Antifaschistischer Teilerfolg in Kirchheim

Wie schon am Wochenende auf Indy berichtet wurde am vergangenen Samstag zeitweise die Zufahrt zum Thüringer Landesparteitag der NPD in Kirchheim blockiert, wobei auch Heuballen zum Einsatz kamen. Dazu hatten sich ca. 100 Leute eingefunden, vorwiegend aus der Umgebung des Dorfes. Im „Romantischen Fachwerkhof Kutz“ hatten schon vorher Nazi-Veranstaltungen stattgefunden.
Nach ca. einer Stunde wurde die Blockade freiwillig beendet (siehe dazu auch den 3. Absatz hier). Die autonome Antifa hat den Parteitag ignoriert. Die Arnstädter Versammlungsbehörde kündigte an, juristisch gegen die BlockiererInnen vorzugehen.

NPD-Landesparteitag Thüringen am Samstag in Kirchheim

Wie schon 2009 findet der diesjährige Landesparteitag der Thüringer NPD im Romantischen Fachchwerkhof Kutz in Kirchheim (zwischen Arnstadt und Erfurt) statt. Diesmal wollen die Nazis zusätzlich im Dorf einen Aufmarsch veranstalten.

Das Bündnis gegen Rechts Kirchheim hat eine Kundgebung dagegen angemeldet. Treffpunkt ist 9.00 Uhr an der neuen Turnhalle (Ortseingang aus Richtung Arnstadt). Um zahlreiche Teilnahme wird gebeten.

Der Parteitag beginnt um 10 Uhr am Samstag, 26.6.2010
Umgebungskarte hier (Link zu Google Maps).

Running Mike und Swimming Punk

Irgendwie Tradition ist die jährliche Punx-Schlauchboottour in Erfurt. Heute, am 12.06.2010, hat sie wieder stattgefunden. Rund 50 PunkerInnen mit Schlauchbooten und auf Gummireifen haben sich bei zuerst strahlendem Wetter auf den Weg gemacht und sind durch die Gera und den Flutgraben bis zur Krämerbrücke gefahren. Ein Boot fuhr mit Musik, die auch weiterspielte, nachdem der Kasi bei der Fahrt übers Wehr eine Weile in der Gera schwamm – die improvisierte Krachboje hat gut funktioniert. Die Krämerbrücke ist umkämpftes Terrain. Im vorletzten Jahr wurde die Bootstour zuerst von Nazis und dann von der Polizei überfallen. Zumindest ein Prozess dazu läuft immer noch – wohbemerkt nicht gegen die AngreiferInnen, sondern gegen einen Punk. Dann gibt’s da noch die Innenstadtordnung, die in Erfurt quasi alles verbietet – von der Straßenmusik bis zum Bäumeklettern, aber erst Recht das Rumhängen in Gruppen mit verbundenem Alkoholgenuss – vor allem auf dem touristischen Kleinod von Erfurt, der Krämerbrücke. Nun, die meisten Touries sind eher belustigt, als kurz vor 18 Uhr die ersten durchnässten Punks ankommen und feiern, dass sie den Regen und die Stromschnellen überwunden haben.

Eine ganz andere Innenstadtaktion läuft gleichzeitig zwischen Fischmarkt und Magdeburger Allee. Das „Running Mike“ des Textilfestivals will Literatur aus der Schreibstube in die Stadt holen. Das mitterweile deutlich schlechtere Wetter scheint der Sache einen Strich durch die Rechnung zu machen. Deswegen wird zu Beginn der überdachte Raum vor dem Erfurter Rathaus in Beschlag genommen. Mit einem Megafon wird Lyrik vorgetragen. Ein Junggesellenabschiedstrupp verabschiedet sich angesichts der Hochkultur, vereinzelte PassantInnen hören zu. Irgendjemand guckt kurz aus der Rathaustüre und geht wieder rein. Alles kein Problem, auch als das Mikrofon weiterrennt und beim Sandmann vorgelesen wird, wie viele Gründe es für Mike in Erfurt gibt, weg zu rennen und auf dem Fischmarkt eine Bühne besetzt wird und lautstark die Forderung ergeht: „Hühner an die Macht!“

