Tanz, Burschi, Tanz — Proteste gegen den Coburger Convent

„Hier hat man ein ebenso feines Gespür für Tradition wie für Innovation“ heißt es auf der Webseite der fränkischen Kleinstadt Coburg. Die Tradition ist, daß sich hier jedes Jahr zu Pfingsten hunderte Studenten verkleidet in der Öffentlichkeit betrinken. Die Innovation ist, daß seit einigen Jahren nur mit einem massiven Polizeiaufgebot die Sicherheit der Veranstaltung gewährleistet werden kann.

Coburg ist eine saturierte westdeutsche Kleinstadt. Samstag morgen sind die BürgerInnen beim Einkaufsbummel. Was das Bild stört, sind nervöse Polizisten, die mit Mannschaftswagen durch die Fussgängerzone fahren — im Minutentakt. Grund der Aufregung sind ca. 300 DemonstrantInnen, die sich auf dem Schlossplatz gesammelt haben, um gegen den Coburger Convent zu demonstrieren. Auch die Gegenseite ist anwesend. Leicht angesäuselt posieren Verbindungsstudenten großkotzig1 mit Bierkrügen am Rande der Auftaktkundgebung. Die ersten Äußerungen aus dem Lauti betonen, daß es bei der Demonstration um eine legitime politische Meinungsäußerung geht. „Unnötig“ findet das ein älterer Bürger am Rand. Der Coburger Convent stört ihn nicht, er sagt, die Burschen würden heute nicht mehr viel Unfug machen, aber Geld in die Stadt bringen — anders als man es offenbar von der Demonstration erwartet. Weil im letzten Jahr aus der Demo eine Bierflasche geflogen war, befürchtet man hier, daß es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommt. Wie defensiv die Demo mit dieser Erwartungshaltung umgeht sieht man, als die provozierenden Burschis immer näher kommen. Zwei Streifenpolizisten schicken sie vom Platz: „Ihre Glasgefäße stellen eine Provokation dar“. Die Demo applaudiert.

Ich frage ein paar GRÜNE — fast die einzigen, die nicht komplett in schwarz gekommen sind –, warum sie hier sind. Neben Sexismus, Homophobie und Elitenbildung fällt ihnen vor allem ein, daß die Burschis demonstrativ in der Öffentlichkeit saufen. Das hat in Coburg eine besondere Brisanz, da die Stadt sonst eine Ordnungspolitik fährt, die den öffentlichen Alkoholkunsum sanktioniert. Gerade ein paar Tage ist es her, daß gegen die „School’s out-Party“ am letzten Schultag ein riesiger Park von der Polizei abgesperrt wurde. Dutzende Jugendliche hatten Anzeigen kassiert. Aber an Pfingsten ist Saufen in Coburg Kulturgut, kein Ärgernis. Viele Leute über 30 sind nicht auf dem Platz. Eine der wenigen Älteren meint: „Die Leute sagen: ‚Ihr habt ja recht‘, trauen sich aber nicht, auf die Demo zu kommen – ‚Wenn die Nachbarn mich sehen, werd‘ ich hier nicht mehr glücklich.'“ Das scheint die Stimmung ganz gut zu treffen. Mindestens der Hälfte der BürgerInnen am Rande der Demo ist die Abscheu ins Gesicht geschrieben. Zwei rotgesichtige Männer zerknüllen demonstrativ Flugblätter. Die Autofahrer, die wegen der Demo drei Minuten an der Kreuzung warten müssen, drehen trotz hochsommerlicher Temperaturen die Scheiben hoch, damit sie nichts von der Demo hören.

Die Stimmung in der Demo ist trotzdem gut und vor allem gelassen. Obwohl die Polizei keine Gelegenheit auslässt, Vorurteile gegenüber bayerischen Beamten zu bestätigen, reagieren die DemonstrantInnen besonnen auf Schikanen und Rempeleien, auch als aus einer Kneipe heraus eine Demonstrantin getreten wird. Vorne läuft Punkmusik, hinten Techno. Redebeiträge thematisieren Sexismus, Homophobie und Männerbünde.

In der Nähe vom Bahnhof gibt es eine lange Zwischenkundgebung, bei der ein szenischer Dialog die Lage in Coburg zum Ausdruck bringt: Obwohl ein breites Bündnis gegen den CC aufruft, war niemand in Coburg bereit, ein Ladenlokal für den Infopunkt über Pfingsten zu vermieten. Der städtische Jugendclub hat von vornherein abgelehnt, seinen Jugendlichen Räume hierfür zur Verfügung zu stellen. Schon vereinbarte Vermietungen wurden abgesagt, nachdem der Staatsschutz die Besitzer angerufen hatte. Einzelpersonen aus dem Vorbereitungskreis wurden offen observiert. Als letztes musste der im Rahmen der Proteste geplante Stadtrundgang „Coburg im Nationalsozialismus“ ausfallen, weil der Stadtführer nicht mit den Gegenprotesten in Verbindung gebracht werden wollte. Als Sahnehäubchen ist dann bei der Demo außer den GRÜNEN kein Mensch von den bürgerlichen BündnispartnerInnen. Die szenische Lesung endet damit, daß 300 Jugendliche, davon sicherliche viele aus Coburg, rufen: „Coburg-Hass, Coburg-Hass, Coburg, Coburg, Coburg-Hass, Hass, Hass“. Die Webseite der Stadt sagt übrigens: „In Coburg versteht man es, [..] vorzüglich zu leben“.

Ich frage eine Reporterin der Lokalpresse, ob die Stimmung in der Stadt wirklich so fanatisch gegen die Proteste ist, wie es scheint. Sie überlegt und verneint. Im letzten Jahr sei der Rahmen der Proteste zu unklar gewesen. Dieses Jahr nehme das ganze langsam Form an. Ich frage nach, ob das bedeutet, daß Verbände und Parteien mit im Boot sitzen und erfahre, daß hier der Knackpunkt liegt. Protest alleine im Rahmen des Versammlungsrechts ist in Coburg scheinbar nicht legitim. Aber selbst wenn IG Metall, die GRÜNEN, der Bildungsstreik und die Partei „Die Linke“ zumindest formell beteiligt sind, geht das ganze vielen Bürgern zu weit. Vor allem die schon erwähnte Sorte rotgesichtiger Männer sind erbost darüber, daß es Leute gibt, die es sich einfach herausnehmen, dagegen zu sein. „Von den Linken nehme ich nichts“ meint der eine, während ein Rentner in aus einem Cafe aufgeregt in Richtung der Demo schimpft, sich dabei verschluckt und von seiner Gattin beruhigt wird. Mein Eindruck ist tatsächlich, daß die Reaktion auf die Demo und die verteilten Flugis alters-, klassen- und geschlechtsspezifisch funktioniert: Vor allem Frauen, junge Leute, und diejenigen, die nicht nach viel Geld aussehen, nehmen Flugblätter und wirken interessiert. Kein Wunder, der Convent ist ein Männerbund. Wer hier mitmacht, will zur Elite von morgen gehören — und sagt das auch: „Ich brauch‘ ja später Leute, die mein Auto putzen“ pöbelt einer der Studenten vom Rand.

Kurz vor dem Ende kommt die Demonstration auf den Markt in der Stadtmitte. Hier sind die Burschen in der Masse präsent. Es ist mittlerweile Nachmittag, die Sonne brennt auf die Besatzung der Biertischgarnituren. Die Demo belegt die linke Hälfte des Platzes, dann kommt eine lose Polizeikette, dann die Burschen. Ich rede mit einem Verbindungsstudenten. Er meint, der CC sei mittlerweile „ziemlich genervt“ davon, daß man sich jedes Jahr wieder gegen die Vorwürfe verteidigen zu müssen, daß man ein elitärer, sexistischer, homophober Männerbund sei. „Völlig aus der Luft gegriffen“, wie er meint. Leider ist die Anlage der DemonstrantInnen für den großen Platz viel zu klein, sodaß man jenseits der Demo kaum was versteht. Der Eindruck von Außen ist: „Wir sind dagegen“ — nun, dafür gibt es viele gute Gründe in Coburg.

Die Polizei liefert zum Ende der Demo einen weiteren: Der Lautsprecherwagen wird, kaum daß er die Demo verlassen hat, komplett mit FahrerInnen mit zur Polizeiwache genommen, da der Verdacht besteht, das Auto2 könne geklaut sein. Die Begründung für diese Massnahme: Die Halterin war nicht anwesend. Wie so oft wissen alle Beteiligten, daß die Maßnahme Schikane ist und Kleinstadtpolizisten hier ihre Macht ausspielen. Und das hat System, nicht nur von der Polizei aus: Schon im letzten Jahr hatte die Ordnungsbehörde im Auflagenbescheid Seitentransparente verboten. Die Klage dagegen war 2009 erfolgreich. In diesem Jahr stand die Auflage wieder im Bescheid. Aber so ist das halt: ähnlich wie in Thüringen scheint Coburg erst halb zivilisiert. „Coburg spannt den Bogen zwischen Geschichte und Moderne“, wie es auf der Homepage der Stadt heißt.

