Eisenach: Unter Burschen
Vom 30.05.-03.06 2012 fand der „Burschentag“ der Deutschen Burschenschaft in Eisenach statt. Burschis und Alte Herren treffen sich bei gruseligen Veranstaltungen, um Verbandspolitik zu betreiben und sich zu besaufen.
Auf der Wartburg war in den Abendstunden des 01.06. der Festakt anberaumt. Obwohl nicht wenige Burschis den Weg auf den Berg zu spät gefunden hatten, waren hunderte Reaktionäre pünktlich zum Beginn mit schlecht vorgetragener Bläsermusik da. Es konnten viele Einzelgespräche von alten Herren belauscht werden, in denen es oft um Politik ging. Mal wurde sich über das falsche Vorgehen der FPÖ oder der BZÖ mokiert. Mal wurde erörtert, ob man jetzt durch Eintritte in eine schwache FDP die Partei nach rechts reißen könne. Wenn man aufmerksam war, bekam man den Unterschied zwischen „Passdeutschen“ und „echten“ Deutschen erläutert. Das Thema bei den Studenten waren vor allem die „Laster“: Bier und Frauen.
Die Höhepunkte waren der Ein- und Auszug der Fahnenträger, das Gruppenfoto und die Rede des Dr. Sauerzapf. Der sprach z.B. 1999 in Jena vor Burschen zum „Auslandsdeutschtum“. Er betete als Seelsorger mit BGS und Militär und ist Vorsitzender des obskuren Vereins „Preußen-Institut“. Die Rede hatte es denn auch in sich. Seicht begonnen mit einem Verweis auf das verschlafene Nest, die Wartburg und die heilige Elizabeth, ging es recht fix um die konstituierenden Elemente der Burschenschaft und der Deutschen allgemein. Dabei durfte ein Verweis auf Luther natürlich nicht fehlen.
Besondere Brisanz erhielt die Rede durch ausführliches Zitieren der „Englischen Fragmente“, in denen Heine das Verständnis der Freiheit in unterschiedlichen europäischen Nationen vorführt. Recht bald wurde an den großen „Terreur“ der Jakobiner während der Französischen Revolution erinnert. Den Jungakademikern musste der Wahlspruch der Revolution „liberte, egalite, fraternite“ übersetzt werden.
Mit einem leicht abgewandelten Zitat, das sicher nicht als bekannt vorausgesetzt wurde, der Zitierte aber auch nicht genannt wurde, sollte die Vorbildlichkeit der Deutschen in Revolutionsfragen unterstrichen werden: „Revolution in Deutschland? Das wird nie etwas, wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich noch eine Bahnsteigkarte!“ — das soll Lenin, liebe mitlesende Burschis, gesagt haben. Um nach wahrscheinlich erhofftem Gelächter und HoHo darauf hinzuweisen, dass die Deutschen in ihrer bürgerlichen Revolution wenigstens keine Kaiser oder Könige umgebracht htten. So wird die Niederlage von 1848 doch noch zu einem Sieg!
Es wurde positiver Bezug auf den „Offizierswiderstand“ vom 20. Juli genommen und die besseren Nazis damit, gleich der offiziellen Geschichtsschreibung, für sich vereinnahmt. Zumindest an der Mimik von vielen DBlern lies sich ablesen, wie wenig ihnen das schmeckte. Im verbalen Vorbeimarsch wurde über Autonome gehetzt, die tatsächlich eine große Gefahr für Burschies zu sein scheinen und die neue „kommunistische“ Bürgermeisterin von Eisenach Katja Wolf (Partei „Die Linke“) abgewatscht. Dass sie eher dem Sozialdemokraten Bartsch nahesteht, juckte dabei nicht. Homosexuelle wurden diffamiert. Und Abtreibung wurde dämonisiert, wofür es viel spontanen Beifall gab. Nicht unerwähnt bleiben soll ein Witzchen, der auf den revisionistischen Grundkonsens der DB verweist: Es wurde sich mokiert, dass Ostdeutschland doch Mitteldeutschland sei, und ob die Vertriebenen im Alltagssprech denn dann „Fernostdeutsche“ seien – noch ein HoHo war dem Redner sicher.