Kurz darauf treffen die beiden Aktionen an der Krämer aufeinander. Irgendwie ist das nicht so einfach. Es macht den Eindruck, als fragen sich die PunkerInnen, was die Leute mit dem Mega wollen. Wahrscheinlich sind sie aber einfach zu durchgefroren, um noch viel Aufmerksamkeit aufzubringen. Die LiteratInnen kramen nach passenden Texten und tragen Lyrik vor. Es geht um Mao Tsedong und Werbeslogans. Im Anschluss daran werden die Anwesenden zum Abschluss-Happening des Textil-Festivals in die Salinenschule am heutigen Abend eingeladen, dann geht das Running Mike weiter.

Bis dahin ist das alles wie gesagt kein Problem, wenn man als Kunst daherkommt, kann man auch vor dem Rathaus groben Unfug treiben, ohne Ärger zu bekommen. Mit bunten Haaren und ohne Kulturförderung geht das nicht. Gegen 18.30 Uhr taucht die Polizei auf, filmt die TeilnehmerInnen der Bootstour und stellt sich in Position. Nach einiger Zeit werden die restlichen Punks umstellt und unter Hinweis auf die Stadtordnung ergeht die Aufforderung, innerhalb von 20 Minuten zu verschwinden. Pitschnass und erschöpft hat niemand Lust auf Stress und so zieht man weiter. Es kommt noch zu einer Gewahrsamnahme. Typisch Erfurt halt.

Emmely gewinnt Prozess gegen Kaiser’s

Vorweg: Barbara E., genannt Emmely hat heute die arbeitsrechtliche Auseinandersetzung mit Kaiser’s gewonnen.

Aber zurück an den Anfang: Rund 80 Personen versammelten sich am 10. Juni vor dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt, um der entlassenen Kassiererin Emmely ihre Solidarität zu bekunden. Die Supermarktkette Kaiser’s hatte sie mit der Begründung gefeuert, sie habe Leergutbons im Werte von 1,30€ unterschlagen — nachdem sie den Streik in ihere Filliale massgeblich mitgetragen hatte.

Aber während 88% der Kündigungen einfach durchgehen, gab es hier Gegendruck. Emmely klagte. Das Komitee „Solidarität mit Emmely“ bildete sich aus Arbeiterinnen, GewerkschafterInnen und linken AktivistInnen und begann, Proteste zu organisieren — Proteste wie auch heute vor dem Prozess