Nach der Demo schlendern wir durch den Hofgarten. Hier steht ein fettes Denkmal für „Ehre, Freiheit, Vaterland“, das Motto des Verbandes, der es für „völlig aus der Luft gegriffen“ hält, daß man seinen Nationalismus kritisiert. Ein paar Meter weiter steht das nächste Denkmal: für die „Unvergessene Heimat“ — das Sudentenland, Schlesien, Pommern. 1998 wurde das große Denkmal umgeworfen, im letzten Jahr bemalt. Dieses Jahr ist alles sauber. In der Innenstadt steht vor jedem zweiten Haus eine Birke als Symbol dafür, daß die Burschen willkommen sind.

In einem der Hotels, in dem die alten Herren untergebracht sind, steht die Figur eines dienstbaren Mohren in der Lobby. Er trägt eine Mütze und bunte Farben, allerdings kein Schwert. Es ist völlig klar, wer in der Bildsymbolik oben und wer unten steht, wer fechtet und wer bedient, wer zur Herrenrasse gehört und wer eine Witzfigur ist. Aber es ist „völlig aus der Luft gegriffen“, daß diese Darstellungen etwas mit Rassismus zu tun haben.

Gegen Abend wird es dann richtig unangenehm. Die Burschis sind mittlerweile gut abgefüllt und machen mit ihrer Präsenz den Öffentlichen Raum voll. Vereinzelt machen sich Leute aus dem Spektrum der GegendemonsrantInnen die Mühe, mit ihnen zu sprechen. „Die faulen Hartz4-Leute sollen nur kommen“ grunzen betrunkene Nachwuchsakademiker. Die ganz abgefüllten wollen sich prügeln, werden aber von CC-Ordnern zurückgehalten — anscheinend ging die Parole an die Studenten, nicht negativ aufzufallen. Gerüchteweise hören wir, daß sich einzelne GegendemonstrantInnen erfolgreich auf Mützenjagd begeben haben.

Auf dem Heimweg sehen wir vor einer Kneipe geschätzte 100 Burschen und Alte Herren mit glasigen Augen und teilweise sabbernd um 12 jungen Frauen herumstehen. Die Frauen tanzen im eng anliegenden Gymnastik-Dress zu 90er-Jahre Disco-Musik. Es ist völlig klar, wer hier zum Objekt von Männerphantasien gemacht wird und wer sich daran aufgeilt. Aber der Vorwurf, der Coburger Convent sei ein sexistischer Männerbund ist natürlich „völlig aus der Luft gegriffen“.

Die GegendemonstrantInnen lassen sich den Protest trotz widrigster Umstände nicht verleiden: Am Sonntag gibt es eine Reclaim-the-Streets-Party. Am Anfang wird die „Freie Sozialistische Republik Hofgarten“ ausgerufen, dann ziehen 40 Leute mit Techno und Luftballons durch die Innenstadt. „Tanz, Burschi, Tanz“ wird den verkaterten Studenten zugerufen, es werden antisexistische Plakate geklebt. Touristengrüppchen freuen sich. Es gibt sogar Einzelne, die sich dem Aufzug anschließen.

Morgen (Montag) Nacht findet der traditionelle Fackelmarsch der Burschis durch die Coburger Innenstadt statt. Es ist „völlig aus der Luft gegriffen“, an Alte Zeiten zu denken, wenn Deutsche Männer uniformiert mit Fackeln durch die Nacht laufen und das Deutschlandlied singen.

Aber letzten Endes können die spießigen Männerbünde nicht auf Dauer ihre Dominanz behalten. Gerade die Herren mit dem hochroten Kopf müssen irgendwann auf ihr Herz achten und sich zurückziehen. Die jüngeren Leute aus Coburg wissen: „Coburg ist Scheiße“ und sind entschlossen, dem etwas entgegen zu setzen.

  1. Es ist in diesem Kontext angebracht, darauf hinzuweisen, daß das im übertragenen Sinne gemeint ist. [zurück]
  2. Es handelt sich um einen buntbemalten Bus, der seit Jahren für viele Demos im fränkischen Raum genutzt wird [zurück]


Der schlaue Fuchs denkt frei — Techno-Block auf der Demo gegen den Coburger Convent


Burschenherrlichkeit — junge Akademiker präsentieren sich


Sogar die Blumenkübel sind Elite in Coburg


Plüschburschi


„Unvergessene Heimat“ im Coburger Hofgarten


Flugblatt gegen das Coburger Convent

Utopia Now 2010 – Konferenz zu Utopien

Das Jahr 2010 wurde noch vor 30 Jahren in unzähligen utopischen Romanen, Comic und Filmen schillernd oder grau ausgemalt. Im Osten dominierten Landwirtschaften in den Ozeanen, Weltraumreisen, fliegende Autos – eine Welt ohne Hunger und Kriege. In den westlichen Science Fiction-Werken ging es oft um die Welt nach einem Atomschlag, Angriffe der Aliens oder Kriege im Weltall.
Zwei Dekaden nach dem Ende des realexistierenden Sozialismus in Osteuropa befinden wir uns weiterhin in einer globalen Finanz- und Wirtschaftskrise. Die Auswirkungen tröpfeln langsam in jeden Haushalt. Ist der Kapitalismus in der Krise oder ist es eine Krise im Kapitalismus? Was kommt nach der Krise? Gibt es Ansätze, die uns hoffen lassen? Neue Zeiten für Utopien?

Konferenz Utopia Now 2010 – 28.-30. Mai 2010, Erfurt

Programm und weitere Informationen unter utopianow2010.blogsport.de.

Leben in Thüringen — nicht mit der falschen Hautfarbe

Gestern wurde der in Waltershausen (bei Gotha) lebende Flüchtling Adnan Al-Masharga von der Polizei abgeholt und abgeschoben.

Al-Masharga lebte seit 1999 in Deutschland. Dass er nach mehr als 10 Jahren Aufenthalt immer noch kein Bleiberecht hatte, liegt daran, dass die deutschen Behörden seine Angaben zur Identität und seine Personaldokumente nicht für glaubhaft gehalten haben — bis gestern. Denn die Dokumente, die auf der einen Seite nicht gut genug waren, um ein Aufenthaltsrecht zu begründen, waren ganz offensichtlich hinreichend für die Abschiebung. Wohlbemerkt: Normalerweise kann eine Abschiebung bei Personen erfolgen, deren Identität geklärt ist.

Die nächste Thüringer Spezialität: Die Abschiebung ist auf halbem Wege stecken geblieben. Al-Masharga sitzt derzeit in Jordanien in Polizeigewahrsam, weil sein Ziel, die Westbank, nicht sicher erreichbar ist. Eben wegen der unabwägbaren Reise werden palästinensische Flüchtlinge in der Regel nicht aus Deutschland abgeschoben. Denn die Rechtslage gebietet, dass ein sicherer Reiseweg gewährleistet sein muss, bevor eine Abschiebung erfolgt1.

Für Thüringen sind aber selbst die niedrigen rechtlichen Standarts, die es zum Umgang mit Flüchtlingen gibt, noch zu hoch. Man ist offenbar bestrebt, einen Präzedenzfall zu schaffen und als erstes Bundesland an den aktuellen Gepflogenheiten vorbei einen Flüchtling irgendwohin abzuschieben, nur damit man ihn los ist.

Der Flüchtlingsrat Thüringen schreibt dazu in einer Pressemitteilung: „Offensichtlich hat es […] weder die Ausländerbehörde Gotha, das Thüringer Landesverwaltungsamt noch das VG Meiningen interessiert, wie Herr Al-Masharga überhaupt in die Westbank einreisen können soll“ und weiter: „Es ist ein Skandal, dass Adnan Al-Masharga abgeschoben wurde. Wir fordern die sofortige Rücküberstellung nach Deutschland“.

  1. Mit anderen Worten: Flüchtling dürfen erst nach einer geordneten Rückführung erschossen werden — denn auch das Verwaltungsgericht Meiningen geht in seiner Urteilsbegründung davon aus, daß es in der Westbank „zu Schüssen auf vorbeifahrende Fahrzeuge“ kommt und der Aufenthalt dort nicht sicher ist [zurück]

Coburg: Heraus auf die Straße gegen elitäre Seilschaften

Kotze Was haben CDU&FDP, Asbach Uralt, die Chemie und Pharma-Multis Bayer, BASF und Hoechst, die Allianz-Versicherungen, der Bundesgerichtshof, jede Menge Uni-Präsidien und diverse Ministerien auf Bundes, Landes- und EU-Ebene gemeinsam? In all diesen Institutionen sitzen alte Herren aus den Studentenverbindungen, die sich am kommenden Wochenende zum Coburger Convent treffen. Verbindungen sind institutionalisierte Seilschaften. Hier wird der „kurze Draht“ zwischen Industrie, Politik und Verwaltung gepflegt, denn: „In unsicheren Zeiten bewähren sich gute Verbindungen“, wie es in der Selbstdarstellung des elitären Netzwerks heißt. Seine politische Ausrichtung ist rechtskonservativ mit Schnittmengen zum Faschismus. Das Männer- und Frauenbild ist gruselig. Wenn Burschis feiern, ist das in jedem Sinne zum Kotzen.
Das Aktionsbündnis gegen den Coburger Convent lädt über Pfingsten zu verschiedenen Aktionen gegen das Coburger Convent:

21.05.10, 16 Uhr: Stadtführung „Coburg im Nationalsozialismus“, Treffpunkt Mohrenstraße Ecke Hindenburgstraße
22.05.10, 13 Uhr: Demonstration „Zukunft statt herkunft: Studentische Verbindungen anfechten!“, Schlossplatz, abends Konzert in der Oyle
24.05.10, 9 Uhr: Kundgebung gg. das Heldengedenken, Herzog-Alfred-Brunnen im Hofgarten
24.05.10, 22 Uhr: Kundegbung gg. den Fackelmarsch, Webergasse & Spitaltor

Aus Südthüringen ist es nur ein Katzensprung nach Coburg.