Alles in Allem eine eklige aber auch irgendwie eigenartige vorgestrige Komik. Nach dem Ende der Veranstaltung begaben sich die Burschis zum Fackelmarsch. Rund 300 Burschis marschierten im Gleichschritt gruselig durch die Pampa zum Burschidenkmal, um dort der deutschen Toten der Weltkriege zu gedenken. Am Fuße des Berges mussten die Medien warten und alle, die dem Burschenschafter-Ordnungsdienst suspekt waren. Auch die NPD, die kam, um ihre Solidarität auszudrücken, musste unten bleiben.
Patrick Wieschke nutzte die Zeit, um den „Systemmedien“ in Gestalt des ZDF ein ausführliches Interview zu geben. Seine prolligen, blöde glotzenden Aufpasser warteten brav im Hintergrund.
Auf dem Denkmal wurde dann eine lange Totenrede gehalten über die Aufgaben der Burschenschafter im Interesse der Nation schwadroniert. Es folgte das obligatorische Absingen der drei Strophen des Deutschlandliedes.
Als Fazit dieser offiziellen Teile lässt sich festhalten: Wir alle dürfen froh sein, dass sich die Deutsche Burschenschaft mit Hilfe einiger Medien gerade selbst zerlegt. Schön wäre es, wenn wir ihr noch den letzten kleinen Schubser über den Abgrund geben könnten.
Ein Video von der ganzen Geschichte gibt es von den Filmpiraten:




Viel Lärm mussten heute diejenigen über sich ergehen lassen, die sich Sarrazin in Erfurt anhören wollten. 18 Uhr neben der Alten Oper: 300 Menschen demonstrieren gegen die Lesung — mit zahlreichen Redebeiträgen, die vor allem immer wieder auf eines kommen: Sarrazin ist nur ein herausragendes Exempel für einen weit verbreiteten Rassismus und Sozialdarwinismus. Dagegen muss man vorgehen und — wie es auch heißt — dabei nicht vergessen, den bürgerlichen Staat und den Kaptialismus gleich mit zu kritisieren. Kurz und knackig kommt das von der Band, die zwischen den Reden spielt: „Gegen Erfurt, gegen Deutschland und gegen Rassismus.“
An der Eingangs-Schleuse für die Lesung werden Flugblätter verteilt, schon um 17 Uhr wurde für Sarazin ein „brauner Teppich für Rassisten“ ausgerollt. Über den muss schreiten, wer zu Sarrazin will, was die Leute teilweise peinlich berührt: „Wollen wir wirklich reingehen?“ Ein Grüppchen sportlicher Jungmänner in Tarnhosen sieht das anders: „Brauner Teppich? Da sind wir richtig.“ Zwei ältere distinguierte Herren ereifern sich über die Demonstrant_innen. In breitestem Thüringer Dialekt reden sie sich in Rage darüber, dass sie Gesocks wie uns finanzieren müssen. „Früher“, so heißt es durchaus zutreffend, „steckte man solche ins Lager.“ Man hört deutlich das Bedauern darüber, dass dem nicht mehr so ist. Froh sind sie, dass in Erfurt nicht so schreckliche Zustände wie in Berlin herrschen. 



„Aktiv gegen Rassismus werden“ steht auf einem über 20m langen Transparent, dass anscheinend seit heute morgen an der Ecke Juri-Gararin-Ring/Löberstraße in Erfurt hängt. Die Aktion bezieht sich auf die für den 9. Mai geplante Lesung mit Sarrazin in der Alten Oper Erfurt. Die Aktivist_innen erklärten dazu: 

„Sarrazin, halt’s Maul“ fordert auf koreanisch, japanisch, russisch, englisch, deutsch, türkisch und französisch ein Flugblatt, dass sich gegen die Lesung mit Sarrazin am 9. Mai in Erfurt richtet.