Den Beginn der Kundgebung vor dem Bundesarbeitsgericht machte dann auch das Kommitte, indem es allen Anwesenden für die Solidarität dankte und einen Abriss über den bisheringen Prozessverlauf gab. Unterbrochen durch Musik von Atze Wellblech sprachen Menschen aus verschiedenen Gruppen aus ihrer Sicht zu der zwei Jahre dauernden Auseinandersetzung. Die Thüringer DGB-Landesvorsitzende Renate Licht betonte die Bedeutung, die der Fall für die vielen Beschäftigten im Einzelhandel habe, die quasi permanent unter der Drohung einer Verdachtskündigung arbeiteten.Der „Fall Emmely“ habe aber nicht zuletzt deshalb für Aufsehen gesorgt, weil angesichts der Banalität des Vorwurfs und der bereits gerichtlich bestätigten Kündigung das Rechtsempfinden verletzt sei und das Vertrauen in den Rechtsstaat verloren ginge. Ein Kollege von Porsche berichtete über seinen eigenen Kampf gegen mehrere Kündigungen, den er letztlich gewann, weil in letzter Instanz zugunsten der freien Meinungsäußerung auch am Arbeitsplatz entschieden wurde. Undine Zachlot von ver.di-Erfurt dankte für die breite Solidarität mit der Kassiererin Emmely, aber auch den vielen Betriebsräten, die sich in dem Bereich engagieren. Sie erinnerte an den Versuch, nach dem Schwarzbuch-LIDL ein Weißbuch für den Einzelhandel zu erstellen und an die Unmöglichkeit angesichts der überall auftretenden Schikanen vor allem gegen Beschäftigte, die sich mit ihren schlechten Arbeitsbedingungen nicht abfinden wollen. Die Thüringer Gruppe Plan B betonte, dass es sich lohne zu kämpfen, der an diesem Tag verhandelte Fall aber bei weitem kein Einzelfall sei. Gegen zunehmend schlechtere Arbeitsbedingungen und sinkende Löhne setze man auf Solidarität und Gegendruck von unten, wie man es hierzulande nur aus der Ferne mit dem Blick nach Griechenland oder Spanien sehe. Eine Kollegin vom Bremer Mayday-Bündnis berichtete Modell der „Schlecker-XL“-Filialen, bei denen über Ausgründungen die Tarifbindung für die Beschäftigten aufgehoben wurde. Die Solidarisierungen mit den Betroffenen zeigten sich in mehreren Aktionen, wie Flashmobs und einem spontanen Stromausfall zur Eröffnung einer XL-Filiale. Gegen 11.30 beginnt der Prozess

Das Bundesarbeitsgericht ist an diesem Tag nicht wirklich öffentlich. Hinein kommt nur, wer sich ausweisen kann und noch eine „Einlasskarte“ bekommt. Die sind limitiert, damit der „Sitzungssaal II/III EO327/33“ nicht zu voll wird. Solange noch Platz ist, bedeutet das für die BesucherInnen Metalldetektoren, Sicherheitssperre, Durchleuchten der Taschen. Eine spezielle „sicherungspolizeiliche Verfügung“, nur für diesem besonderen Tag und „zu unser aller Sicherheit“, wie der vorsitzende Richter später ausführt. Von den geschätzten 25 Reihen Zuschauerplätze sind 5 für die Presse reserviert, die sich sofort auf Emmely stürzt. Obwohl im vorderen Teil noch Plätze frei sind, müssen viele DemonstrantInnen draußen bleiben: Es könnten ja noch PressevertreterInnen nachkommen, heißt es von einer Justizangestellten.

Drinnen wird klar, wer hier über wen urteilt. Ein Richter am Bundesarbeitsgericht bekommt runde 7000€ im Monat. Das sieht man auch. Die Robe, unter der ja eigentlich alle gleich aussehen sollen, verhüllt nicht, daß hier Leute mit goldenen Manschettenknöpfen über eine Frau urteilen, die aussieht wie die Kassiererin von nebenan – und im Moment vom Hartz4-Regelsatz von 359€ lebt. Gegenüber von Emmely und ihren zwei Anwälten sitzt Tobias Tuchlenksi, dezent gebräunt und mit Designerbrille, seine grauen Haaren nach hinten gegelt. Als Regionalmanager bei Kaiser’s bringt er wahrscheinlich mehr nach Hause als die RichterInnen. Anwaltlich vertreten wird die Firma Kaisers GmbH von Karin Schindler-Abbes. Ihre Kanzlei arbeitet nach eigenen Angaben eng mit einer Vielzahl von Unternehmen zusammen, um z.B. schon im Vorfeld von Kündigungen erfolgversprechende Strategien zu entwickeln.

Glaubt man Emmeley, dann war es auch eine Strategie, die überhaupt erst dazu geführt hat, daß sie vor Gericht ziehen musste. Sie ist wie viele UnterstützerInnen der Ansicht, daß der eigentliche Grund der Kündigung ihr gewerkschaftliches Engagement ist und nicht die Bons, die sie in Beisein ihrer direkten Vorgesetzten unrechtmäßig abgerechnet haben soll. Aber darum geht es heute nicht. Das Bundesarbeitsgericht entscheidet nicht über die Sache, sonden über ihre rechtliche Würdigung — was so viel bedeutet wie: In der Frage, was geschehen ist, verlässt man sich auf das Urteil des Landesarbeitsgericht, heute geht es nur darum, ob die Fakten juristisch korrekt bewertet wurden. „Es steht prozessural fest“, daß Emmely die Bons genommen hat, weil eben das Landesarbeitsgericht so entschieden hat.