Morgen (Samstag): Platzkonzert vor der Staatskanzlei in Erfurt

Das Philharmonische Orchester des Erfurter Theaters wird morgen, am 15. Mai von 11.00 bis 11.30 vor der Staatskanzlei mit Musik von Mozart, Nicolai und Strauß gegen finanzelle Kürzungen im Kulturbereich demonstrieren. Wir unterstützen das und fordern: Punkrock und Philharmonie für alle und zwar umsonst! Die aktuellen Kürzungen gehen in die entgegengesetzte Richtung: Kein Ort für Punkrock. Philharmonie nur für die wenigen, die’s sich noch leisten können.

8. Mai, Tag der Befreiung: „СТОЙ – Von Stalingrad nach Weimar“ in Erfurt

СТОЙ - Erinnerungen von Stalingrad nach Weimar„Glaubt nicht, Ihr hättet Millionen Feinde. Euer einziger Feind heißt – Krieg.“
Erich Kästner

Dieses Gedicht steht auf einer der Tafeln der Ausstellung „СТОЙ – Erinnerungen von Stalingrad nach Weimar“, die am 8. Mai auf dem Erfurter Anger eröffnet wurde. Die Ausstellung zeigt den Weg der sowjetischen 8. Gardearmme, die in Stalingrad die Wehrmacht geschlagen hat und später u.A. in Weimar stationiert war. Dabei ist die Darstellung um Neutralität bemüht, man könnte böswillig auch sagen: um Beliebigkeit. Die Tafeln — verrostete Eisenträger — zeigen z.B. Stalingrad aus der Perspektive der Soldaten beider Seiten. Sie zeigen die Toten der Sowjetunion und die unterdrückte deutsche Zivilbevölkerung in den Nachkriegsjahren. „So viel Leid auf beiden Seiten“ mag man dazu denken. Denn die einfache Wahrheit, daß dieses beiderseitige Leid ursächlich von der Deutschen Seite ausgegangen ist, findet man im Vergleich zur relativierenden Symbolik der bildlichen Gestaltung nur schwach repräsentiert. Der blanken Zahl von 500.000 toten Sowjetsoldaten stehen z.B. deutsche Feldpostbriefe gegenüber. Die 35.000 Menschen, die täglich über den Anger laufen, werden sich kaum mit der abstrakten Zahl 500.000 identifizieren.

Dagegen setzt die Anfangstafel der Ausstellung einen anderen Schwerpunkt: Hier sieht man groß ein freundliches Gesicht der Roten Armee, während ein Trümmer-Fragment im Hintergrund steht. Man kann hoffen, daß diese Darstellung mehr Eindruck macht, als die relativistischen Elemente der Ausstellung. Denn auch für entschiedene Gegner_innen des Krieges war der größte Feind bis zum 8. Mai 1945 Deutschland.

Wir danken heute denjenigen, die zur Befreiung beigetragen haben:

Über eine Übersetzung des Textes würden wir uns freuen. Wir haben bisher nur rausbekommen, daß es um sowjetische Partisanen geht.

Naziaufmarsch gewaltsam verhindert! – Statement von AG17

Der Naziaufmarsch am 1.Mai 2010 ist gewaltsam verhindert worden – durch die Polizei. Alle anderen Behauptungen sind politische Lügen.
Polizei verhindert Naziaufmarsch am 1. Mai 2010 in Erfurt
Weder die Bürgerblockaden, noch die Antifa, noch lamentierende Landtagsabgeordnete hätten sich gegen dieses Aufgebot von ca 1000 Einsatzkräften samt weiträumigen Absperrungen ganzer Stadtteile durch Absperrgitter durchsetzen können. Die Blockaden am Leipziger Platz sind von den „Ordnungskräften“ ohne polizeiliche Notlage zugelassen worden und waren Teil einer politischen Choreografie. Somit wurde die Nazidemo nicht durch „friedliche Bürgerblockaden“ verhindert, weil jene lediglich als Vorwand für die Polizei her hielten, die Nazis nicht weiter laufen zu lassen. Die Verhinderung des Aufmarsches der NPD erfolgte im Wesentlichen durch die Staatsgewalt in Form von Androhung und Ausübung von Gewalt. Von Friedlichkeit keine Spur. Gewalt ist nicht verhindert worden sondern das staatliche Gewaltmonopol wurde durchgesetzt.
Die Krone der Demagogie in den Medien war die Behauptung, dass „Erfurter Bürger“ den Naziaufmarsch verhindert hätten. Die meisten Leute, die sich an der Gegenmobilisierung beteiligten, kamen definitiv nicht aus Erfurt und würden in selbigen Gazetten als „Reisechaoten“ beschimpft worden sein, wäre es weniger glimpflich abgelaufen.

Um es klar zu stellen: wir (Antifa AG17) finden es gut und wichtig, Nazis die Events zu versauen. Was wir jedoch fatal finden, wenn der Preis für derlei „Erfolge“ eine beliebige Auslegung des Versammlungsrechts für die Staatsmacht ist, die sich genauso auch gegen linke Demos richten kann. An der Gleichsetzung von Rechts und Links in der sogenannten „Extremismus-Debatte“ arbeitet die „politische Mitte“ diese Landes eh schon emsig. Dieser Beliebigkeit Vorschub zu leisten und alles fallen zu lassen weil die Hauptsache ja sei, dass die Nazis nicht marschieren, finden wir falsch. Eine Antifa, die solch eine Farce als Sieg abfeiert, schießt sich selber ins Knie.

Nazis und ihre Ideologien gehören auf der Straße und in der Öffentlichkeit zurückgedrängt, weil ihre Positionen menschenverachtend, reaktionär und autoritär sind und sie eine Gefahr für Migrant_innen und andere „Undeutsche“ sind, nicht weil sie als braune Schmuddelkinder und Image-Killer der „geläuterten“ Bundesrepublik Deutschland im Wege stehen. Aufgabe der Antifa sollte es nicht sein, in Anti-Nazi Pop Events aufzugehen sondern sich ebenso kritisch gegen den modernen Nationalismus der scheinbar „geläuterten Nation“ zu stellen, um nicht dem Falschen Vorschub zu leisten.

Nochmals: unser Dank an Alle, die selbstorganisiert und/oder mit uns an diesem Tag unterwegs waren.

ag17.antifa.net

Brauner Spuk mit Spezialkamera sichtbar gemacht

brauner Spuk

Wie das so ist mit dem Spuk: Wenn er auftaucht, versetzt er alle in große Aufregung. Man muss die Ghostbusters rufen. Die sind zwar auch komisch mit ihren Kapuzenpullis, aber besser, sie machen die Innenstadt unsicher als der Spuk. Es folgt der Exorzismus: „Weiche Extremistanas, die Kraft der Zivilgesellschaft bezwingt Dich!“ Puff. Alles wieder gut. Der Spuk ist durch ein bisschen Hokuspokus zurück in die Zwischenwelt* verbannt. Woher er gekommen ist, kann man nicht erklären, ebensowenig, warum er sich gerade hier manifestiert hat. Oder wer die Geister gerufen hat. So ist das mit einem Spuk. Die Ghostbusters kann man nicht mehr brauchen, wenn der Spuk ausgetrieben ist. Wenn gerade kein Spuk bevorsteht, sind sie verschrobene Sonderlinge, die ständig irgendwo Gespenster sehen. Dabei weiß doch jeder, daß es keine Gespenster gibt.

(*) In Gotha konnten die Nazis nach dem abgebrochenen Marsch in Erfurt am 1. Mai ohne Probleme marschieren.

Jena: „Goldenes Sparschwein“ verliehen


Jena (sabotnik) Zum ersten Mal wurde vergangene Woche in Jena das „Goldene Sparschwein“ für besonders rigide Leistungsbetreuer des städtischen Eigenbetriebes jenarbeit, der zuständigen Behörde für die ALGII-Elendsverwaltung, verliehen.
„Zum ersten Mal wollen wir mit diesem Preis eine Person auszeichnen, die sich in der Hartz IV-Elendsverwaltung besonders hervorgetan hat. Wir wollen heute und zukünftig jene ehren, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, ALG II-Betroffene zu verunsichern: in der Wahrnehmung ihrer Rechte, in ihrem Mut zum Widerstand und nicht zuletzt in ihrer Würde als Mensch, der einen Anspruch auf Respekt und Achtung hat“, begrüßte eine Vertreterin der Jury die Anwesenden.
Letztlich seien die bürokratischen Auswüchse jedoch nur die Spitze des Eisberges: „Darunter verbergen sich die Tonnen alltäglicher Zumutungen, die ein Gesellschaftssystem mit sich bringt, dessen Grundprinzipien Ausbeutung und Profit heißen.
Nichtsdestotrotz gibt es immer wieder Einzelne, die der täglichen Mühsal noch die Krone aufsetzen wollen. Deshalb stehen wir heute hier.“

„Die Preisträgerin hat sich durch außergewöhnliche Leistungen im Bereich Sanktionierungen und Kürzungen… hervorgetan. Die Betroffenen werden mit ihren Anträgen hingehalten und ihnen wird klar gemacht, dass sie von den Entscheidungen von jenarbeit abhängig sind“, hieß es in der Laudatio.
Die Jury, unter ihnen Sozialrechtsanwälte, Betroffene und Mitarbeiterinnen des Kommandos Sozial-Kräfte (kurz: [KSK]-Jena), hatte mehrere Nominierungen erhalten.