Der Sammelband „Rassismus in der Leistungsgesellschaft„, herausgegeben von Sebastian Friedrich, beschäftigt sich mit kritischen Analysen der rassistischen „Sarrazindebatte“. Es geht also in erster Linie nicht um Sarrazin selbst sondern um dessen Absorption durch die Gesellschaft. Das Buch erscheint in einem wissenschaftlichen Duktus mit universitärem Hintergrund. Manche Texte sind dementsprechend sehr anspruchsvoll geschrieben. Im ersten Beitrag zeichnet Friedrich die Sarrazindebatte nach und ordnet wesentliche Merkmale ein. Dabei stellt er eine Diskursverschiebung nach rechts und eine Verknüpfung des Einwanderungsdiskurses mit dem Ökonomiediskurs fest. Darauf folgen die Abschnitte „Migration und Rassismus“, „Bevölkerungs- und Biopolitik“, „Kapital und Nation“ und „Interventionen und Perspektiven“, in denen jeweils mehrere Autoren unterschiedliche Aspekte der Sarrazindebatte thematisieren. Die Bandbreite reicht dabei von Diskursanalysen bis hin zu rein theoretischen Abhandlungen. Dabei beinhalten die tiefgründigen Beiträge viele interessante Gedanken, die zur Weiterbeschäftigung mit den einzelnen Themen anregen.
In „Sarrazin und der Extremismus der Mitte“ lenkt Klaus Ahlheim den Blick auf die in der Gesellschaft fest verankerten fremdenfeindlichen und antisemitischen Einstellungen. Demnach hat Sarrazin diesen Ressentiments eine seriöse Stimme gegeben, das „Problem [aber] ist ein weit verbreiteter Ethnozentrismus in der Mitte der Gesellschaft“. Hinzu kommt eine neue Lust, auf Deutschland stolz zu sein, die oft verbunden ist mit der „Ablehnung des Fremden und Anderen“. Ahlheim untermauert seine Aussagen mit zahlreichen eigenen und herangezogenen empirischen Untersuchungen, ohne jedoch einer blinden Zahlenglauberei zu verfallen. In einem eigenen Text warnt er vor „positivistischer Empiriegläubigkeit“ und zeigt, wie politische Vorentscheidungen der Forscher das empirische Instrumentarium selbst bestimmen. In weiteren Texten werden Migration, Schlussstrichmentalität und Fremdenfeindliche Einstellungen thematisiert. Die letzten beiden Beiträge beschäftigen sich mit Fragen der pädagogischen Interventionsmöglichkeit und einer Warnung vor akzeptierender Jugendarbeit, die rechte Einstellungen nicht bekämpfen sondern integrieren möchte.
Thomas Wagner und Michael Zander bilanzieren zu Beginn von „Sarrazin, die SPD und die Neue Rechte“ die Sarrazin-Debatte. Dabei gelingt es ihnen, Sarrazins Thesen besonders grundlegend zu widerlegen. Beispielsweise zeigen sie, dass in Gesellschaften mit hoher Ungleichheit erheblich mehr Menschen erkranken als in Gesellschaften mit einer niedrigeren Ungleichheit – und zwar über alle sozialen Schichten hinweg. Der These, dass es in einer Gesellschaft immer Menschen geben muss, die über andere herrschen, entgegnen sie mit historischen Beispielen von langjährig bestehenden Gesellschaften, in denen alle gemeinsam über ihre Belange entschieden. Deutlich stellen sie heraus, dass die Behauptung, Menschen wären von Natur aus unterschiedlich, der Legitimierung der gesellschaftlichen Stellung von Sarrazin und Co. dient.