Genau das betont der vorsitzende Richter Burghard Kreft auch in seinen einleitenden Worten, die wie die kopierten Gesetztestexte auf den Besuchersitzen wohl dem großen öffentlichen Interesse geschuldet sind — über 100 ZuschauerInnen haben sich eingefunden. Daß der Fall gesellschaftliche Relevanz hat, ist auch der urteilenden Kammer bewusst — nicht umsonst betont Kreft, daß das Bundesarbeitsgericht Recht spreche und nicht gesellschaftliche Probleme löse. Daher will man nicht über die Krise, über Managergehälter und Sparpakete reden, sodnern sich auf rechtliche Erörterungen beschränken. In diesem Sinne ist die entscheidende Frage: Rechtfertigt das Verhalten von Emmely die Kündigung. Darüber hinaus wird darüber entschieden, ob das Prozessverhalten der Kassiererin relevant für das Urteil ist — denn das war ein gewichtiges Argument in der Urteilsbegründung des Landesarbeitsgerichts Berlin. Nach der Rechtsauffassung der Firma Kaiser’s hat gerade das kompromisslose Vorgehen von Emmely gegen ihren ehemaligen Arbeitgeber über den ursprünglichen Vorfall hinaus das Vertrauen zerstört.

Vertrauen ist dann auch eine entscheidender Punkt im Plädoyer von Benedikt Hopmann, der Emmely anwaltlich vertritt. Die Frage ist nach seinem Dafürhalten, ob Vertrauen in einem grunsätzlich von Ungleichheit, von Oben und Unten, geprägten Verhältnis wie dem zwischen ArbeiterInnen und Unternehmen überhaupt eine relevante Grüße darstelle — denn welche Handlungsmöglichkeiten haben schon ArbeiterInnen, die ihrem Betrieb nicht mehr vertrauen. Weiter legt Hopmann eine Liste von gerichtlichen Entscheidungen vor, mit denen Kündigungen schon in niedrigeren Instanzen gekippt wurden. In seiner Liste geht es um Unterschlagungen, um Fehlzeiten und um unerlaubte Nutzung des Dienstwagens. Die Beträge, um die es dabei geht, sind weitaus höher als 1,30 — aber die Gekündigten sind auch Vorstände und Geschäftsführer. Das Besondere am heutigen Fall ist wohl auch, daß gerade eine Kassiererin dem Mumm aufgebracht hat, bis zur letzten Instanz durchzuhalten, obwohl — so der Anwalt — die niedrigeren Instanzen ihre Interessen nur unzureichend in ihre Entscheidungen einbezogen haben.

Es folgt die Einlassung der Vertreterin von Kaiser’s. Sie reden 30 Minuten über die Glaubwürdigkeit von Emmely. Von der Bibel bis zur Zivilprozessordnung bemüht sie Referenzen, die belegen sollen: Lügen ist böse und Emmely ist eine Lügnerin. Sie sucht bei ihrem Vortrag vor allem den Blickkontakt mit den Medien — denn wie gesagt, dem Gericht geht es heute nicht um die Sachfrage, sondern allein um die rechtliche Bewertung. Insofern ist die Glaubwürdigkeit von Emmely heute im Grunde irrelevant. Aber der Gerichtssaal ist eben doch mehr als eine neutrale Bühne, auf der abstrakt Recht gesprochen wird. Heute geht es um gesellschaftliche Kämpfe, darum, ob man diejenigen, die sowieso das kleinste Stück vom Kuchen bekommen, auch noch wegen lächerlicher Unregelmäßigkeiten rauswerfen kann. Das wissen auch viele Leute im Zuschauerraum: Während Kaiser’s Anwältin Emmely diskreditiert, zischeln und murren nicht wenige der Anwesenden.