Zur Preisverleihung waren neben Mitgliedern der Jury und jungen IG-Metall-Gewerkschaftern auch der Werkleiter, Eberhard Hertzsch, erschienen. Er stellte sich nicht nur verbal, sondern auch ganz körperlich vor seine Mitarbeiterin, die für das Sammeln von Widersprüchen und Dienstaufsichtsbeschwerden bekannt ist. So wurde der Preis stellvertretend an ihn übergeben.
Während der feierlichen Zeremonie störte er wiederholt durch Zwischenrufe und versuchte im Anschluss, den Ablauf durch Diskussionen zu verzögern. So provozierte er Gäste, indem er behauptete, Widersprüche würden im Amt schnell bearbeitet. Diese dreiste Lüge konnte eine anwesende Person jedoch am eigenen Beispiel entkräften, was den Werkleiter zu der Äußerung verleitete: „Sie sehen nicht so aus, als gänge es bei Ihrem Widerspruch um die existenzielle Grundsicherung, Sie stehen ja heute hier.“

Ein wenig überarbeitet, Original hier.

Samstag, 8. Mai: Früchte des Zorns im Filler

Hausbesetzungen und Widerstand gegen Räumungen ziehen Repression nach sich. Repression kostet Geld. Um die Repressionskasse aufzufüllen, findet am Sonntag, 8. Mai im Filler (Schillerstraße 44, Hinterhaus, Erfurt) ein Konzert statt:

Früchte des Zorns

[audio:https://sabotnik.infoladen.net/images/Fr_chte_des_Zorns__Das_Herz_ist_ein_Muskel_in_der_Gr__e_einer_Faust.mp3]
Das Herz ist ein Muskel in der Größe einer Faust (Download als mp3)

Wer die Musik nicht mag, kann auch hier spenden: Repressions-Solikonto, Inhaber Reinhold Halbleib, Kto.-Nr. 1000500337, Spk. Mittelthüringen, BLZ 82051000

Presented by haendehoch.blogsport.de

„Antifa heißt früh aufstehen“ – Erfurt 1. Mai 2010

Blockade auf der Stauffenbergallee
„Antifa heißt früh aufstehen“ meint etwas verdrießlich einer der TeilnehmerInnen der Sitzblockade am Beginn der Stauffenbergallee. Denn obwohl man um halb neun noch problemlos von der Stadtmitte zum Blockadepunkt direkt am Anfang der Nazi-Route kommt, sitzen nur ca. 70 Leute quer über die Stauffenbergallee — ziemlich wenig für eine vierspurige Straße mit großzügigem Mittelstreifen. Eigentlich hatte man hier mit mehr Leuten gerechnet, aber scheinbar haben eine ganze Menge Leute ihr Date mit der Straße verpennt. Ein paar DemonstrantInnen spielen Karten, andere lesen Zeitung, während einige MandatsträgerInnen der Partei „Die Linke“ mit der Versammlungsbehörde aushandeln, daß die Blockade für’s erste nicht abgeräumt wird. Obwohl es regnet und hier keiner so recht davon ausgeht, mit 70 Leuten die Blockade zu halten, ist die Stimmung gut.

Am Anderen Ende der Stadt, in der Johannesstraße, sieht man um 9.00 Uhr eher griesgrämige Gesichter. Kaum 100 Menschen haben sich am Ort der Auftaktkundgebung für die Antifa-Demonstration unter dem Motto „Hauptsache ’s knallt“ versammelt. Aber bis die Demo um 9.30 Uhr losläuft wächst die Menge auf 300-400 Leute an. Luftlinie sind es nur wenige hundert Meter zwischen den parallel verlaufenden Routen von Antifa und Nazis, aber der aufgestaute Flutgraben trennt die beiden Versammlungen. Mittlerweile sind die Übergänge mit Hamburger Gittern und einfachen Polizeiketten dichtgemacht. An der Krämpferstraße gibt es dann auch den ersten Versuch einiger TeilnehmerInnen der Antifa-Demo, auf die Nazi-Route zu kommen. Aber 20 Leute sind für die Polizei kein Problem. Hin und wieder werden Parolen gerufen, dazu erzählt Lothar König viele Dinge aus dem Lautsprecherwagen. War die Demo am Anfang vorwiegend schwarz war, sammelt sie auf ihrem Weg Richtung Bahnhof immer mehr BürgerInnen ein, bis am Ende ein deutlich sichtbarer bunter Block mit den Autonomen demonstriert. Es knallt nicht. Etwas unübersichtlich wird die Lage, als die Demo gegen 11.30 versucht, zur ver.di-Kundgebung in der Tromsdorffstraße zu kommen. Obwohl ver.di laut durchsagt, daß die Antifa auf der Gewerkschafts-Kundgebung ausdrücklich erwünscht ist, stellt die Polizei sich quer. Nach kurzem Gerangel kommt es zu endlosen Verhandlungen — ohne Ergebnis. Ver.di und Antifa dürfen nicht zusammen demonstrieren. Da sich langsam die Gerüchte verdichten, daß die Nazis bald loslaufen, meldet die Antifa eine Spontandemonstration an und macht sich auf, die schon gelaufene Route wieder in der Gegenrichtung abzulaufen.

Seit 7 Uhr sendet das Radio der Thüringer Landesmedienanstalt (Radio Funkwerk) vorproduzierte Interviews. Steffen Lemme von der SPD verzettelt sich und nennt MOBIT die „Mobile Beratung für Demokratie – gegen Gewalt“ statt „.. gegen Rechtsextremismus“. Rüdiger Bender gibt den originellen Rat an Blockaden, einfach mal freiwillig zu gehen, statt sich räumen zu lassen.

Auf der Blockade am Beginn der Nazi-Route läuft bis 11 Uhr Musik aus der Konserve. Matthias Bärwolf von der Partei „Die Linke“ hebt mit kurzen Redebeiträgen die Stimmung und fordert die Leute zu Dableiben auf. Vereinzelte AnwohnerInnen haben sich eingefunden. Die meisten wollen sich zu der Frage, was sie von der ganzen Sache halten, nicht festlegen. Nur ein älterer Herr redet in aller Ausführlichkeit darüber, daß er Blockieren für undemokratisch hält. Er will die TeilnehmerInnen der Blockade überzeugen, zur NPD zu gehen und mit den Nazis zu diskutieren.

Gegen 12 Uhr taucht der Erfurter Oberbürgermeister Andreas Bausewein und die Bürgermeisterin Tamara Thierbach an der Blockade auf. Ungeschickter Weise nehmen sie den Weg durch die Nazi-Kundgebung und werden aus dem Lautsprecherwagen der NPD hämisch als KundgebungsteilnehmerInnen begrüßt. Das widerum bestätigt einige TeilnehmerInnen der Blockade in ihrer sowieso eher ablehnenden Haltung gegenüber der Stadtspitze. Als Bausewein nach einigem Händeschütteln den Ort der Blockade wieder verlässt, meint ein Teilnehmer: „Ich weiß nicht, ob es mich mehr ärgert, daß er wieder geht oder ob es mich mehr geärgert hätte, wenn er sich dazu gesetzt hätte“.

Leipziger Platz
Ein paar Ecken weiter, am Leipziger Platz, beteiligt sich ein anderer Oberbürgermeister an einer Blockade: „Ich werde nächstes Mal dafür sorgen, daß noch mehr Bürgermeister da sind und Ihr werdet dafür sorgen, daß mehr Bürger da sind, denn gemeinsam sind wir stark“ sagt der Jenaer OB Albrecht Schröter. Viele sind begeistert von diesem Bündnis, andere rollen genervt die Augen. Der Lautsprecherwagen dankt den KundgebungsteilnehmerInnen immer wieder dafür, daß sie so bunt, friedlich und entschlossen sind.

Gegen 12:40 wird die Blockade am Beginn der Nazi-Route geräumt. Dabei geht die Polizei verhältnismäßig umsichtig vor. Es gibt keine Verletzten. Ganz anders muß das Vorgehen etwas früher am Talknoten gewesen sein. Eine Aktivistin erzählt mir, daß dort ein Bus mit anreisenden Nazis von vielleicht 50 GegendemonstrantInnen blockiert wurde und eine Polizeieinheit daraufhin „frei gedreht hat“. Die Blockade wurde ohne Vorwarnung brutal von der Straße geprügelt. (Bericht auf Indymedia hier)

Gegen 13 Uhr beginnt die Demonstration der Nazis. Sie rufen „Gegen System und Kapital – unser Kampf ist national“ oder, immer wieder, „Die Straße frei der Deutschen Jugend“. Die Nazis sehen aus, als seien sie zufrieden damit, daß sie endlich laufen dürfen. Aber schon 500 Meter weiter ist schon wieder Schluss, weil sie auf die Blockade am Leipziger Platz treffen. Hier haben sich neben dem Bündnis aus Oberbürgermeister und BürgerInnen auch ca. 200 Kapuzenpullis und Antifa-Fahnen auf der Stauffenbergallee eingefunden. Ein paar AnwohnerInnen beschweren sich über die Unannehmlichkeiten, die sie durch die Demonstrationen und Veranstaltungen haben. Ihnen wäre es lieber, wenn man die Nazis einfach laufen ließe: „Dann wäre der Spuk in einer Stunde vorbei“. Die Nazis nutzen die erzwungene Pause für Redebeiträge. Immer, wenn sich der nationale Lauti anhebt: „Deutsche Männer und Deutsche Frauen ..“ ruft die Kundgebung rythmisch „Halt die Fresse“. Da die beiden Versammlungen durch zwei Reihen Hamburger Gitter, zwei Wasserwerfer (einer in jede Richtung) und unzählige PolizistInnen getrennt sind, hört man das bei den Nazis vermutlich nicht. Aber auf der Kundgebung sorgen die Sprechchöre für gute Laune. Spätestens als nach und nach die TeilnehmerInnen der dahinterliegenden Blockade am Talknoten und die Reste der Antifa-Demo hier eintrudeln, vermuten viele: Hier kommen heute keine Nazis mehr durch.

