.9.) nach den Protesten ab 18 Uhr im Jugendbüro Redroxx.
Als letztes spricht Undine Zachlot vom ver.di-Frauenrat und macht nochmal richtig Stimmung. Das Abschieben von Verantwortung auf ein höheres Wesen und die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod weist sie von sich und besteht darauf, dass die Menschen selbst im hier und jetzt für ein gutes Leben streiten sollen. Aus gewerkschaftlicher Sicht kritisiert sie die arbeiterInnenfeindliche Rolle, die der Arbeitgeber Kirche nach wie vor mit staatlichem Segen einnimmt. Die Rede endet mit „Alle Frauen sind klug, schön und stark und brauchen keinen Papst“. Danach gibt es nur noch Musik und den Aufruf, morgen wieder zu kommen und an der religionsfreien Zone teilzunehmen.

Wie
Die Kampagne 
Zwischen 27.08. und 15.09.11 sind bisher vier bekannte neonazistische Veranstaltungen in Thüringen geplant.
Gesellschaft und Gemeinschaft sind zwei vor allem in Deutschland heiß diskutierte Begriffe dafür, wie sich Menschen aufeinander beziehen bzw. beziehen sollten. Das Ideal der Gemeinschaft bedeutet, dass Menschen empathisch miteinander umgehen, einen gemeinsamen Willen entwickeln, kollektiven Ansätzen nachgehen und teilen statt tauschen. Der Gegenbegriff „Gesellschaft“ setzt hingegen auf den Konflikt, die Differenzierung und darauf, sich funktional, kühl und abschätzend aufeinander zu beziehen. Man könnte ganz vereinfacht sagen, Arbeit ist Gesellschaft, Familie ist Gemeinschaft.
Gezählt 60 Leute haben heute in Erfurt anlässlich der
Mehrere Redebeiträg thematisierten aus unterschiedlichen Blickwinkeln die aktuellen Vorgänge. Ein JG-Soli-Kommitee sprach vor allem aus der Position, den Rechtsstaat gegen seine eigenwillige Auslegung durch die sächsischen Behörden zu schützen. Die Antifa Arnstadt fordert gleich zu Beginn ihres Beitrags „die rücksichtslose Kritik alles Bestehenden“ und führt dann aus, was am derzeit aktiven staatstragenden Antifaschismus und seiner naiven Haltung zum bürgerlichen Staat kritikwürdig ist. Weiter wurde ein Beitrag der AG17 verlesen, der weitgehend dem

Antifaschismus ist notwendig, nicht kriminell! Hände weg von unserem Lauti(-fahrer)!

Mit dem Statement „Es ist nunmal so in Gera“ eröffnet der Anmelder die Demo am Vorabend des „Rock für Deutschland“. In Gera ist es nunmal so, dass man schon als linksradikal gilt, wenn man das Grundgesetz zitiert. Entsprechend hat das Ordnungsamt kurzfristig die schon seit Monaten angemeldete Demoroute geändert, so daß die Abschlusskundgebung nicht wie geplant auf der Spielwiese stattfinden darf. Die Ordnungsbehörde befürchtet Vandalismus — von wem, ist unklar.
Bei der Abschlusskundgebung spricht die Thüringer Sozialministerin Heike Taubert und sagt, dass in Deutschland seit 66 Jahren Frieden herrsche und die Wehrhafte Demokratie wachsam gegen den 
Mensch kennt das: Kaum sagt jemand Anarchie, erwiedert wer anderes „Das geht doch sowieso nicht“. Womit die Diskussion sogleich ins Reich der Hypothesen und Visionen verwiesen wäre — wenn es nicht gleich darum geht, sich darüber zu streiten, ob Machbarkeit nicht schon ein Problem per se ist. Als Beleg für die konkrete Machbarkeit anarchistischer Entwürfe zieht mensch dann vielleicht noch die Machnowstschina oder Spanien 1936 heran. Wissen darüber, wann und wo Menschen sich entschlossen haben, ohne Staat und Herrschaft zu leben und wie sie dann ihre Angelegenheiten geregelt haben, gibt es kaum.