So bleibt auch ein Teil sitzen, als der zweite Senat am Nachmittag das Urteil verkündet. Es gibt aber keine Ordnungsgelder — die vorderen fünf Reihen Presse verdecken die kleine Geste des Protests. „Haben wir eine Protokollführerin? Nein? Das ist doof“ heißt es dann aber erst mal. Die Würde des Hauses ist etwas geknickt, als der erste Versuch der Urteilsverkündung an einer fehlenden Justizmitarbeiterin scheitert. Nach ein paar Minuten ist das Problem behoben und es kommt zur Urteilsverkündung: Das Bundesarbeitsgericht entscheidet ca. 15.30, daß sowohl die fristlose wie auch die nachgereichte fristgerechte Kündigung von Emmely rechtswidrig waren. Der Saal bricht in Applaus und Jubel aus.

Die Urteilsbegründung bietet dann etwas weniger Grund zum Jubeln. Hauptsächlich hebt der Senat darauf ab, daß das in 31 Jahren angesammelte Vertrauen, „ein hohes Kapital an Vertrauen, wenn man denn so will“ (so der vorsitzende Richter), in diesem Falle keine Kündigung wegen 1,30€ rechtfertigt. Auch wenn hier eine erhebliche Pflichverletzung vorliege, wäre eine Abmahnung als „deutliche Warnung“ verhältnisgemäß gewesen. Das Prozessverhalten von Emmely hält das Gericht nicht für relevant in der Frage der Kündigung.

Für Beschäftigte, die in Erwägung ziehen, gegen rechtswidrige Schikanen von Unternehmen gerichtlich vorzugehen könnte die Entscheidung Vorbildcharakter haben. Sie hat gezeigt: Kämpfen lohnt sich. Barbara E. und das Komitee „Solidarität mit Emmely“ haben in einer konzertierten Aktion einen kleinen Sieg gegen die alltäglichen Gewalttaten des Kapitalismus errungen.

Große Freude sieht man auch bei den AktivistInnen, als nach dem Erfurter Prozess die Nachricht durchkommt, daß das faktischen Verbot der FAU heute durch das Kammergericht Berlin aufgehoben wurde. Bei der abschließenden Kundgebung auf dem Erfurter Anger — dort, wo seit 2005 die Donnerstagsdemonstrationen gegen Sozialabbau stattfinden — knallen die Sektkorken und Atze Wellblech covern noch einmal mit Geige und Sperrholzbass ein Lied der Punkband Schleimkeim.

Wenn Gerichtsentscheidungen Rückschlüsse auf gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zulassen, dann haben neben Emmely und der FAU heute linke, emmanzipatorische Bewegungen im Allgemeinen einen Sieg davongetragen.

sabotnik/ksk


Medienmob


So sehn Gewinnerinnen aus – Emmely nach dem Prozess


Abschlusskundgebung auf dem Anger

Freispruch für Majestätsbeleidigung in Erfurt

Eine Person wurde gestern vom Vorwurf freigesprochen, den Erfurter Oberbürgermeister Andreas Bausewein beleidigt zu haben. Der Beschuldigte war einer der vier, die im Mai 2009 von der Polizei beim Kleben eines Plakates erwischt wurden, auf dem Bausewein im Rambo-Outfit — mit Patronengürtel und Maschinengewehr — zu sehen war.

Das Plakat war aus Anlass der Räumung des Besetzten Haus auf dem ehemaligen Topf&Söhne-Gelände im April 2009 und im Zusammenhang mit Bauseweins Wahlkampf entstanden. „Klare Verhältnisse“ war der Slogan, mit dem der Erfurter Oberbürgermeister im Landtagswahlkampf 2009 um Stimmen für die SPD geworben hatte.