Das dämmert auch dem nationalen Widerstand. Teile der Demonstration versuchen gegen 14 Uhr durch die Polizeiketten zu brechen. Das gelingt nicht. Aber damit hat die NPD in den folgenden Verhandlungen mit der Versammlungsbehörde schlechte Karten. Auch daß im weiteren Verlauf der Route mittlerweile nicht wenige Hamburger Gitter verschwunden sind oder auseinandergeschraubt wurden, wird die Chancen auf eine erfolgreiche Nazi-Demo eher verringert haben. Nach mehr als einer Stunde verkündet die Polizei das Ergebnis der Verhandlungen: Die Nazis müssen die 500 Meter, die sie vom Bahnhof gelaufen sind, zurücklaufen. Der Versammlungsleiter ist beleidigt und löst um 15.40 von sich aus die Versammlung auf. Er sagt durch, daß er keine Verantwortung für die folgenden Ereignisse übernimmt. Aber die angedeutete Drohung erweist sich als leer. Die VersammlungsteilnehmerInnen bewegen sich geordnet zurück zum Bahnhof. Kurz vor dem Ende versuchen sich einige wenige noch mit einer Sitzblockade, die aber auch nach wenigen Minuten wieder aufgegeben wird. Der Nationale Widerstand Franken und Bayern begibt sich fix zu den Reisebussen, die Thüringer Nazis zum Zug.

Ich spreche am Rande mit ein paar Leuten aus dem Antifa-Spektrum. Die sind nicht sonderlich zufrieden mit dem Tag, fanden alles „zu lasch“. Eine andere sagt, vieles sei heute schlecht koordiniert gewesen. Trotzdem hat einiges funktioniert.

Ganz am Ende muss dann einfach noch die rituelle Randale kommen — schließlich ist heute 1. Mai. Die letzten zehn Nazis brüllen in der Bahnhofsunterführung „Hier marschiert der nationale Widerstand“. Dann wird es unübersichtlich. Die zehn Nazis werden schnell in den Bahnhof geleitet. Gleichzeitig treibt die Polizei die ca. 150 anwesenden GegendemonstrantInnen auf der Bahnhofstraße zusammen — mit Pfefferspray und Knüppel frei. Brutal werden Leute in Gewahrsam genommen. Mindestens vier DemonstrantInnen werden verletzt.

Damit waren die nötigen Bilder im Kasten. Die Polizei zieht sich zurück. „Nach Ende der Neonazi-Demonstration kam es zu Ausschreitungen von Linksradikalen“ kann man jetzt sagen, und fordern, daß das Demonstrationsrecht endlich nicht mehr für Extremisten beider Seiten gilt.

Edit 2. Mai, Zitat vom MDR:

Thüringens Innenminister Peter Huber ist mit dem Polizeieinsatz am Sonnabend in Erfurt zufrieden. Die Versammlungsfreiheit sei gewahrt worden, sagte Huber. Gleichzeitig hätten die Bürger ihre Abneigung gegen jede Form von politischem Extremismus zum Ausdruck bringen können.

In Erfurt laut Stadtordnung verboten: Baumbesetzung am Leipziger Platz
Leipziger Platz

Auf dem Anger: Verschiedene Stände

Hinter dem Leipziger Platz: Wasserwerfer

Am Ende: Gitter einpacken

30.4. in Erfurt: Parkverbot, Planschverbot, Gewaltverbot

Parkverbot
Ein Hinweis für alle AutofahrerInnen: Vom 30. April bis 1. Mai besteht in Erfurt auf der Stauffenbergalle zwischen Bahnhof und Talknoten und auf der gesammten Magdeburger Allee Parkverbot. Auch ein Teil der Friedrich-Engels-Straße ist entsprechend ausgeschildert. Die Ausschilderung passt zumindest zum Anfang der auf „Hauptsache es knallt“ angegebenen Route für die morgige Nazidemo:

Thälmannstraße/Stauffenberg-Allee –> Talknoten –> Magdeburgerallee –> Salinenstraße –> Salzstraße –> Friedrich Engels Straße –> Schlachthofstraße –> Thälmannstraße/Stauffenberg-Allee.

Derweil laufen wie wild die Vorbereitungen für den morgigen Tag. Wie auf Indymedia zu sehen, ist tatsächlich das THW im Einsatz, um zu verhindern, daß man einigermaßen trocken durch den Flutgraben kommt:

Auf dem Anger demonstrieren zurzeit Junge und in die Jahre gekommene Liberale gegen Gewalt und Extremismus: „FÜR GEWALTFREIE STRASSEN AM 1. MAI“.

Ergänzend zum gestrigen Artikel muss man noch anmerken, wie man am 1. Mai von stadtauswärts nicht auf die Magdeburger- oder die Staufenbergalle kommt:

  • Auf jeden Fall sollte man die vorhandenen Hinterhöfe, Industriebrachen, Spielplätze, Gewerbeflächen und Supermarktparkplätze meiden, sondern lieber übersichtliche, große Straßen nutzen.
  • Um an Kontrollpunkten nicht vorbei zu kommen, stellt man sich am besten in einer langen Reihe an und lässt sich nacheinander einen Platzverweis geben. Auf keinen Fall sollte man in die Breite gehen und die Lücken in der Kette suchen, sondern sich im Idealfall allein auf die BeamtInnen konzentrieren. Gerade wenn man in der Überzahl ist, ist das unbedingt zu beachten.

Wie man am 1. Mai in Erfurt nicht den Flutgraben überquert

Es ist nicht unwahrscheinlich, daß der Erfolg der Aktivitäten gegen die Nazis am 1. Mai in Erfurt davon abhängt, daß es vielen Leuten gelingt, stadtauswärts den Flutgraben zu überqueren. Es gibt verschiedene beliebte Strategien, das nicht zu schaffen.

1. Die authentische autonome Kleingruppe
Vier bis sechs in der Regel männliche Jugendliche oder junge Erwachsene kleiden sich komplett schwarz, ziehen Sonnenbrillen und Halstücher an und versuchen in der Gruppe, unauffällig an der Polizeikette auf der Brücke vorbei zu kommen. Von der Polizei abgewiesen, regen sie sich über den Scheiß-Bullenstaat auf und ziehen sich beleidigt in Richtung Innenstadt zurück, wo sie auf die VertreterInnen von Variante 2 treffen.

2. Die Zeichensetzer
200-500 wohlmeinende Gutmenschen sammeln sich mit Sambatrommeln und Jonglierbällen zu einer Kundgebung oder Blockade auf der falschen Seite des Flutgrabens. Während die Nazis die Staufenbergallee oder die Thälmannstraße entlang laufen, bestätigen sich die DemonstrantInnen gegenseitig, daß sie die Guten sind und ein unübersehbares Zeichen gegen rechts setzen. Sollte es irgendwann zu vielen Menschen auffallen, daß die Blockade an diesem Ort gar nichts bringt, bewegt man sich zu der Brücke, an der schon die Autonomen gescheitert sind.

3. Die falsche Brücke
Wenn die Nazis auf der Staufenbergallee laufen, erschließt sich selbst dem dümmsten Polizisten, daß die Brücken am Krämpferufer und Schmittstädter Ufer dicht gemacht werden müssen. Um also nicht über den Flutgraben zu kommen, muss man sich genau auf diese Brücken konzentrieren. Auch sollte man sich vorher keine Gedanken darüber machen, wie und wo man anders über’s Wasser kommt — z.B. westlich des Bahnhofs oder nördlich der Schlüterstraße. Auch sollte man keinen Netzplan der EVAG, keine Karte und kein Fahrrad dabei haben.

4. Das starre Konzept

Man kann den Flutgraben auch nicht überqueren, weil das Plenum, der Aktionsrat, der Bürgertisch oder eine andere Autorität im Voraus beschlossen hat, dies nicht zu tun. Dieser Anweisung sollte man Folge leisten und nicht spontan entscheiden, daß aufgrund veränderter Bedingungen ein ganz anderer Ort zu besetzen wäre. Um damit glücklich zu sein, sollte man sich eher nicht über den Ticker (http://ticker.hopto.org), das Infotelefon (0162 – 59 19 379) oder Radio F.R.E.I. (UKW 96,2) über die aktuelle Lage informieren. Unterstützt wird diese Variante des Scheiterns durch diejenigen FunktionärInnen des Protests, die davon überzeugt sind, daß einfache AktivistInnen sowieso nicht qualifiziert sind, mit Informationen umzugehen und diese deswegen für sich behalten. Manche derer, die das besonders stört, gehen am 1. Mai dem virtuellen Ansatz nach.