Volker Weiß geht in seinem Essay „Deutschlands Neue Rechte. Angriff der Elite – Von Spengler bis Sarrazin“ auf die Spurensuche nach einer „Lust an der Apokalypse“. Denn Sarrazin ist bei Weitem nicht der Erste, der den Untergang Deutschlands herannahen sieht. Bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts treten immer wieder rechte Ideologen mit ähnlichen Thesen an die Öffentlichkeit. Würde man all denen Glauben schenken, hätte sich Deutschland schon mehr als einmal selbst abgeschafft. Es werden immer wieder ähnliche Symptome des Verfalls angeführt: eine irrationale Angst vor der „Masse“, Dekadenz und der Verlust der deutschen Identität. Dagegen helfe, so die rechten Theoretiker, nur eine Stärkung der Nation, die Disziplinierung der Masse, die Absonderung des „sozialen Ballasts“ und die Herausbildung einer Nationalen Elite. Besonders letzteres, die Herausbildung einer starken Elite, steht dabei eng im Zusammenhang mit einer Ideologie der Ungleichheit. Im übrigen zählen die Autoren selbst immer auch zu den von ihnen heraufbeschworenen Eliten. Volker Weiß weist nach, „dass dieses Bedürfnis nach ‚Elite‘ in direkter Tradition der republikfeindlichen Theoretiker der Weimarer Zeit steht und heute von einer ’neuen‘ Rechten befeuert wird, der an einer konservativen Revolution gelegen ist.“
In „Anti-Sarrazin“ versucht sich Sascha Stanicic an einer Widerlegung der Thesen Sarrazins. Herausgegriffen und dargestellt werden Thesen, die Sarrazin in seinem Buch beschreibt oder die in der medialen Debatte zum Vorschein kamen. Anschließend wird ihnen argumentativ begegnet. Angefangen bei der Frage „Tabubruch oder Kampagne?“ über Fragestellungen von Migration und Integration, Islamfeindlichkeit, Arbeit, Bildung und Soziales, Genen, Intelligenz und Rassismus bis hin zur Frage „Kommt die Sarrazin-Partei?“ deckt das Buch das breite Spektrum regressiver Stellungnahmen im Rahmen der Sarrazindebatte ab. Im Anschluss steht der Versuch darzustellen, wie man Alternativen zu Sarrazin verwirklichen kann.
Ca. 50 Menschen haben heute in Erfurt gegen die Extremismusklausel demonstriert, um ihre Solidarität mit dem 
Völlig ins Wasser gefallen ist der Plan, dem Erfurter Ratsgymnasium und dem Thüringer Verfassungsschutz durch eine Ausstellung zum Thema „Feinde der Demokratie“ zu einem besseren Image zu verhelfen. 



Anlässlich des 3. Jahrestages der Räumung des seit 21.04.2001 besetzen Topf und Söhne-Geländes trafen sich am Vorabend des 16.04.2012 einige Leute zu einer kleinen Aktion: Auf dem Möbel- und Tierfutter-Markt-Parkplatz, dem das besetzte Haus weichen musste, wurde sich (mit Straßenkreide) bei der Stadt Erfurt für genau diese Situation bedankt. Inhalte wie, dass man auf Gott, Staat und Mietvertrag scheißen kann und Erfurt ein autonomes Zentrum braucht, bleiben jedenfalls nach wie vor aktuell. 

Am nächsten Montag soll ab 10 Uhr im Erfurter Ratsgymnasium die Ausstellung „Feinde der Demokratie – politischer Extremismus in Thüringen“ eröffnet werden. Veranstalter ist der Verfassungsschutz. Die SchülerInnengruppe „Kritische SchülerInnen“ erklärte dazu in einem offenen Brief, wegen mangelnder Kontroversität und der lang anhaltenden Serie von politischen Skandalen um den Verfassungsschutz Thüringen sei es unangebracht, die Ausstellung zu zeigen. Die SchülerInnen fordern, die Ausstellung abzusagen oder zumindest die Möglichkeit zu einem eigenen, kritischen Kommentar zu erhalten.