Mit den Plakaten wollten seine KritikerInnen darauf hinweisen, daß der Sozialpädagoge Bausewein eine Law-and-Order-Politik betreibe. Das Gericht hat mit dem gestrigen Urteil festgestellt, daß die besagte Darstellung keine Beleidigung ist. Wegen unerlaubtem Plakatieren erging eine Ordnungsstrafe von 40 Stunden gemeinnütziger Arbeit, weiter muss der Beklagte seine Anwaltskosten tragen.

Für Repressionskosten im Kontext selbstverwaltete Zentren in Erfurt gibt es ein Soli-Konto: Inhaber Reinhold Halbleib, Kto.-Nr. 1000500337, Spk. Mittelthüringen, BLZ 82051000

Aktualisierung: Anscheinend war es doch kein Freispruch, sondern eine Einstellung!

Erfurt: Mobilisierung zum Emmely-Prozess

Um zur Kundgebung vor dem Prozess im „Fall Emmely“ am kommenden Donnerstag in Erfurt zu mobilisieren, haben Unbekannte in Erfurt im Einzelhandel Plakate an Türen und Pinnwände geklebt und in Regalen versteckt:
Solidarität mit Emmely
Barbara E., auch bekannt als „Emmely“, wurde nach 31 Jahren als Verkäuferin für „Kaiser’s“ wegen einer angeblichen Unterschlagung von Leergutbons im Wert von 1,30 Euro gekündigt — wenige Wochen, nachdem sie für Verdi in ihrer Filiale den Streik organisiert hatte. Die Kundgebung findet am 10.6. ab 10 Uhr vor dem Bundesarbeitsgericht statt.

Weiteres zum Prozess:

Bons oder Boni? – Interview mit dem Komitee „Solidarität mit Emmely“

Wir dokumentieren ein Interview mit einem Mitglied des Komitees »Solidarität mit Emmely« aus der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Wildcat.

Am 8.6. gibt es im Rahmen der KücheFürAlle bei Radio FREI ab 21 Uhr den Film „Das Ende der Vertretung“ von Kanal B zu sehen. Am 10.6. findet vor dem Arbeitsgericht Erfurt der Prozess statt, ab 10 Uhr ist hier eine Kundgebung angemeldet.

Soziale Wut

Alle waren erstaunt über den Erfolg der Emmely-Kampagne. Du selber hast es mal damit erklärt, hier sei eine soziale Wut an die Oberfläche gekommen…

Emmely und der Pfandbon sind ein Symbol für soziale Ungerechtigkeit, das zum Ausdruck all dieser grummelnden untergründigen Strömungen sozialer Unruhe wurde. Es ist wie ein Kessel unter Druck, dann ist irgendwo das Loch aufgegangen, durch das jetzt der Dampf raus kommt. Diese soziale Wut geht erstmal von Gerechtigkeitsbegrifen aus. Leute werden wütend und aktiv, weil sie ganz persönlich betroffen waren. Weil jeder das kennt: Sich wehren zu wollen und nicht zu wissen, wie weit man gehen kann. Leider äußert sich das in Gerechtigkeitsbegriffen und nicht in Begriffen wie »Ich will was haben«.

Die Medien haben vor allem die unschuldige Verkäuferin in den Mittelpunkt gerückt. Ihr hattet hingegen zunächst versucht, ihre aktive Rolle im Streik zu thematisieren…

Nee, der Streik ist anderthalb Jahre her und in den Medien geht’s nicht nur um Emmely. Und das ist gut so. Jetzt poppen all die Fälle auf, in denen die »Tat« unstrittig ist: Frikadellenfall, Maultaschenfall, Handy aufladen… Im Mittelpunkt steht nicht mehr die Frage danach, ob sie den Pfandbon gemopst hat, sondern ob eine Entlassung nach dreißig Jahren angemessen ist. Und das ist ja schon ein sozialer Anspruch, weil da drinsteckt, dass die Vorstellung von Eigentum nicht so rasiermesserscharf ist, wie die BAG-Präsidentin sich das vorstellt. Eine Frikadelle ist eben nicht nur Eigentum, sondern auch ein Nahrungsmittel. In den Gerechtigkeitsfragen sind soziale Interessen drin. Unsere Aufgabe ist es, die auszupacken und in den Vordergrund zu rücken.