5. Der Virtuelle Ansatz
Um ganz genau darüber informiert zu sein, wie man hätte den Flutgraben überqueren können, es aber gleichzeitig zu unterlassen, setzen sich die Anhänger dieses Ansatzes am 1. Mai alleine vor den heimischen PC und verfolgen im Minutentakt Tickermeldungen, Webseiten, Radio F.R.E.I. und MDR. Mit allen Informationen ausgerüstet, entfalten sie ihre Revolutionäre Praxis in den Kommentaren auf Indymedia und in Blogbeiträgen, die brilliant alle Fehler nachweisen, die auf der Straße begangen werden.

6. Die Fotogene Strategie
Die Fotogene Strategie, nicht den Flutgraben zu überqueren, wird vor allem von PolitikerInnen der höheren Ränge verfolgt. Die nutzen den Tag, um Gesicht zu zeigen, konkret: das eigene Gesicht zu zeigen und in möglichst viele Mikrofone zu blubbern. Vereinzelt wird die Fotogene Strategie auch von Autonomen Kleingruppen verfolgt. Hier versucht man — anders als die PolitikerInnen — in den Augen des Virtuellen Ansatz (siehe oben) eine gute Figur zu machen.

7. Der Mehrheits-Ansatz

Die Mehrheit der Erfurter BürgerInnen wird am 1. Mai den Flutgraben deswegen nicht überqueren, weil es ihnen aus den verschiedensten Gründen scheißegal ist, daß die Nazis demonstrieren.

1. Mai: Seit 124 Jahren auch gegen die Arbeit

Gegen die Arbeit - schon 1931

Im Mai 1886 fanden in Chicago die Haymarket Riots statt. Aus Widerstand gegen elende Arbeitsbedingungen kam es zu einem mehrtägigen Streik, der auch auf der Straße ausgefochten wurden. Am 4. Mai explodierte bei einer Demonstration eine Bombe. Dafür verurteilt und größtenteils hingerichtet wurden acht Anarchisten, die den Streik organisiert hatten. Das Gericht konnte ihnen zwar nicht nachweisen, daß sie die Bombe gelegt hatten, befand sie aber der intellektuellen Täterschaft schuldig.

Vier Jahre später wurde auf einem Arbeiterkongress in Paris beschlossen, den 1. Mai als internationalen Kampftag der Arbeiterklasse auszurufen. Wieviel Aufmerksamkeit an diesem Tag auf „Kampf“, wieviel auf „Klasse“ und wieviel auf „Arbeit“ liegt, ist umstritten.

1890 ging es um kürzere Arbeitszeiten und bessere Arbeitsbedingungen. Für KommunistInnen wurde der Tag in den Jahren danach ein Tag des Klassenkampfes. Im Nationalsozialismus wandelte er sich zum „Feiertag der nationalen Arbeit“. In der DDR fanden Militärparaden statt, dazu wurde die Arbeiterklasse verpflichtet, an Tribühnen mit Parteiprominenz vorbei zu flanieren. In der BRD rief die Gewerkschaft nach klassenkämpferischen Anfängen später immer mehr zum gemeinsamen Bratwursessen oder gleich zum Maispaziergang im Grünen auf. In Berlin findet seit dem 1. Mai 1987 rituelle Randale statt. Die Nazis beziehen sich seit Mitte der 1990er-Jahre erneut auf den Tag und versuchen mit wechselndem Erfolg, Aufmärsche durchzusetzen.

„Tag der Arbeit“ ist heute eine gängige Bezeichnung für den 1. Mai. Aber die Arbeiterklasse stand nie so eindeutig auf der Seite der Arbeit, wie das manche gerne hätten. Für diejenigen, die 1886 demonstriert haben, war Arbeit eine bittere Notwendigkeit, die ihnen das Leben zur Hölle gemacht hat. Und auch später war vielen bewusst, daß Arbeit viel mehr ein Zwangsinstrument als ein Vehikel zur Befreiung ist. Wie den Arbeitern auf dem Bild: Sie demonstrierten 1931 gegen den freiwilligen Arbeitsdienst — die damalige Variante des 1-€-Jobs.

Ausgestrahlt: „Größte Proteste in der Geschichte der Anti-AKW-Bewegung“

Fast 150.000 Menschen haben gestern an drei Standorten gegen Atomenergie demonstriert. In Ahaus demonstrierten 7000 vor dem Atommüll-Zwischenlager, das AKW Biblis wurde von 20.000 DemonstrantInnen umzingelt und zwischen Brunsbüttel und Krümmel bildeten 120.000 Leute eine Menschenkette.
Die Anti-Atom-Bewegung hat mit der eher traditionellen Aktionsform eindrucksvoll bewiesen, daß sie durchaus Massen bewegen kann. Die OrganisatorInnen rechnen beim Castor-Transport nach Gorleben im November mit weiter wachsenden Protesten.
Mehr bei .ausgestrahlt

Huch. Von einem Tag auf den anderen…

…hat der Bürgertisch Demokratie sein Motto geändert:
Gegen Rechts ist Logo Hauptsache es knalle

Informierte Kreise aus der Zivilgesellschaft sagen, es hätte damit zu tun, daß der Hakenkreuz-Schatten, den das Logo im linken Plakat wirft, doch eine zu harsche — und vor allem den NS verharmlosende — Kritik an dem ist, was in Erfurt hinter der geputzten Fassade zum Vorschein kommt.

Königin-Luise-Gymnasium geht mit Polizei gegen SchülerInnen vor

Wie die Thüringer Allgemeine und Radio FREI berichten, hat Jürgen Kornmann, CDU-Politiker und Schulleiter des Königin-Luise-Gymnasiums, gestern die Polizei in seine Anstalt gerufen, weil SchülerInnen in der Aula über Probleme im Bildungssystem diskutieren wollten.

„Wir kritisieren die zu großen Klassen, fordern ein kostenloses Schulessen, die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems“ zitiert die TA eine der InitiatorInnen der verhinderten Aktion. Das dreigliedrige Schulsystem sortiert SchülerInnen schon relativ früh nach Leistung und erwiesernermaßen auch nach sozialer Herkunft. Vielleicht hat es auch mit dem elitären Geist des Gymnasiums zu tun, daß Kornmann gegen schulfremde Elemente Anzeige wegen Hausfriedensbruch erstattet hat. Auf jeden Fall bezeugt es, daß sich die Schule noch viel weniger als die Uni offen zur Gesellschaft begreift.

Das Königin-Luise-Gymnasium hieß von 1945-1992 Theo-Neubauer-Gymnasium. Theo Neubauer war in den 1920er-Jahren Lehrer am KLG. Er setzte sich schon damals für demokratische Bildung ein, beteiligte sich als einziger Lehrer des KLG am Generalstreik gegen den Kapp-Putsch, schrieb Bücher und zahlreiche Gedichte. Er lebte in „wilder Ehe“, war überzeugter Kommunist und baute in den 1940er-Jahren eine antifaschistische Widerstandsgruppe in Thüringen auf. Am 5. Februar 1945 wurde er von den Nazis hingerichtet. Zum heutigen Handeln der Schule passt Königin Luise besser. Sie war die Gattin das Preußischen König Friedrich Wilhelms III und galt schon zu Lebzeiten als Symbol für den Wiederaufstieg des Preußischen Staates.

Israel-Tag in Erfurt

Gestern fand auf dem Erfurter Fischmarkt der Israel-Tag statt. Die Deutsch-Israelische Gesellschaft hatte geladen und informierte zusammen mit anderen Akteuren über Israel. Viele BürgerInnen haben das vielfältige Programm auf dem Fischmarkt mitgemacht, ohne daß es zu Störungen kam. 2008 hatten einige NPD-Kader den Tag genutzt, um Propaganda zu verbreiten. (Alter Bericht auf Indymedia hier)

Große und kraftvolle Haus-Demo in Erfurt

„Willkommen in der Medienstadt Erfurt“ konnte man denken, wenn man heute gegen 14 Uhr auf den Bahnhofsvorplatz kam. Nicht weniger als 6 Polizeikameras filmten jede Bewegung, während bei vielen der Teilnehmer_innen der Demo für ein selbstverwaltetes Zentrum die Personalien aufgenommen wurde. Vor allem bunte oder hochgestellte Haare waren der Garant dafür, wieder in irgend einer Datei zu landen. „Befehl von ganz oben“ meint ein Polizist aus Niedersachsen, der auch nicht weiß, was nach dem Einsatz mit den Daten geschieht.


Was Willi Brandt dazu gemeint hätte? Polizeifestspiele auf dem Erfurter Bahnhofsvorplatz

Das Bild ändert sich, als Pfarrer Lothar König aus Jena lautstark verkündet, daß jetzt die Veranstaltung begonnen hat und die BeamtInnen nichts mehr auf dem Platz verloren haben. Dieser moralischen Autorität kann sich auch die Polizei nicht wiedersetzen und zieht sich an den Rand des Willi-Brandt-Platz zurück. Die Stimmung ist gut.

Gegen 15 Uhr läuft die Demo los. Es sind viele Leute gekommen – wir zählen 100 Reihen und liegen mit unseren Schätzungen zwischen 800 und 1400 TeilnehmerInnen. Sonderlich viele Leute über 30 sind nicht dabei, die Mehrheit der Anwesenden ist jung und schwarz gekleidet. Es gibt nur wenige Transparente. Aber das ist eigentlich auch egal, weil man durch die einschließende Begleitung die Demo von der Seite her sowieso nicht sehen kann.


Die Spitze der Demo kurz vor dem Loslaufen

Die Demospitze ist sehr laut, es werden ständig Parolen gerufen. Viele BürgerInnen kriegen allerdings nicht mit, worum es geht: Ein älterer Herr meint, der Polizeieinsatz sei zu teuer und fragt sich, worum es geht. Ein junger Vater beim Eisessen sagt, daß ihm die Musik gefällt. Als er erfährt, daß es um ein soziales Zentrum geht, zeigt er Sympathie für das Anliegen, sagt aber gleich dazu, daß er Besetzungen ablehnt. Eine etwas ältere Dame erzählt, daß ihr Sohn früher auch bei den Hausbesetzern war. Sie hofft, daß sich die Polizei zurückhält — gerade durch ihre Erfahrungen in der DDR empfindet sie das aggressive Auftreten der Staatsgewalt als unangenehm. Trotzdem findet sie, man muss auch heute noch auf die Straße gehen und kündigt an, daß sie am ersten Mai auch gegen die Nazis demonstrieren wird. Eine vielleicht 30jährige fände gut, wenn es ein selbstverwaltetes Zentrum gäbe. „Dann würden die in der Stadt weniger Blödsinn machen“ sagt sie und zeigt auf die Demo.

An der Kaufmannskirche findet die erste Zwischenkundgebung statt. Die Antifa-Gruppe ag17 verließt einen kurzen Aufruf für den 1. Mai. Die queer-feministische Gruppe wi(e)derdienatur bittet die Polizei, bei der nächsten Räumung einfach zu klopfen und zu fragen, wo der Darkroom ist. Danach könnte es eigentlich weiter gehen, aber als die Demo sich in Bewegung setzt, kommt es zu ersten Rangeleien. Die Polizei blockiert die Demoroute. Nach einiger Zeit rückt sie mit der Begründung raus: Eines der drei Seitentransparente wird zu hoch getragen. Die DemonstrantInnen gucken sich ratlos um, die Einsatzkräfte starr geradeaus. Vermutlich wissen alle Beteiligten, daß es hier um Schikane geht und nicht um Tragehöhen. Aus dem Lautsprecherwagen werden Auflagen für die Polizei verlesen. „Es ist verboten, Zivilisten zu verprügeln, weil man dabei wie in Hamburg vor acht Jahren die eigenen KollegInnen erwischen könnte. Außerdem ist es nicht gestattet, die Demonstration willkürlich aufzuhalten.“ Und tatsächlich geht es dann auch weiter.


Gerangel am Erfurter Anger vor der Kaufmannskirche

Am Thüringenhaus kommt es zum nächsten Übergriff. Ein Teilnehmer wird aus der Demonstration herausgezogen und in einen Keller geschleift. Es heißt, er habe sich vermummt. Die Demo hält an, aus dem Lautsprecherwagen heißt es: „Wir gehen erst weiter, wenn unser Genosse freigelassen wird.“ Nach einer Weile geschieht das auch. Der Verschleppte blinzelt, als er wieder in die Sonne kommt. Aber er lächelt auch, als er wieder in der Demo aufgenommen wird. In Thüringen wird man zur Personalienfeststellung in den Keller gezerrt, aber dort wenigstens relativ gut behandelt.

In der Johannesstraße frage ich wieder ein paar Leute, was sie von der Demo halten. Ein Paar mit Kinderwagen meint, eine liberale und demokratische Gesellschaft könnte schon ein Haus zur Verfügung stellen — leer stünden ja nun genug in Erfurt. Ein Getränkehändler freut sich über den gesteigerten Absatz an Getränken und Schokorigeln, will sich aber inhaltlich nicht festlegen. Der Wirt der Johannesklause ist sich dagegen ganz sicher: „Klar, das ist prima. Ein selbstverwaltetes Zentrum muss es in Erfurt geben.“ Ein paar TouristInnen, von denen eine früher in Erfurt gelebt hat, fragen erst mal, worum es geht. Daß vor einem Jahr das ehemalige Topf&Söhne-Gelände geräumt wurde, haben sie mitbekommen. Daß es ein neues Zentrum geben soll, finden sie wichtig, über die Menge und das Auftreten der Polizei schütteln sie den Kopf: „Völlig unangemessen und viel zu teuer.“


Die Spitze der Demo auf dem Weg zum Domplatz

Auf dem Domplatz findet die nächste Zwischenkundgebung statt. Das Bildungskollektiv Biko spricht darüber, wie wichtig selbstverwaltete Räume für Bildung sind und eine Gruppe aus Dresden wirbt für die Libertären Tage, die dort vom 1.-8. Mai stattfinden. Ein verlesener Redebeitrag, der von einer Neubesetzung in Köln berichtet, wird von den DemonstrantInnen begeistert aufgenommen.

Eine alte Frau, die ich frage, was sie davon hält, zischt mich an: „Alle verrückt“. Ein paar modisch gekleidete Jugendliche wollen nicht mit mir reden. Eine Familie mit Kinderwagen ist sich dagegen einig, daß das Anliegen der Demonstration wichtig ist. Ein Pärchen um die 20 Jahre ist unentschlossen. Während er froh ist, daß die Polizei mögliche Gewalttäter in Schach hält, findet sie die vermummten und behelmten Beamten zu aggressiv: „Nur weil die Demonstranten Alternative sind, heißt das doch nicht, daß man nicht mit denen reden kann.“ Ein älterer Herr weiß von zahlreichen angebotenen Häusern, die die BesetzerInnen ausgeschlagen hätten — daher seien sie selbst Schuld, daß sie kein Zentrum hätten.


Der Erfurter Fischmarkt. Polizeiparade oder Demonstration?

In den engen Straßen der Altstadt sorgt die hohe Polizeipräsenz dafür, daß das Anliegen der Demo völlig untergeht. Der Fischmarkt steht mit Polizei voll, bevor auch nur die ersten DemonstrantInnen den Platz betreten können. Noch mehr als vorher gilt hier, daß die PassantInnen kaum mitbekommen, was das Thema der Demo ist. Ein 40jähriger, der aus einer Pizzeria heraus das Spektakel fotografiert, meint begeistert: „Immer weg mit den Nazis, es ist viel besser, wenn die Antifa demonstriert.“ Eine gut situierte ältere Dame weiß nicht, was los ist. Daß es um ein selbstverwaltetes Zentrum geht, nimmt sie zur Kenntnis. Ganz anders eine ebenfalls distinguierte, aber etwas jüngere Frau, die mit ihrer Tochter unterwegs ist: „Ich habe früher selber Häuser besetzt“. Sie erzählt begeistert von der Punk-Szene im Leipzig der 1980er-Jahre. Die aktuelle Auseinandersetzung in Erfurt kennt sie nicht, will sich aber weiter informieren. Ich frage eine Gruppe von Jugendlichen, die ich für TouristInnen halte. Sie sprechen wenig Deutsch und verstehen nicht, was ein selbstverwaltetes Zentrum sein soll — genau wie zwei junge Frauen eine Ecke weiter. Ein autonomes Zentrum ohne Drogen würden sie unterstützen. Als letztes spreche ich einen Rennradfahrer in vollem Gummidress an. Das Polizeiaufgebot hät er für verrückt. Gegen ein neues Besetztes Haus hätte er nichts – „damit die einen Ort haben, an dem sie machen können, ……. was auch immer die da machen. Das weiß ich nicht, aber es wäre OK, wenn sie einen Ort hätten“.

Am Ende drängt sich die Polizei nochmal in den Vordergrund und zieht einige Menschen gewaltsam aus der Demonstration. Die Vorwürfe sind Verstöße gegen das Versammlungsgesetz oder der Verdacht, einen Polizisten getreten zu haben. Wieder ist den meisten Beteiligten klar: Hier geht es um’s Ritual. Wenn die Hausbesetzer demonstrieren, muss die Polizei einfach eine gewisse Quote an Zugriffen vorweisen können. Die Menge auf dem Bahnhofsvorplatz lässt sich auf die Dominanzspielchen nicht ein und so beruhigt sich die Lage recht schnell.


Fight repression with a grove: Polonäse bei der Abschlusskundgebung

In den Stunden nach der Demo finden in der Stadt willkürliche Personenkontrollen statt. Auch das kennt man in Erfurt zur Genüge. Ein beachtlicher Teil der Erfurter Bevölkerung fände es trotzdem gut, wenn es ein neues soziokulturelles Zentrum gäbe. Besetzungen finden viele nicht gut — aber es ist beachtlich, wie viele BürgerInnen überhaupt kein Problem damit haben, daß leerstehende Häuser einfach genutzt werden. Kurz sieht es auch danach aus, daß am Spätnachmittag ein Haus am Schmidtstädter Knoten neu besetzt worden wäre. Aber dann stellt sich heraus, daß nur ein entprechendes Transparent an die Fassade gehängt wurde.