»Wir haben immer weniger, und den Managern stopfen sie die Boni in den Rachen«; die Krise allgemein: Hat das damit zusammengepasst?
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Gewalt ist immer schlimm


Bei Einsätzen im Falle von Familienstreitigkeiten werden mehr PolizeibeamtInnen verletzt als bei Fußballspielen und Demonstrationen zusammen. Das zeigt der jetzt veröffentlichte Zwischenbericht einer Studie über Gewalt gegen PolizistInnen des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen.

Nicht nur die absoluten Zahlen sind deutlich: Angriffe auf BeamtInnen bei Demonstrationen sind seit 2005 um 60% gestiegen, bei Familienstreitigkeiten um über 90%. Aber keine Gewerkschaft der Polizei fordert eine stärkere Überwachung von Familien. Kein Innenministerium plant die Einführung einer zentralen Datei „Gewalttäter Ehe“. Keine Polizei führt „Blaue Listen“ oder eine „Kategorie E“ (wie Ehemann). Keine Partei fordert die Abschaffung des Ehegattensplittings und die Einführung einer Heiratssteuer. Keine Jugendbildungsstätte entwickelt ein Modellprojekt gegen den Extremismus der Mitte.

Denn wenn der brave Familienvater zuschlägt (geschätzte 5 Millionen Mal im Jahr), ist das eben was ganz anderes, als wenn jemand die Familienkutsche abfackelt (an die 1000 Mal in den letzten vier Jahren). Letzteres kann man ja gerne „Eine neue Qualität linker Gewalt“ nennen, ersteres ist dauerhafte Normalität in einem System, dass auf Gewalt beruht.

Film: Ende der Vertretung – Emmely und der Streik im Einzelhandel

Die Situation der Beschäftigten im Einzelhandel hat sich in den letzten Jahren drastisch verschlechtert. Während die Arbeitsbelastung immer näher an die Grenze des körperlich erträglichen geht, bleiben die Löhne immer weiter hinter den steigenden Lebenshaltungskosten zurück. Und das während die Gewinne der Unternehmen kontinuierlich ansteigen: zwischen 2000 und 2006 um 64,3%. Als die Arbeitgeber Ende 2006 die Zuschläge für Spät- und Nachtarbeit kürzen wollten, hatten sie im Empfinden vieler Beschäftigter eine Grenze überschritten: Die längste und härteste Tarifauseinandersetzung im deutschen Einzelhandel begann.

Der Film begleitet die Streikenden über mehrere Monate. Zu Wort kommen Frauen, die seit Jahrzehnten im Einzelhandel arbeiten. Viele streiken zum ersten mal in ihrem Leben. Oft sind sie allein erziehend, in Teilzeit und mit so wenig Lohn, dass sie sich ihr Essen „bei der Familie zusammensuchen“ müssen. Manchen wird ihr Engagement im Streik zum Verhängnis, Emmely zum Beispiel. Nachdem sie in ihrer Kaiser’s Filiale den Streik organisiert hat, wird ihr unter einem Vorwand fristlos gekündigt. Als sie auf Wiedereinstellung klagt bekommt sie die ganze Wucht des einseitig an den Interessen der Unternehmen ausgerichteten deutschen Arbeitsrechts zu spüren.

Der Film sucht nach Antworten auf die Frage, weshalb die Beschäftigten und ihre Organisationen nicht in der Lage sind, sich gegen die Arbeitgeber durchzusetzen. Er erkundet das Engagement der ArbeiterInnen im Streik und analysiert das Vorgehen der Streikleitung und die Rolle der Betriebsräte. Beschrieben werden auch die Interventionen linker Gruppen an der Seite der Streikenden.