Gute Stimmung auf der Auftaktkundgebung


Ene, mene, miste — wenige Transparente, aber dafür kreative


Die Clownsarmy an der Spitze der Demo


Auch die EVAG weiß: Heute ist Demo in Erfurt


Drei Reihen Spalier an der Spitze

Happy Birthday April

Wir haben in diesem Beitrag behauptet, daß nach der Zahltag-Veranstaltung im Café April am vergangenen Montag sei spontan eine Party gestiegen. Wie wir mittlerweile wissen, ist das nicht wahr. Das Café April hat am 12. April ganz regulär sein einjähriges Bestehen gefeiert. Das haben wir nicht mitbekommen — wir haben uns ganz naiv gefreut, daß es Essen, Bilder und Musik gab.
Etwas verspätet wollen wir hiermit zum Einjährigen gratulieren und geloben, in Zukunft genauer zu recherchieren.

Rundgang über das ehemalige Topf&Söhne-Gelände

Genau 1 Jahr nach der Räumung des Besetzten Haus Erfurt fand heute ein Rundgang über das ehemalige Topf&Söhne-Gelände statt. Schon seit 2008 hatte es keinen solchen mehr gegeben, weil mit dem Beginn der Bauarbeiten das Gelände nicht mehr zugänglich war.

Sorbenweg in Erfurt - vor dem Verwaltungsgebäude von Topf&Söhne
Der Sorbenweg in Erfurt – vor dem Verwaltungsgebäude von Topf&Söhne

Der Rundgang beginnt im Sorbenweg — früher Station 1 des nun unter frischem Asphalt begrabenen Rundgangs, der hier online zur Verfügung steht. Von hier aus sieht man das ehemalige Verwaltungsgebäude. Dort soll ab 27. Januar 2011 die Dauerausstellung Techniker der „Endlösung“ gezeigt werden. Die ReferentInnen des heutigen Rundgangs sprechen über die frühe Firmengeschichte der Ofenbauer von Auschwitz und kritisieren das Erinnerungskonzept der Stadt: „Die riesige Industriebrache und die vielen historische Mauern haben das Ausmaß der Erfurter Beteiligung am Prozess der Vernichtung viel deutlicher gemacht, als das einzelne Steelen und eine Ausstellung im Verwaltungsgebäude können.“

Denn wo genau die Verladerampe oder die Zwangsarbeiterbarracken gestanden haben, kann man sich heute nur noch schwer vorstellen. Wir stehen irgendwo zwischen den Stationen 2 und 3 des Rundgangs und erfahren, daß die Techniker der Vernichtung mitnichten überzeugte Nationalsozialisten gewesen sind. Vielmehr haben sich Leute wie der leitende Ingenieur Kurt Prüfer dem Grauen von der rein technischen Seite angenähert. Die Frage, wie man möglichst viele Körper in möglichst kurzer Zeit in Asche verwandelt, war für ihn ein interessantes technisches Problem. Nicht nur in Erfurt, auch auf Montage in Auschwitz hat er ein erstaunliches Talent darin bewiesen, dieses Problem zu lösen, ohne seine moralischen Implikationen zur Kenntnis zu nehmen und die angemessenen Konsequenzen daraus zu ziehen.

Früher Zwangsarbeit, heute Gartenmarkt auf dem ehemaligen Topf und Söhne-Gelände in Erfurt
Früher Zwangsarbeit und Technik der Vernichtung, heute Gartenmarkt

Ungefähr vor dem Gartenmarkt befand sich früher die Montagehalle. Der Rundgang widmet sich hier den ZwangsarbeiterInnen, die auf dem Gelände vernutzt wurden. Es geht auch um die KPD-Betriebsgruppe und ihr Versagen. Es steht fest, daß die Gruppe gewusst hat, was bei Topf&Söhne hergestellt wird. Die KommunistInnen haben es geschafft, im Untergrund weiter zu arbeiten und die ZwangsarbeiterInnen zu unterstützen. Gegen die Technik der Vernichtung haben sie nichts unternommen.

Blick vom früheren Eingang des Besetzten Hauses auf dem ehemaligen Topf &Söhne-Gelände auf die nicht mehr vorhandene Schlosserei
Blick von der früheren Toreinfahrt in Richtung wo unser Haus stand

Der Rundgang endet nach einer knappen Stunde dort, wo früher das Hauptgebäude der Besetzung — darin auch der Infoladen — gestanden hat. Was auf dem Gelände zwischen 2001 und 2009 stattgefunden hat, ist für viele Teilnehmer_innen nichts Neues. Trotzdem wird es hier nochmal erwähnt.

Am Ende wird dort, wo unser Haus stand, noch einmal Musik abgespielt. Eine stellt Blumen hin. Einer erzählt, daß er einen guten Teil seiner Jugend hier verbracht hat. Es sei schon ein bedrückendes Gefühl, heute auf dem Parkplatz zu stehen. Auf die Frage, was er sich heute wünscht, antwortet er: „Daß ganz, ganz viele Leute am Samstag zur Demo für ein neues Zentrum kommen“ — ein Wunsch, dem wir uns nur voll und ganz anschließen können.

Dort wo unser Haus stand, stehen heute wenigstens mal Blumen
Wo unser Haus stand, stehen heute ausnahmsweise mal Blumen

Es waren gezählte 70 Leute jeden Alters auf dem Rundgang. Zwei Mitglieder des Förderkreis Topf&Söhne betrachteten das Geschehen zusammen mit der Polizei aus der Ferne.

Erfurt: Radfahrn für ein selbstverwaltetes Zentrum


Wenn 40 Fahrradgocken läuten, ist das in der Erfurter Innenstadt nicht mehr zu überhören. Rund 40 Menschen bildeten an diesem Donnerstag einen Flashmob der besonderen Art: Gemeinsames Radfahren für ein autonomes Zentrum. Kaum war die Soundanlage in einem Kinderanhänger versteckt, ging es los Richtung Innenstadt. Vorbei ging es an der Polizeidirektion, am Rathaus, dem Anger bis zum Hauptbahnhof. Lautstark wurde mit Klingeln und Sprechchören auf das Fehlen eines selbstverwalteten Zentrums aufmerksam gemacht. Der Polizei ging das jedoch zu weit. Gemeinsames Radfahren in Erfurt – das darf nicht sein, vor allem nicht in der Bahnhofsunterführung . Kurz nachdem der Flashmob den Hauptbahnhof passierte, rannten Polizeibeamte brüllend dem Flashmob entgegen und warfen jedeN vom Fahrrad, den sie kriegen konnten. Einige Beamte wahren so engagiert, daß sie noch hundert Meter einigen Radfahrern hinterher sprinteten. Ob das polizeiliche Taktik war oder ob die Beamten überarbeitet und nicht mehr zurechnungsfähig sind, lässt sich abschließend nicht genau klären. Den vom Rad gezerrten sprachen die BeamtInnen Verwarnungen aus und drohten an, im Wiederholungsfalle die Fahrräder zu beschlagnahmen.

Morgen (Freitag) geht die Aktionswoche der Kampagne Hände hoch – Haus her weiter mit einer Führung über das ehemalige Topf&Söhne-Gelände, Treffpunkt 17 Uhr am ehemaligen Verwaltungsgebäude am Sorbenweg.

Ergänzung: Indymedia-Artikel hier.

Erfurt: Auszubildende auf Häufchenkontrolle

Erfurt - Puffbohnenmetropole - Landeshauptstadt von Thüringen - immer einen Ausflug wertEine neue Kampagne zur Optimierung von Sicherheit und Sauberkeit hat sich die Landeshauptstadt Erfurt ausgedacht. Wie die TA hier berichtet, wurden Auszubildende der Stadt zu „Sauberkeitsengeln“ ernannt und verteilen in der Innenstatdt Hundekottüten. Damit sollen HundehalterInnen animiert werden, sich mehr um die Kacke ihrer Hunde zu kümmern.

Man muss anerkennen, daß diese Kampagne wenigstens nicht wie die umstrittene Innenstadtordnung allein auf Repression setzt. Welchen Lerninhalt die Häufchenkontrolle allerdings für die städtischen Auszubildenden haben soll, erschließt sich nicht. Soll die nächste Generation von Stadtbediensteten möglichst anschaulich lernen, daß man von bestimmten BürgerInnen eh nur Scheiße zu erwarten hat?

In Berlin hatte eine GRÜNEN-Politikerin kürzlich vorgeschlagen, Harz4-EmpfängerInnen für den Einsatz gegen Hundehaufen zu verpflichten. Vielleicht könnten auch einfach mal diejenigen, die am lautesten nach Sauberkeit schreien, Häufchen wegräumen gehen, statt Lehrlinge oder Arbeitslose vorzuschicken.

Wir schaffen Arbeitsplätze!

Die OTZ berichtet:

Thüringen fehlen Bereitschaftspolizisten
[..]Erfurt. Die Thüringer Polizei war nach Angaben des Innenministeriums im Vorjahr überdurchschnittlich gefordert: Bekämpfung der Rockerkriminalität, Absicherung von Gerichtsverfahren, hoher Kräfteaufwand bei Fußballspielen. Aber auch die Räumung des besetzten Hauses in Erfurt, der Besuch von US-Präsident Obama sowie diverse rechtsextreme Veranstaltungen samt Protestdemonstrationen führten dazu, dass häufiger Beamte anderer Bundesländer in Thüringen aushelfen mussten, als dass Polizisten des Freistaates dort im Einsatz waren. […] Wir müssen ernsthaft über eine dritte Einsatzhundertschaft nachdenken, sagte der innenpolitische Sprecher der mitregierenden SPD-Fraktion.

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