KanalB // 2009 // deutsch // 56 Min

Film und Diskussion
Dienstag, 8. Juni 2010, 21 uhr
Radio F.R.E.I. (Gotthardtstr. 21, erfurt) zur KücheFürAlle.

Kundgebungen
Anlässlich des Prozesses gegen Emmely in Erfurt:
Donnerstag, 10. Juni um 10 Uhr vor dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt (Petersberg) und um 17 Uhr am Anger.

Ein ganz und gar nicht neutraler Rückblick: Bilanz- und Strategiekonferenz


Bunt statt Braun

Die Bilanz- und Strategiekonferenz am vergangenen Wochenende in Jena zog zahlreiche Teilnehmende an. Allein 163 Menschen hatten sich bei der Konferenzleitung offiziell angemeldet, wie die Organisatorinnen bekannt gaben. Die Teilnehmenden kamen aus dem gesamten Bundesgebiet, wobei gerade aus dem Osten die eher bürgerlichen Teile der Anti-Nazi-Aktivistinnen vertreten waren.

Im Wesentlichen orientierten sich die Themen an der immer wieder beschworenen Notwendigkeit, zumindest bei nazistischen Großereignissen zusammen zu arbeiten. So wurden in den Arbeitsgruppen vor allem Fragen des Wie besprochen: Wie funktioniert die mittlerweile legendäre Fünf-Finger-Taktik? Wie organisiert man Bezugsgruppen? Wie koordiniert man anreisende Busse?

Tatsächlich ist es mit dem Mittel der Massenblockaden schon mehrfach gelungen, Naziaufmärsche zu verhindern. Wie weit die einzelnen Beteiligten dabei aufeinander zugegangen sind, war immer wieder am leidigen Thema der Gewaltfrage – back to the 90‘s – zu spüren, aber auch an der Frage des Umgangs mit den Toten aus der deutschen Zivilbevölkerung, die die Verteidigung der Alliierten gegen Deutschland mit sich brachten. Die Konferenz bot dabei einen wichtigen Raum, diese zumeist intern geführten Debatten in den gemeinsam besetzten Bündnisraum zu tragen.

Leider wurden die durchaus verschiedenen Erfahrungen der Teilnehmenden aus ihren Mobilisierungen nur vereinzelt aufgenommen. Die Erfolge von „Köln, Dresden, Jena, Leipzig“, wie es in der Ankündigung hieß, überschatteten ein wenig den Austausch über Erfahrungen aus anderen Aktionen. Und so konnte ab und an der Eindruck entstehen, wenn man nur dem Ratgeber richtig folge, dann klappt’s auch mit der Blockade. Nur hat man aus gutem Grunde die Rechnung ohne die Polizei gemacht, ohne die lokalen Staatsvertreter, ohne das zuständige Innenministerium, die allesamt den Blockaden nicht immer und überall so freundlich gesonnen sind.

Nichtsdestotrotz hat die Konferenz zumindest das gebracht: eine bessere Vernetzung und – vor allem bei den Teilnehmenden aus dem Osten – ein Schritt weiter zur Realitätsnähe. Die Auseinandersetzungen darum, dass sich die Polizei unter Umständen auch einmal nicht schützend zwischen Nazis und Blockaden stellt, dass Gewaltfreiheit bestenfalls ein Kriterium der gegenseitigen Abgrenzung sein kann, nicht aber die Basis für eine Bündnisarbeit, dass das Grundgesetz nicht unbedingt ein vermittelbares Motiv für die Anti-Nazi-Arbeit ist, diese Debatten haben den verschiedenen Bündnisbeteiligten vor Augen geführt, wie weit die Wege zum Kompromiss doch für die einzelnen waren und haben zugleich eine breite Palette an Notwendigkeiten der gegenseitigen Verständigung präsentiert.

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